Max Gladstone: Zwei Schlangen lauern - Kunstwirker-Chronik 2 (Buch)

Max Gladstone
Zwei Schlangen lauern
Kunstwirker-Chronik 2
(Two Serpents Rise, 2013)
Übersetzung: Helga Parmiter
Titelbild: Chris McGrath
Panini, 2022, Paperback, 410 Seiten, 17,00 EUR

Rezension von Carsten Kuhr

Als die Stadt Dresediel Lex vor Jahrhunderten in der Wüste gegründet wurde, ahnte wohl niemand, dass sie eines Tages Millionen Menschen beherbergen würde. Bis zu den Götterkriegen sorgten die allmächtigen Götter dank regelmäßiger Menschenopfer für turnusmäßige Feuchtigkeit vom Himmel, seitdem entsalzt man Meerwasser und führt unterirdische Vorkommen über Aquädukte heran. Letzteres erfordert nicht nur komplizierte Maschinen, auch die Thauma, die zum Betrieb eingesetzt werden, fehlen an anderer Stelle.

Calebs Vater war, eigentlich ist, einer der Hohepriester der geschassten Götter. Seitdem der Rotkönig die letzten Götter vernichtet hat, ist er auf der Flucht. Vorher aber hat er seinem Sohn noch die Macht der Alten zukommen lassen - die vielen Narben am Körper legen beredt Zeugnis davon ab.

Caleb hat lange schon mit seinem Vater gebrochen. Als Risikomanager im mittleren Management des Rotkönig-Konsortiums (RKK) sorgt auch er dafür, dass die Stadt das lebensnotwendige Nass zuverlässig erhält. In seiner Freizeit geht er ganz im Spiel auf; sein Laster: der Flirt mit der Göttin des Pokers.

Als Schattendämonen bei einem Wasser-Reservoir auftauchen ist es am Problemlöser Caleb, der Sache auf den Grund zu gehen. Als er dabei eine faszinierende Frau kennenlernt, die in ihrer Freizeit als Klippenläuferin über den Dächern und aufgegebenen Gebäude schwebt, ahnt er noch nicht, dass diese das Bindeglied zu einer existenziellen Bedrohung für die Stadt und ihre Bewohner darstellt.


Dieselbe Welt, eine ganz andere Kulisse und neue Protagonisten erwarten die Rezipienten im vorliegenden zweiten Band der „Kunstwerker-Chroniken“. Dabei nimmt der Plot deutliche Anleihen an der antiken Maya-Kultur, transferiert diese in die faszinierend andere Welt des Verfassers. Es gibt riesige Pyramiden, auf deren Spitze seit Jahrtausenden mit Obsidianmessern Menschenopfer zu Ehren der Götter getätigt wurden, auf riesigen Couatl, geflügelten Schlangen, reisen unsere Erzähler durch die Lüfte. In dieser Welt, genauer gesagt in der Metropole Dresediel Lex, siedelt Gladstone dann seinen verschachtelten Plot an.

Es geht natürlich um die Ablösung der alten Götter durch deren de facto Nachfolger, unsterblich gewordene Kunstwirker, um Intrigen und Verrat, um Macht und Verantwortung. Das sind große Worte, die der Autor mit Leben hinterfüttert.

Das Faszinierende an diesem Roman gegenüber dem Auftaktband ist sicherlich das Setting und die wenigen, vielschichtig beschriebenen Figuren. Der Moloch von Stadt, die sich uns langsam, fast bin ich geneigt zu sagen behutsam offenbarende Geschichte der Metropole und ihrer Bewohner während der Götterkriege, der unsterbliche König, nur mehr ein lebendiges Gerippe, die Abstammung unseres Erzählers - das alles trägt zur Faszination bei.

Nach und nach erschließen sich uns immer neue Details, werden Geheimnisse gelüftet und Zusammenhänge und Abhängigkeiten sichtbar. Das ist ein interessantes Bild, das sich ähnlich wie ein Puzzle zusammensetzt, von einer Stadt, die über ihre Verhältnisse lebt, die droht, ihre Ressourcen ohne Rücksicht auf die Umwelt und ihre Nachbarn zu verbrauchen - etwas, das der Autor aus unserer aktuellen Situation sehr geschickt weil unauffällig hat einfließen lassen. Dabei bietet sich die Gesellschaft selbst als divers an, verblüffen die Figuren, allen voran der ambivalent gezeichnete Erzähler,aber auch der Rotkönig, über den ich gerne noch mehr erfahren hätte.

So bietet dieser Roman das Bild einer faszinierend anderen Welt, die mit ähnlichen Problemen zu kämpfen hat wie wir in unserer Realität, die aber durch die Rückbeziehung zu den Maya auf einer gänzlich andere Grundlage fußt und die überraschende Wendungen mit Gesellschaftskritik und Spannungsmomenten vereint.