Rachel Caine: Tinte und Knochen - Die Magische Bibliothek 1 (Buch)

Rachel Caine
Tinte und Knochen
Die Magische Bibliothek 1
(The Great Library - Ink and Bone, 2015)
Übersetzung: Beate Brammertz
Heyne, 2023, Hardcover, 508 Seiten, 18,00 EUR

Rezension von Carsten Kuhr

Wir lernen unseren Erzähler Jess, in seiner Heimatstadt London kennen. Wie überall auf der Welt regiert auch hier de facto die Alexandrianische Bibliothek und dessen Archivar. Der Besitz von echten Büchern ist, wie überall, streng verboten. In den persönlichen Blankobüchern stehen jedem Kopien allen menschlichen Wissens zur Verfügung. Dennoch, die Menschen wollen, auch und gerade weil es verboten ist, echte Bücher besitzen. Zumal der Leitspruch der Bibliothek, „Tota est scientia“ - „Wissen ist alles“ -, nicht wirklich stimmt: Die Erfindung eines Deutschen namens Gutenberg wird zum Beispiel gewaltsam unterdrückt, der Erfinder final entsorgt.

In dieser Welt hat sich Jess’ Familie auf den illegalen Handel mit Büchern spezialisiert - seinen älteren Bruder hat dies bereits an den Galgen gebracht, und auch ihm droht dieses Schicksal, wenn man ihn erwischt. Als er sechzehn wird, sorgt sein Vater dafür, dass er als Spion und Dieb an die legendäre Bibliothek von Alexandria gesandt wird. Hier muss er sich gegen die anderen Postulanten durchsetzen, wird von einem der erfahrensten Bibliothekare geschleift und getriezt.

Als Oxford von den angreifenden Walisern eingeschlossen wird, entsendet die Bibliothek die Studenten, um die Bücher aus der umkämpften Stadt zu retten - und Jess und seine Kommilitonen müssen erkennen, dass die Bibliothek so Manches wohl gehütete Geheimnis besitzt…


Die 2020 viel zu früh verstorbene Rachel Caine hatte mit ihrer fünfteiligen Reihe um die Magische Bibliothek Neuland betreten. Statt, wie wir dies aus ihren anderen Büchern gewohnt waren, im phantastisch aufgepeppten Hier und Jetzt auf Urban-Fantasy-Wegen zu reisen, verlegte sie ihre Handlung in einer Parallelwelt des Jahre 2025. Eine Welt, in der Wissen alles ist und damit die, die dieses Wissen verwalten und Zuteilen, die Mächtigsten der Welt sind. England und Wales liegen im Krieg, es gibt Aufständische, die sich selbst aus Protest vor den Vorschriften mit griechisches Feuer opfern; es ist eine düstere Welt, eine Welt, die unter der Vorherrschaft der Bibliothekare stöhnt und von deren belebten, mechanischen Automaten beherrscht wird.

Verklärt greift die Verfasserin hier natürlich die Frage auf, welche Art von Büchern vorzuziehen ist. Hier die gedruckten Exemplare, die schwer in der Hand liegen, die man haptisch erleben kann - dort das elektronische/gespiegelte Werk, das man auf dem Tablet/Reader oder Blankobuch lesen kann. Und sie zeichnet ein beeindruckend intensives Bild einer totalitären Macht, die zur Sicherung ihres alles umfassenden Machtanspruchs bereit ist, alles und jeden zu opfern - inklusive ihrer eigenen Vorgaben und ihres Gewissens.

Der Auftaktband verlangt vom Leser Einiges ab. Die Schöpfungen und Begriffe werden kaum erklärt, muss man sich selbst erschließen und sich nach und nach in dieser, uns so fremden Welt zurechtfinden. Umso plastischer nehmen dann die Schauplätze Gestalt an. Sei es London, Oxford oder Alexandria (Bibliothek) - hier tauchten vor meinen Augen die entsprechenden Kulissen auf.

Die Figuren werden uns nach und nach vorgestellt, der Kreis der handlungsrelevanten Personen erweitert. Dabei wandelt sich die Zeichnung von Figuren peu a peu, erfahren wir mehr über die jeweiligen Hintergründe, die Motivation und damit das Verhalten der jeweiligen Rolle.

Der Verlag hat keine Mühe gescheut, das Buch aus dem Gewohnten hervorzuheben. Ein wunderbar passendes, geprägtes Cover, Hardcoverbindung, dazu Rundumfarbschnitt, der das Motiv des Deckels aufnimmt - das weckt das Interesse, doch einmal zu ausgerechnet diesem Band zu greifen. Natürlich endet das Buch mit einem dramatischen Finale - hoffen wir, dass wir nicht zu lange auf Band 2 warten müssen.