Ronald Malfi: Tod in Neverland (Buch)
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- Kategorie: Rezensionen
- Veröffentlicht: Freitag, 18. Februar 2011 18:20
Ronald Malfi
Tod in Neverland
(The Fall of Never)
Aus dem amerikanischen Englisch übersetzt von Michael Krug
Titelillustration von Pawel Gaul
Otherworld, 2011, Paperback mit Klappenbroschur, 510 Seiten, 16,95, ISBN 978-3-8000-9537-7
Von Carsten Kuhr
Kelly Rich lebt mehr schlecht als recht in New York. Hier, in der Metropole die nie schläft, hat sie sich zurückgezogen, man könnte auch sagen: versteckt – vor was aber, das weiß sie selbst nicht ganz so genau. Neben ihrem Alltagsjob betätigt sie sich auch kreativ. Zusammen mit Josh Cavey, ihrem Kameramann, macht sie filmische Portraits von Menschen, die trotz eines einschneidenden Ereignisses oder einer Behinderung mit ihrem Leben zurechtkommen.
Gerade hat sie Nelly, eine alte Dame, die ohne Beine auskommen muss, portraitiert, als sie zu Hause ein Telefonat auf ihrem Anrufbeantworter erwartet. Ihre Eltern, von denen sie nicht einmal wusste, dass diese ihre Nummer hatten, lassen ausrichten, dass sie schnellstmöglich ins elterliche Anwesen zurückkehren soll. Ihre fünfzehnjährige Schwester wurde schwerverletzt im Wald aufgefunden, und liegt seitdem im Koma.
Die Rückkehr gleicht einer Reise in ihre eigene, verleugnete Vergangenheit. Während Josh, der Nelly bewusstlos nach einem Schlaganfall auffindet, sich im Big Apple rührend um die alte Dame kümmert, die in der Folgezeit besondere übersinnliche Gaben offenbart, muss Kelly sich mit ihrem gefühlskalten Elternhaus und ihren vergessenen Erinnerungen auseinandersetzen. Just als sie fünfzehn war, wiesen ihre Eltern sie in eine Nervenheilanstalt ein. Drei lange Jahre ohne jeglichen Besuch oder Kontakt zu ihrer Familie verbrachte sie dort, drei Jahre Martyrium, doch den Grund ihrer Einweisung hat sie vergessen. Nun drängen, langsam aber unaufhaltsam, die Erinnerungen wieder ins Bewusstsein – Erinnerungen, die gefährlich sind, die besser im Verborgenen geblieben wären, die sie, und alle um sie herum, in große Gefahr bringen...
Es ist schon beeindruckend, wie es Ronald Malfi gelingt, sich auf leisen Pfoten ins Bewusstsein des Lesers zu schleichen. Zunächst stellt er uns, noch ganz in der oftmals tristen Realität fußend, seine Personen vor. Behutsam fast gleitet die Handlung dann über die Offenbarungen, die Kelly bevorstehen, und der Prophezeiungen der beinlosen Nelly ins Surreale ab. Dabei nutzt der Autor geschickt bekannt Versatzstücke gängiger Weird-Fiction-Texte. Das verfluchte Haus, die Bestie im Wald, das sind Sujets, die dem Leser immer wieder begegnen. Malfi aber nutzt diese auf ganz eigene Art, wandelt sie für seine Zwecke ab und fügt sie zu einem frischen Ganzen zusammen. Dabei punktet er durch die tiefgründige Zeichnung seiner Gestalten, von denen er jede mit einer ganz eigenen Ausdrucksweise ausstattet.
Wie in jedem guten Horror-Roman – und „Tod in Neverland“ ist definitiv einer der besten Horror-Romane der letzten Jahre – geht es vorliegend um große Gefühle. Einsamkeit ist hier an erster Stelle zu nennen, Angst, die Furcht vor dem Unbekannten, das jenseits einer jeglichen Grenze liegt. Geschickt, nie plakativ oder oberflächlich, immer ruhig aber intensiv nähert er sich seinem Finale an, in dem er dann, überraschend und so nicht vorhersehbar, die Puzzleteile zu einem sinnvollen Ganzen zusammenführt.
Das liest sich frisch und eigen, besticht auch stilistisch und atmosphärisch, wobei ich nochmals die Zeichnung der Figuren herausheben darf, die den Leser atemlos, mit klopfendem Herzen aber auch befriedigt zurücklässt – eine Empfehlung!