Gerd Ruebenstrunk: Das Wörterbuch des Viktor Vau (Buch)

Gerd Ruebenstrunk
Das Wörterbuch des Viktor Vau
Titelillustration von Sabine Zels
Piper, 2011, Paperback mit Klappenbroschur, 412 Seiten, 15,95 EUR, ISBN 978-3-492-70224-9

Von Carsten Kuhr

Seit Jahrzehnten wartet die Menschheit darauf, dass andere Intelligenzen mit ihr Kontakt aufnehmen – bislang vergebens. Eines Tages aber ist es soweit, unweit der afrikanischen Küste wassert ein OWO, ein künstliches Objekt, das nicht von Menschen gebaut wurde. Im Inneren findet man eine Botschaft – eine schriftliche Aussage, deren Deutung man nur einem absoluten Spezialisten überlassen kann.

Vorhang auf für Viktor Vau. Vau ist ein Pedant aus dem Bilderbuch. In seiner Unbeweglichkeit, seinem Verharren in ständig sich wiederholenden Ritualen, ähnelt er dem Verne’schen Philias Fogg, allerdings spielt er in seine Freizeit nicht Bridge, sondern widmet sich ganz seiner Obsession – der Erstellung von Katlan, einer kategoriebasierenden neuen Sprache, mit dem man die Welt exakt beschreiben kann. Dabei stößt er nicht nur auf eine Möglichkeit, die von der Trennung der linken von der rechten Hirnhälfte verursachten Krankheiten wie Autismus und Schizophrenie zu behandeln, sondern auch auf einen Weg, Menschen unbewusst zu indoktrinieren. Während und nachdem er die Warnung aus der Kapsel entziffert und übersetzt hat, machen sich die Geheimdienste der Dynastie auf die Jagd nach ihm...

Der Verlag hat sich, um das Werk aus der Masse der allmonatlich über Buchhändler wie die Leser hereinbrechenden Flut an Novitäten herauszuheben, etwas einfallen lassen. Das äußere Erscheinungsbild wurde einer altertümlichen Kladde angeglichen, sogar das die Kladde geschlossen haltende Gummiband wurde reliefartig eingearbeitet.

Bereits zu Beginn der Lektüre merkt der Leser, dass er, wie kann es bei dem Topic auch anders sein, den Roman eines Autors in Händen hält, der seine Sprache sehr bewusst einsetzt. Hier sitzt jeder Ausdruck, wurde genau abgewogen, welcher Begriff benutzt wird, erwartet den Rezipienten ein sprachlich herausragendes Leseerlebnis. Was zunächst, wie eine Geschichte um einen Erstkontakt beginnt, das nimmt schnell andere, bedrückende Züge an. Ausgehend vom Jetztzustand, von einer sich verselbständigenden Wirtschafts- und Politikelite – vorliegend die Dynastie – die die Mehrheit der Nichtwähler mit billigen Wahlversprechen und dem alten Rezept von Brot und Spielen ruhig stellt, zeichnet er das bedrückend real wirkende Bild einer möglichen Zukunft. Der überbrodelnde Beamtenapparat schanzt sich gegenseitig die lukrativen Posten zu, bleibt unter sich und bildet eine neue Herrschaftsschicht, unter der das zwar nicht unwissende aber phlegmatische Volk vor sich hin lebt.

Verbunden hat der Autor seine Dystopie mit der Geschichte der Kontaktaufnahme, der faszinierenden Gestalt des Viktor Vau sowie den Taten des Floristenkillers, eines Serienmörders, der seinen weiblichen Opfern jeweils ein Stück Haut in Form einer Blume herausschneidet. Für Spannung ist dabei ebenso gesorgt wie für Tiefgang, verstörende Parallelen zu aktuellen Entwicklungen zeigen sich auf, so dass sich das Buch fast wie von selbst liest.