Walter Moers: Die Insel der Tausend Leuchttürme (Buch)

Walter Moers
Die Insel der Tausend Leuchttürme
Penguin, 2023, Hardcover, 636 Seiten, 42,00 EUR

Rezension von Carsten Kuhr

Hildegunst von Mythenmetz, ein Name, der die Welt mit seinen Werken erschüttert, geprägt und verblüfft hat. Ein solch herausragender Künstler hat so seine Eigenheiten. Würde man bei einem Anderen von einem Hypochonder sprechen, vom Hineinsteigern in eine eingebildete Krankheit, weiß man einfach, dass unser Meister eben den Körper, den er sein Eigen nennt, ein wenig besser kennt, als die Ärzteschaft sich dies vorstellen kann. Stauballergie, weit schlimmer noch, eine lästige, eine bedrohliche, eine existenzielle Bücherstauballergie macht ihm zu schaffen!

Das Einzige, was ihn noch zu retten vermag ist eine Kur. Und wohin geht man, wenn man es auf der Lunge hat? Richtig - auf die Insel Eydernorn. Hier, weitab vom Festland, herrscht immer ein erfrischendes Windchen, ein Reizklima, für dessen verschiedene Ausprägungen die Insulaner jede Menge unterschiedlicher Begriffe haben.

Schon die Überfahrt gestaltet sich als schwierig. Die Mutter aller Stürme will wohl verhindern, dass sich der gefeierte Mythenmetz um seine angeschlagene Gesundheit kümmert. Doch während rund um ihn alle Seebären seekrank werden, selbst den Kapitän sucht das Verlangen, seinen Mageninhalt von sich zu geben heim, verharrt er selbst scheinbar unberührt vom Seegang an der Reling. Dass er dann beim Kurarzt nicht hochkantig rausfliegt, liegt daran, dass dieser, selbst ein Hobby-Dichter, ein großer Fan unseres Meisters ist. So erfährt er eine Sonderbehandlung, die sonst nur Totkranken zugutekommt. Seine bis dato noch nie diagnostizierte Meerwasserallergie erweckt das wissenschaftliche Interesse, ansonsten schickt ihn sein behandelnder Weißkittel auf einen Rundgang auf und um die Insel.

Einhundertelf Leuchttürme gibt es auf Eydernon, ein jeder von diesen mit einem Leuchtturmwächter besetzt, der geistig ein Genie ist. Das kann selbst einen brillanten Kopf wie den gefeierten Star Zamoniens nicht kalt lassen, der sich voller Elan aufmacht, die Wunder und Geheimnisse des Eilands zu erkunden…


Das Orm fließt endlich wieder in diesem höchst willkommenen neuen Zamonien-Roman. Nachdem die letzten literarischen Ergüsse Hildegunst von Mythenmetz‘ ein ganz klein wenig das besondere Flair der großartigen Zamonien-Titel vermissen ließ, fragten sich Fans und Leser, was nur mit Mythenmetz passiert sei. Der Orm floss zwar noch, doch war dieser eher zu einem schwachen Bächlein verkommen, statt uns mit seiner sprachlichen Gewalt mitzureißen. Immer wieder blitzte der Wortwitz des Verfassers auf, doch waren diese Momente eher rar gesät, blieb Vieles hinter dem, auf das wir alle hofften, leider ein wenig zurück.

Ähnlich wie in seinem „Weihnachten auf der Lindwurmfeste“ erwartet uns vorliegend ein Briefroman; Mythenmetz schreibt 19 Briefe über seinen Aufenthalt an seinen Freund Hachmed Ben Kibitzer, in denen er diesem seine Erlebnisse, Entdeckungen und Gefühle auf seiner Kurinsel beschreibt. Dass er den Briefen zur Veranschaulichung immer Bleistiftzeichnungen seiner Entdeckungen beifügt, trägt zum Lesegenuss bei.

Und Hurra, da ist er wieder - der überbrodelnde Ideenreichtum Moers‘, der Wortwitz, die Faszination, die von den Anspielungen ausgeht. Ja, Moers lässt sich Zeit, beginnt den Roman eher verhalten, führt die neue Bühne gemächlich ein. Und ebenfalls zutreffend ist, dass der Mittelteil ein ganz klein wenig zu lang geraten ist, doch in Richtung Finale ist dann wieder all das - solange schmerzlich vermisste - wieder da.

Und unser Verfasser nutzt naturgemäß die willkommene Gelegenheit, Reminiszenzen an unsere reale Welt einzubauen.

Als Nordlicht - Moers lebt in Hamburg - weiß er, wie es zugeht in den mondänen Städtchen auf Deutschlands angesagtesten Inseln. Diese Steilvorlage nutzt er voller Verve aus, um die Eigenheiten der Schönen und Reichen (oder zumindest derjenigen, die sich dafür halten) zu porträtieren; die erfolgreichen Versuche der Insulaner, die zum Teil arg überheblichen Gäste wenigstens monetär bluten zu lassen. Hier dient ihm unser Mythenmetz als wunderbares Vehikel, während dieser die Insel erkundet, seine Kuranwendungen hat und Begegnungen der Lovecraft‘schen Art über sich ergehen lassen muss (Hildegunst muss, man stelle sich dies einmal vor, doch tatsächlich auch noch Schwimmen lernen - als bekennendes Wüstenwesen!).

Das Besondere sind natürlich die vielen Bleistiftzeichnungen, die uns die Funde, Abenteuer und Inselbesonderheiten vor Augen führen.

Das Buch selbst ist sehr umfangreich ausgefallen, wurde auf hochwertigem Papier gedruckt und reichhaltig illustriert. Aus diesen Gründen ergibt sich auch der Preis, der mir aber vorliegend gerechtfertigt erscheint.

Insgesamt also ein neuer Zamonien-Roman voller Orn, der zwar nicht ganz an die allerbesten Romane Moers‘ heranreicht, aber doch wieder zeigt, dass der Verfasser sein Orn wiedergefunden hat. Schon im Buchherbst 2024 wartet ein weiteres Moers-Buch auf uns - hoffen wir, dass es mit vorliegendem mithalten kann.