Maddrax 591: Nachbeben, Christian Schwarz (Buch)

Maddrax 591
Nachbeben
Christian Schwarz
Bastei, 2022, Romanheft, 68 Seiten, 2,10 EUR

Rezension von Matthias Hesser

Ein wenig eingeklemmt von zwei epischen Zweiteilern, präsentiert Bastei eine grandiose “Maddrax”-Folge. Das bereits erschienene Doppelheft erzählt den Kampf der Menschheit um den Flächenräumer, das bald kommende das Schicksal des Neo-Bararen Rulfan auf einer Parallelerde. Doch Christian Schwarz' Serienbeitrag braucht sich hinter soviel Bombast nicht zu verstecken, zumal auch in „Nachbeben“ großes Besteck zum Einsatz kommt. 

 

Ein politisches Ringen zwischen Wahrhaftigkeit und der Aufrechterhaltung des Status quo hat apokalyptische Folgen für Cancriss, den Heimatplaneten der Pancinowa. Bereits seit Jahrhunderten halten die Pacinowa einen Oquun, will heißen eine Art intelligenten Asteroid, gefangen. Die Energie, die sie ihm stehlen, garantiert einen gigantischen Wohlstand und ein technisches Niveau, das schlicht atemberaubend ist. Von Präsidentschaft zu Präsidentschaft wird das Staatsgeheimnis also streng gehütet, denn der ethische Preis ist enorm: Nicht nur werden die Arbeitenden, die den High-Voltage-Klops bewirtschaften, als vermeintliche „Auswerwählte“ in Unwissenheit und Isolation gehalten; auch der Wandler selbst erlebt, in einen tranceartigen Zustand versetzt, eine alptraumhafte Dauerschleife. Angst macht offenbar ergiebig. Eine gesellschaftliche Bewegung, die endlich Aufklärung über die alten Gerüchte vom „Gott im Eis“ fordert und akribisch Indizien sammelt, wird als Verschwörungstheoretiker diffamiert. Ihnen nahe steht das Ratsmitglied Dibanjo, das seine Chance gekommen sieht, den konservativen Präsidenten Lepmurt abzulösen. Als ein sensationeller Museumsfund den Verdacht erhärtet, dass die pancinowische Geschichte umgeschrieben werden muss, stehen sich zwei Machthungrige gegenüber, von denen keiner sonderlich sympathsich ist.


Aus jeder Pore der Heftromanserie kann man den Showdown schon riechen, der zum Jahreswechsel den Zyklus beschließen wird. Für die dann folgendende Nummer 600 hat Redakteur Michael Schönenbröcher alias Mad Mike einige Veränderungen angekündigt; da gilt es also nun, eine Vielzahl von Handlungsfäden zu einem schlüssigen Ende zu führen. Kein Wunder, dass sich da der Blick auf die kosmischen Zusammenhänge weitet; und dass sich das Ergebnis dann eher wie Blockbuster-Kino denn wie Bahnhofsliteratur liest, gefällt mir außerordentlich.

Die spannende Prämisse gipfelt nicht nur in einem atemberaubenden Finale, sondern spiegelt auch eine brisante gesellschaftliche Frage: Der Eine wahrt Wohlstand und Frieden in einer Gesellschaft um den Preis von Ausbeutung und Verschleierung. Der Andere fordert Wahrhaftigkeit und Gerechtigkeit, setzt dabei aber in einer bestürzenden Mischung aus Machthunger und Naivität das Überleben einer ganzen Zivilisation aufs Spiel. Diese fiktionale Zuspitzung aktueller Debatten angesichts der derzeitigen multiplen Krisen ist äußerst gelungen. Zusammen mit Christian Schwarz' meisterhaftem Erzählton ist „Nachbeben“ ein wahrer Höhepunkt des aktuellen Zyklus.

Viel Weltraum-Oper, interstellare Erzähllinien, kosmischen Entitäten, Fremdwelten, Aliens, weite Wege durch Zeit und Raum: Im Fandom wird zur Zeit vermehrt diskutiert, was eigentlich noch „typisch Maddrax“ ist. Im Moment sei die Reihe, so lauten einige Stimmen, mehr „Perry Rhodan“ als „Perry Rhodan“ selbst. Andere weisen zu Recht darauf hin, dass eine Romanserie sich über einen Zeitraum von fast 23 Jahren natürlich verändern muss.

Entspringt die Sehnsucht vieler Leser (ich schließe mich selbst nicht aus) nach waghalsigen Ritten auf Frekkeuschern, Lischettenpampe im Mutantenschungel und dem immer wieder staunenden Blick, was aus unserer schönen Erde 500 Jahre nach dem Asteroideneinschlag für ein bizarrer Wisaau-Haufen geworden ist, bloß einem nostalgischen Reflex, der, käme das Autorenteam ihm tatsächlich nach, eher für Gähnen als Spannung sorgen würde? Das größte Pfund von „Maddrax“, finde ich nach einigem Nachdenken über diese Frage, ist und bleibt jedenfalls der Humor und die Experimentierlust der Serie. Ohne diese Komponente wäre ich sicher nicht so lange dabeigebelieben. Daher ist das Typischte an MX vielleicht: Die Überraschung. Der Genre-Mix garantiert eine nimmerleere Wundertüte, und wenn sich die Gewichtung mal von Low Fantasy und Horror (mag ich sehr) zu Military Action und Weltraum-Spektakel (weniger mein Ding) verschiebt, ist das absolut okay. Wichtig ist vielmehr, dass ich nie genau wissen kann, was mich im nächsten oder übernächsten Heft erwartet. Und nicht jeder erzählerische Versuch, jeder Plot, jede Wendung muss dabei gelingen, das ist auch ganz wichtig. Lieber mutig danebenhauen, als pflichtschuldig dem Schema F folgen. Oder, wie ein weiser Mann mal sagte: Wer immer dem Publikum nachläuft, sieht ohnehin nur seinen A...llerwertesten.