David Falk: Der letzte Krieger - Athanor 1 (Buch)

David Falk
Der letzte Krieger
Athanor 1
Titelbild: Timo Kümmel
Atlantis, 2020, Hardcover, 570 Seiten, 24,90 EUR (auch als eBook erhältlich)

Rezension von Irene Salzmann

Athanor, der letzte Krieger, ist der letzte lebende Mensch Theroias. Er schlägt sich als Händler durch, indem er Fundstücke, Beute und Waren zwischen jenen Völkern verhökert, die ihm nicht schon aus Prinzip feindlich gesinnt sind. Nur um sich selbst vor potentiellen Verfolgern zu schützen, greift er eine Gruppe Orks an und rettet dadurch einem gefangenen Troll das Leben. Daraufhin wird er von einigen Elfen, in deren Diensten Orkzahn steht, gezwungen, ihnen nach Ardarea zu folgen, um die verstörenden Beobachtungen zu bestätigen, welche auch die Späher gemacht haben: Das Land verändert sich, die Tiere und selbst die Orks scheinen vor etwas zu fliehen.

Aufgrund der gemeinsamen Geschichte ihrer beider Völker wird Athanor voller Misstrauen empfangen, doch die Elfen brauchen ihn, da er leidlich gute Beziehungen zu den Zwergen unterhält. In Begleitung der Heilerin Elanya und dem Grenzwächter Davaron soll er Waren gegen Erzeugnisse der Zwerge tauschen, welche die Elfen selbst nicht herstellen können und von denen sie sich in dem möglicherweise bevorstehenden Kampf großen Nutzen versprechen. Elanya und Davaron nutzen ihre magischen Gaben, um sich zu tarnen, denn auch zwischen Zwergen und Elfen besteht seit Generationen keine Freundschaft.

Prompt wird Davaron beim Stehlen ertappt, Elanyas Maskerade fliegt ebenfalls auf, und Athanor, obwohl nicht eingeweiht, wird als Verräter arrestiert. König Rathgar verurteilt die Gefangenen, in den aufgegebenen Stollen des Berges Gorgoron selbst nach dem begehrten Sternenglas zu suchen. Der Zwerg Hrodomar, der gerne das Rätsel dieses verfluchten Ortes lösen möchte, begleitet sie aus eigenem Antrieb. Was die Gruppe dort erlebt, fügt sich als weiteres Puzzlestück in das beängstigende Gesamtbild.

Überall stehen die Toten wieder auf und attackieren die Lebenden. Mittlerweile bedrohen sie die Wälder der Elfen und alle, die dort Zuflucht gefunden haben. Die Magie der Verteidiger und selbst das Sternenglas sind jedoch nicht genug, um die Angreifer aufzuhalten. Statt schnellstens eine Verteidigungsstrategie zu entwickeln und die Ursache des Übels zu ergründen, vergeuden die Elfen kostbare Zeit mit Intrigen und Banalitäten. Dieser neue Krieg führt Athanor zurück in seine Heimat, wo das Böse seinen Ursprung zu haben scheint.


Einige Jahre nach dem ersten Erscheinen der „Athanor“-Saga bei Piper offeriert der Atlantis Verlag die vier Bücher in neuer Auflage, jeweils ergänzt durch verschiedene Extras: zu den Orten der Handlung passende Karten, ein Verzeichnis der jeweiligen Akteure, ein „Ardaia-Lexikon“, das Mythen, Völker, Begriffe und so weiter erklärt, ein Werkstatt-Bericht, ein Interview, eine Nachlese und eine Story, „Athanor - In der Arena“, die zuvor „nur“ in einer Anthologie abgedruckt worden war.

Wer den ersten Band in die Hand nimmt und zunächst denkt, „Oje, was für ein Ziegelstein…“, wird sich nach einigen Seiten freuen, dass er das Buch trotzdem als Lektüre gewählt hat, da es dem Autor dank seines flotten Stils, interessanten Charakteren, die nicht alle sattsam bekannten Klischees bedienen, und regelmäßig hingeworfenen Andeutungsbrocken schnell gelingt, die Neugierde zu wecken.

Was ist Athanor zugestoßen, und warum wurden alle Menschen ausgelöscht? Welche geheimnisvolle Gefahr bedroht alle Völker, selbst Tiere und Pflanzen, und wodurch wurde sie ausgelöst? Was passierte vor Generationen und entzweite alle Völker, sodass Misstrauen und Hass eine gemeinsame Strategie gegen den Feind vereiteln, ja, nicht mal ein Volk fähig ist, interne Machtkämpfe zurückzustellen? Können die wenigen Personen, die über ihren Schatten springen und Vorurteile überwinden, zum Zünglein an der Waage werden, um das Übel auszulöschen? Welches Schicksal erwartet jene, die Athanors verzweifelten Plan unterstützen?

Erfahrene Leser ahnen früh, welches Geheimnis „Der letzte Krieger“ mit sich herumschleppt, denn die Hinweise sind sehr deutlich. Obwohl er zunächst als Antiheld auftritt und, wie andere auch, von den Elfen für ihre Zwecke benutzt wird, mausert er sich zwangsläufig zur letzten Hoffnung aller Völker, da er über deren Partikularinteressen steht; zum einen, weil er als der letzte Mensch für niemanden Partei ergreift, zum anderen, weil er eine ähnliche Katastrophe knapp überlebt hat und verhindern will, dass die übrigen Völker, die den Menschen damals nicht beigestanden haben, deren Schicksal teilen. Er erkennt die groben Zusammenhänge, doch kann er natürlich nicht alles wissen oder vorhersehen, weshalb er immer wieder improvisieren und sich auf andere verlassen muss, wobei auch der glückliche Zufall mitunter eine Wende bringt.

Die Handlung weist mehrere Schauplätze mit mehr oder minder wichtigen Akteuren auf, die dem Titelhelden zuarbeiten oder durch ihre Aktionen zusätzliche Probleme schaffen. In einigen Fällen gewinnt Athanor Freunde, die ebenfalls das große Ganze sehen und unter Einsatz ihres Lebens wichtige Beiträge leisten, um die Gefahr abzuwenden. Dies erinnert sicher nicht von ungefähr an die populäre Serie „The Walking Dead“ (im deutschen Pay TV ab 2010, im Free TV ab 2012). Allerdings wird das Motiv der wiederaufstehenden Toten mit weiteren Mysterien verknüpft. Gerade zum Ende hin gibt es noch einige Überraschungen.

Die von David Falk geschaffene Welt wirkt wie eine Mischung aus J. R. R. Tolkiens „Der Herr der Ringe“, nordischen und griechischen Sagen. Das liegt zum einen an den Völkern, die hier (Band 1) auftreten - Menschen, Orks, Trolle, Elfen, Zwerge, Chimären (Faune, Harpyien, Greife, Rokkur), Drachen -, zum anderen an der Namensgebung, die ihre Wurzeln auch dort hat - T(he)roia, A(n)valon, Ky(= i)thera, Gorgon(en), Vogel Rokk(ur), Banshees (= Todesfeen). Das klingt alles vertraut und ist zugleich bunt genug, um sich von den Vorbildern aus unterschiedlichen Kulturkreisen abzuheben.

Der Eindruck, dass es sich um eine Verschmelzung überwiegend europäischer Vorlagen handelt, wird dadurch unterstützt, dass die Völker und Einzelcharaktere manche Klischees übererfüllen oder konterkarieren. So ähneln die arroganten, zerstrittenen und nicht immer ehrlichen Elfen mehr den Elben aus dem Düsterwald in „Der kleine Hobbit“ als dem hehren Gefolge von Elrond und Galadriel, die rustikalen Trolle erscheinen schlicht, menschlich und kumpelhaft zugleich, die Zwerge wirken ehrbar und eigentümlich, und die verschiedenen Chimären für allerlei Überraschungen gut.

Selbst die Einzelcharaktere nutzen altbekannte Motive, wo es passt, und ignorieren die Erwartungshaltung der Leser, wann immer sich die Gelegenheit bietet. Hieraus werden vor allem persönliche Konflikte konstruiert, darunter zum Beispiel die Feindseligkeiten zwischen Athanor und Davaron, die vorhersehbaren Sympathien zwischen Athanor und Elanya, die zeitlich begrenzten Bündnisse zwischen Athanor und Orkzahn sowie einigen anderen.

Die ernste, kampfbetonte Handlung wird durch gelegentliche Momente mit eben daraus resultierender Situationskomik und reichlichem Galgenhumor aufgelockert. Sogar ein wenig Romantik fließt mit ein, verwässert jedoch keineswegs die Dramatik. Nicht alle Fragen werden beantwortet, dafür aber die Weichen für das Kommende gestellt. Das Ende des Buchs wird zur Verschnaufpause, denn es geht nahtlos weiter.

„Athanor“ ist kein Nachzieher von „Das Lied von Eis und Feuer“, „Der Herr der Ringe“, „Shannara“ oder sonst einer bekannten und Genre prägenden Fantasy-Serie, und das ist auch gut so, weil nur wenige ‚Kopien‘ an die Originale heranreichen oder sie gar übertreffen, und irgendwann hängen nahezu jedem Fan die Nacherzählungen zum Hals heraus.

Natürlich erfindet David Falk das Rad nicht neu. Er arbeitet mit Klischees, die hier funktionieren, Abwandlungen, Kombinationen daraus und frischen Ideen, die viele Überraschungen bereithalten, sodass man sich gut unterhalten fühlt, selbst wenn man der kriegsbedingten Metzelei nicht viel abgewinnen kann. Das Schicksal der Figuren berührt, und man möchte wissen, wie es weitergeht. Den nächsten Ziegelstein, bitte.