Alexander Moritz Frey: Das Haupt der Gorgo (Buch)
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- Kategorie: Rezensionen
- Veröffentlicht: Donnerstag, 29. Juni 2023 15:28

Alexander Moritz Frey
Das Haupt der Gorgo
Titelbild und Innenillustrationen: Jörg Neudhardt
Edition Dunkelgestirn, 2023, Hardcover, 144 Seiten, 28,50 EUR
Rezension von Carsten Kuhr
Eric Hantsch legt uns ein neues, wiederum handwerklich sehr gediegen gestaltetes bibliophiles Werk in seiner Edition Dunkelgestirn vor. Erneut fruchtet die Zusammenarbeit mit dem Phantastik-Kenner Lars Dangel, der die Auswahl und Editierung verantwortete und zudem ein informatives Nachwort beisteuerte.
Dieses Mal hat sich Lars Dangel mit dem Oeuvre Alexander Moritz Freys beschäftigt. Ein Verfasser, der in Abhandlungen immer wieder als einer der Wegbereiter des Schauerlich-Makabren seiner Ära gelobt wird.
Nachdem der Herausgeber in „Abseits der Geographie“, eine seiner Anthologien bei Dunkelgestirn, schon einmal eine Erzählung Freys („Lawinensport“) wiederveröffentlichte, hat er vorliegend weitere neun Geschichten Freys mit phantastischen Sequenzen ausgewählt und für die Wiederentdeckung zusammengefasst.
Auffallend dabei, dass Dangels profundes und detailreiches Nachwort mit über 60 Seiten fast so lang ausgefallen ist, wie der Platz, den die Storys einnehmen. Dass der Herausgeber sich hier ein wenig dazu hinreißen lässt, seines Erachtens falsche Einschätzungen und Behauptungen von Kollegen richtigzustellen, dabei mit seinem immensen Wissen und sorgfältig recherchierten Fakten seine Ausführungen zu begründen, hätte jeder wissenschaftlichen Abhandlung gut zu Gesicht gestanden, erschlägt aber den „Nur-Leser“ und Phantastik-Freund fast ein wenig.
Dabei untermauert er seine Behauptung minutiös, dass Frey eher ein genialer gesellschaftskritischer Autor mit dem Auge für Personen war, als der große Phantast. Wie schreibt Dangel so treffend: „Frey berichtet von Einzelschicksalen, in denen außergewöhnliche Begebenheiten zu einer Tragödie führen. Die Ursachen sind, ganz wie im realen Leben, oft nicht vorhersehbar und die Auswirkungen in ihrer Gewalt daher umso schwerwiegender.“ (Seite 92).
Was aber erwartet uns im Einzelnen?
Den Reigen eröffnen drei Geschichten um Professor Lautenschlag. Zunächst zwingt der Karneval den Forscher doch auszuprobieren, ob das Ausbrüten eines Eies durch ihn das daraus schlüpfende Wesen vielleicht verändert? In der zweiten Geschichte züchtet unser Professor ungiftige Wanzen, mit denen er die gefährlichen Insekten zu ungefährlichen Tieren umprogrammieren möchte. Zur Erbauung des staunenden Publikums versetzt er danach diverse Eisberge aus der Arktis in die frühlingshaften Gefilde der Adria - mit unerwarteten Folgen.
Ein Dämon sucht die Erde heim - und vertauscht kurzerhand die Herzen von Mensch und Hund - mit gar unglaublichen Folgen, was das Verhalten der beiden Opfer anbelangt.
Das vom Mond reflektierte, besondere Licht soll der Menschheit als zusätzliche Helligkeitsquelle dienstbar gemacht werden. Eine Expedition bricht zum Trabanten auf, um zunächst einen Teil der Mondes mit einer stark reflektierenden Farbe zu streichen.
Beelzebub, der Diktator der Hölle, betritt zum Faschingsfest, an dem alle Teilnehmer verkleidet sind und seine körperlichen Besonderheiten als Maskerade durchgehen, die Erde. Um seine anatomischen Besonderheiten zu kaschieren, tauscht er diese kurzerhand mit einem menschlichen Opfer - der mit Pferdebein zurückbleibt.
Ein Erfinder konstruiert ein Gerät für Ferntötungen. Man drückt auf den Knopf, natürlich nachdem man das Opfer auserwählt hat, und schon ist Letzteres, wo auch immer es sich befindet, mausetot. Als die Militärs seine Erfindung an sich reißen wollen, steht unser rechtschaffenen Erfinder vor einem Dilemma.
Miss Marga, das Mädchen mit den Nervenhaaren, steht im Zentrum der titelgebenden nächsten Erzählung. Eine Frau, die ihr langes Haar zu dirigieren weiß, die damit auch unliebsame Opfer ersticken kann - und danach vor Gericht auf unschuldig plädiert.
Schwangerschaften gehen in aller Regel rund neun Monate. Was aber, wenn die werdende Mutter Monate über der Zeit ist? Man holt das doch etwas ungewohnte Kind - vorliegend ein Fötus in einem Ei - und steckt es in einen Brutkasten. Was herauskommt ist…
Alle recht kurzen Erzählungen überraschen durch einen seltenen Ideenreichtum, einer unerwarteten Wendung oder Pointe und einer auch heute noch interessanten Idee. Wie Dangel zu Recht konstatiert, widmet sich der Verfasser dabei auch en passant immer wieder der durchaus kritischen Zeichnung seiner Artgenossen, gesellschaftlicher Umgangsformen und Konventionen. Auch die Warnung vor dem Nationalsozialismus, die den Autor später zur Flucht aus Deutschland zwang, fließt ansatzweise mit ein.
So ist auch dies erneut ein Buch, das uns einen zu unrecht fast vergessenen Autor vorstellt, der seine eigenen Fußabdrücke im Bereich des Unheimlichen hinterlassen hat; und dies wie gewohnt in handwerklich toller Qualität und gewollt ohne Gewinnabsicht sehr moderat kalkuliert.