T. L. Huchu: Die Bibliothek von Edinburgh (Buch)

T. L. Huchu
Die Bibliothek von Edinburgh
(The Library of the Dead, 2021)
Übersetzung: Vanessa Lamatsch
Penhaligon, 2022, Paperback, 382 Seiten, 16,00 EUR

Rezension von Carsten Kuhr

Ropafadzo, kurz Ropa genannt, lebt in Edinburgh. Nun wäre dies ja nichts wirklich Bemerkenswertes, wenn unsere fast 15jährige nicht das Talent ihrer Großmutter geerbt hätte und sich mit den Toten, die noch nicht weitergereist sind, unterhalten könnte!

Die Zeiten nach der großen Katastrophe sind für alle mehr als schwierig. So ist es an ihr, die schwerkranke Oma und ihre jüngere Schwester durchzubringen. Mit Hilfe ihrer Mbira, einem traditionellen afrikanischen Musikinstrument und manches Mal begleitet von dem Fuchs, der unter ihrem Wohnwagen haust, überbringt sie Botschaften der Verblichenen. Und dies natürlich gegen klingende Münze.

Sie hat schmerzhaft lernen müssen, sich nur um ihre eigenen Angelegenheiten zu kümmern und niemals etwas umsonst zu tun, sonst wird ihre Familie darben. Doch als eine verstorbene Mutter sie inständig bittet, ihren vermissten Jungen zu suchen, erinnert sie sich an das Credo ihrer Oma: „Verlier dich auf keinen Fall in der seelenlosen Jagd nach Geld. Gerade in schweren Zeiten, wenn wir selbst nichts haben, dürfen wir nicht vergessen, dass es höhere Tugenden gibt, sowas wie Mitgefühl, Freundlichkeit und Solidarität“ (Seite 57).

Dumme Idee, wirklich bescheuert, kommt sie doch einem Verbrechen auf die Spur, das niemand gelöst haben will. Kinder armer Menschen verschwinden scheinbar spurlos, nur ganz wenige tauchen wieder auf - allerdings hat ihr nach wie vor kindlicher Körper den Kopf eines greisen Menschen, und sie erkennen ihre Liebsten nicht mehr. Nun ist es an Ropa und ihren wenigen Freunden dem Unrecht entgegenzutreten, auch wenn ihre Chancen, dies zu überleben, gegen Null tendieren…


Band 1 der „Edinburgh Night“-Saga eines gewissen T. L. Huchu - und nein, dies ist kein Anagramm eines Lovecraft’schen Gottes, er heißt wirklich so - liegt vor mir. Mit einem Blurb von Ben Aaronovitch versehen präsentiert hier ein ehedem aus Simbabwe nach Schottland gekommener Autor den Auftakt einer Urban-Fantasy-Reihe, deren zweiter Band bereits für November bei Penhaligon in Vorbereitung ist.

Großbritannien hat harte, hier nur am Rande angedeutete Zeiten hinter sich. Die Schotten scheinen rebelliert zu haben, wurden besiegt und dürfen nun auf Schritt und Tritt den König hochleben lassen und ihm eine lange Regierungszeit wünschen. Armut, Not und Verzweiflung haben sich in den Gassen Edinburghs eingenistet, um dort zu bleiben. In diese Kulisse stellt der Autor ein junges, naseweises und mutiges Mädchen als Erzählerin. Ihre besondere Begabung, mit den Toten zu sprechen und für diese Botengänge zu verrichten, macht sie interessant, ihre verantwortungsvolle und aufopfernde Rolle als Ernährerin der Rest-Familie lässt sie uns schnell ans Herz wachsen.

Was zu Beginn ein wenig braucht, um in Gang zu kommen, das nimmt - sobald die Situation die Figuren und den Konflikt einmal installiert sind - dann ab der Mitte des Romans deutlich an Fahrt auf. Die Rätsel rücken ins Zentrum, Ropa bekommt mehr oder minder begeistert Unterstützung auch durch eine geheime Bibliothek, in der Schriften über angewandte Magie aufbewahrt und den natürlich begüterten Eleven das Wissen gelehrt werden, die dargestellte Welt wird immer dezidierter ausgebaut. Hier kommt das zu Beginn vermisste Tempo auf, wird der Plot faszinierender und packender.

Ein wenig zu kurz kamen mir die doch sehr dosiert eingestreuten afrikanischen Anspielungen. Außer der Mbira, die der Verfasser selbst auch zu spielen weiß, kommt hier leider relativ wenig. Hier besitzt die Reihe deutliches, noch nicht erschlossenes Potential uns von einer anderen Kultur, einem anderen Zugang zum Sterben und zum Tod zu berichten.

Am Schluss erwartet die Leserinnen und Leser ein befriedigender vorläufiger Abschluss, der Appetit auf den zweiten Teil weckt.