Anthony Ryan: Der Paria (Buch)
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- Kategorie: Rezensionen
- Veröffentlicht: Mittwoch, 22. Februar 2023 19:03
Anthony Ryan
Der Paria
Der stählerne Bund 1
(The Pariah, 2021)
Übersetzung: Sara Riffel
Hobbit Presse, 2023, Hardcover, 718 Seiten, 26,00 EUR
Rezension von Carsten Kuhr
„Alle geborenen Mörder sind Gesetzlose, aber nicht jeder Gesetzlose ist ein geborener Mörder.“ (Seite 610)
Darf ich mich vorstellen? Alwyn Scribe, der Name - ich hatte ein, nun, nennen wir es einmal ein doch recht interessantes Leben, von dem ich berichten will. Geboren als Bastardsohn eines Adeligen, der seinen Saft nicht bei sich halten konnte, wuchs ich in einer Burg auf. Nun kommen Sie mir aber nur nicht mit seidenen Laken oder höfischer Erziehung. Ich durfte Monatelang den Eber über dem Feuer drehen, bis mein Rücken fast so durch war, wie das Borstenvieh. Später kam ich als Junge für Alles ins Hurenhaus, bevor ich im Wald ausgesetzt wurde. Dort fand mich der König der Räuber, wie er selbst sich nannte, und ich schloss ich mich den Banditen Deckin Gerthes an.
Ein paar Jahre lang war mein Lebensunterhalt als Gesetzloser mit Überfällen, und ja auch Morden gesichert. Dann wurden wir verraten, ich gefangengenommen, als Häftlingssklave in einen unterirdischen Steinbruch verschleppt, aus dem mir, nachdem mich eine Priesterin im Schreiben, Lesen, Planen und Denken unterwiesen hat, die Flucht gelang.
Ich schloss mich einer klerikalen Heerführerin, vielleicht die einzige auf Erden wandelnde Heilige an, wurde selbst zum Krieger, Spion und Schreiber - bis ich den angreifenden Horden der Ascarlianer im kalten Fjordland gegenüberstehe und mir gar Unerklärliches widerfährt - und dies ist erst der Beginn meiner Lebensbeichte…
Was ist das für ein Auftakt-Roman aus der Feder Anthony Ryans? Man kann die Handlung unschwer in die Rubrik Grimdark einordnen; uns erwartet einmal mehr die Lebensbeichte eines Kriegers.
Statt uns dieses Mal aber erneut mit großen Schlachtengemälden zu verwöhnen, geht Ryan einen anderen, einen leiseren, nichtsdestotrotz aber auch faszinierenderen Weg. Unser Ich-Erzähler ist ein schlagfertiger Bursche, der so Allerelei erdulden und erleiden musste. Blutigen Verrat, Folter, Gefangenschaft - das Übliche eben. Dass er, intelligent wie er ist, seine Chancen auf Bildung nutzt, dass er reift, spiegelt sich nicht nur in seinem Verhalten sondern auch im Denken wider.
Zunächst reiht er sich fast nahtlos in die bisherigen Ryan’schen Protagonisten ein. Männer mit moralisch eher weitem Kompass, die alles tun, um in der grausamen, blutigen Welt, der sie ausgesetzt sind, zu überleben. Der Verrat, der letztlich zum Verlust des Ziehvaters führt, katapultiert nicht nur die Handlung voran, sie hebt auch unseren Erzähler auf ein anderes Level. Der Verlust von Sympathieträgern zeichnet ihn, beschleunigt die Entwicklung vom Jungen zum Mann. Dabei ist er nie der Anführer, steht zumeist in der zweiten Reihe, trifft aber immer wieder auf bedeutende Ereignisse, die er beeinflussen kann.
Seine ihm innewohnende, zunächst ungenutzte dann erschlossene Intelligenz macht ihn zum idealen Protagonisten. Wir wissen, dass er die Fährnisse, von denen er uns berichtet überlebt, das Wie und die Hintergründe sind das Interessante. Dabei ist sein Gewissen durchaus dehnbar, agiert er immer wieder menschlich-impulsiv, ja unbeherrscht und muss die daraus resultierenden Konsequenzen dann tragen.
Der Plot selbst ist wunderbar unauffällig geplant. Immer wieder tauchen Figuren am Rand auf, die Kapitel später bedeutendere Rollen einnehmen, zeichnet der Verfasser interessante, weil geschundene Charaktere. Dabei nimmt er auch die Rolle der Religion gekonnt ins Visier, prangert immer wieder Selbstsucht und Habgier im Deckmäntelchen des Mitgefühls der Honoratioren und Adeligen an.
Die Magie begnügt sich mit einer Rolle in der zweiten, dritten Reihe - immer präsent, nie aber deutlich im Fokus oder grell beleuchtet. Sie fügt sich nahtlos ein in eine mittelalterlich-archaische, brutale Welt, in der das Recht des Mächtigeren, oftmals das des Stärkeren gilt. Dabei inkludiert der Autor regionale Unterschiede in der jeweiligen Geschichte, des Volksstammes und der religiösen Überzeugungen. Das wirkt in sich stimmig weil vielfältig, hat Tiefe und innere Überzeugungskraft.
„Der Paria“ ist Anthony Ryans bislang bester Roman, ja ich wage zu behaupten, (s)ein Meisterwerk!