Jeffrey Ford: Das Schattenjahr (Buch)

Jeffrey Ford
Das Schattenjahr
(The Shadow Year, 2008)
Übersetzung: Eva Bauche-Eppers
Titelbild und Innenillustrationen: Derek Ford
Wandler, 2024, Paperback, 366 Seiten, 23,00 EUR

Rezension von Carsten Kuhr

Die 60er Jahre, irgendwo in den USA. Wir lernen einen Jungen kennen. Der letzte Ferientag des Sommers ist gekommen, der Ernst des Lebens geht für unseren Sechstklässler dann wieder los.

Dass er seinen Dad kaum sieht, der um die Familie mühsam finanziell über Wasser zu halten drei aufreibende Jobs ausübt, dass die Mutter alkoholsüchtig ist, verdrängt er weitgehend. Seinem älteren Bruder eifert er nach, die jüngere Schwester ist das Nesthäkchen, doch auch ein wenig… nun nennen wir sie merkwürdig.

In der letzten Sommernacht bevor die Schule wieder beginnt, zerreißt ein markerschütternder, schriller Schrei die Nacht. Mit diesem Schrei beginnt das „Schattenjahr“ - ein Jahr, das Verluste, Rätsel und Opfer mit sich bringt.

Ein Spanner ist ans Schlafzimmerfenster der Nachbarin hochgeklettert und hat diese nackt gesehen - die drei Geschwister machen sich an die Aufklärung des Skandals… nicht ahnend, dass weit mehr hinter den Vorgängen steckt, als zunächst vermutet.

Ein großgewachsener, dürrer Herumtreiber macht die Gegend unsicher, Menschen verschwinden, ein merkwürdiger Fremder fährt mit einem großen, weißen Auto durch die Straßen - und irgendwie hängt das alles auch mit dem im Keller errichteten Papp-Modell des Ortes zusammen…


Vorliegender Roman ist eine anrührende, leise Coming-Of-Age Geschichte über das 6. Schuljahr eines amerikanischen Jungen, dessen Namen wir nie erfahren.

Im Vordergrund steht die häusliche Situation: die manisch-depressive, alkoholkranke Mutter, der ständig überarbeitete Vater, die Großeltern, die bei ihnen wohnen, die unempathischen Lehrer - hier beschreibt Ford uns in einfühlsamen Bildern den täglichen Kampf ums wirtschaftliche Überleben, aber auch den Versuch unseres Erzählers, trotz all dieser Belastungen, Kind zu bleiben. Dabei geht es um die Darstellung des Reifeprozesses, der naturgemäß durch die äußeren Umstände behindert, aber auch beschleunigt wird.

Das Leben in der Kleinstadt zeigt sich uns mit markanten, ungewöhnlichen Figuren, mit Menschen, die uns der Verfasser in all ihrer so manches Mal merkwürdigen Eigenheit präsentiert. Als Kontrast dient das typische Leben eines Heranwachsenden: das Warten auf das Klingeln des Eiswagens, der Versuch, die Hausaufgaben mit möglichst wenig Aufwand schnell hinter sich zu bringen, von älteren Kindern gehänselt zu werden - alles Dinge, die wir Leser aus unserer eigenen Kindheit kennen, an die wir uns zurückerinnern.

Ford nutzt hier eine wunderschöne bildhafte Sprache, die die Übersetzerin, Eva Bauche-Eppers, kongenial ins Deutsche übertragen hat.

Zu Beginn erinnert der Plot eher an einen Thriller, einen Krimi, erst zum Ende hin wird das phantastische Element deutlicher.

So ist dies ein leiser, kurzer Roman, der nicht auf Schock-Elemente setzt, der stattdessen einfühlsam die Erlebnisse des Protagonisten erzählt, uns damit rührt, lachen und ein wenig weinen lässt, aber auch schockiert.