Graham Masterton: Fleisch & Blut (Buch)

Graham Masterton
Fleisch & Blut
(Flesh & Blood, 1994)
Übersetzung: Heiner Eden
Festa, 2021, Hardcover, 650 Seiten, 34,99 EUR

Rezension von Carsten Kuhr

Willkommen in Iowa, mitten im Bible Belts der USA. In diesem Staatengürtel, das von so Manchem verächtlich nur Flyover Country tituliert wird, herrscht noch Recht und Gesetz, leben die Menschen gottesfürchtig von der Scholle. Viehzucht und Landwirtschaft prägen die ländlichen Gemeinden, die Menschen gehören, so sagt man zumindest, eher zu dem umgänglicheren Typus. Ausgerechnet in dieser scheinbaren Idylle bringt Farmer Pearson seine kleinen Kinder brutal ums Leben. Den beiden Jüngsten schlägt er den Kopf vom Hals; seine Älteste verfolgt er durch das Maisfeld, bis er glücklicherweise aufgehalten wird.

Reue zeigt der Kindsmörder keine, eigentlich will er nur zu Ende bringen, was er begonnen hat und auch seine Tochter doch noch töten um das Erbe des bösen Blutes auszulöschen. Als der örtliche Sheriff die Morde untersucht, stößt er auf jede Menge klerikaler Schriften und einige tschechische Überlieferungen. In den Texten geht es um den mysteriösen „grünen Mann“ auch „rastloser Janek“ genannt, der in einer Kutsche und begleitet von einigen Männern die Bauern besucht, besser gesagt heimsucht. Wer ihn bewirtet und seine Frau zur Verfügung stellt, der wird reich belohnt. Wer ihm aber die Tür verweist, dem droht das Unheil. Die Frucht seiner Lenden sieht er als Nahrung für karge Zeiten an. Verrückt, oder?

Der Übersetzer, der im Auftrag des Sheriff-Büros diese Spinnereien vom Tschechischen ins Englische übertragen hat, wird grausam am eigenen Gedärm ermordet aufgefunden - einen Täter gibt es nicht.

Zur selben Zeit wird im nahegelegenen Spellman-Forschungsinstitut am lebenden Objekt geforscht. Die Wissenschaftler studieren das Wesen, das uns Menschen genetisch am Ähnlichsten ist - das Schwein. Sie haben mit „Captain Black“ ein wahres Riesenschwein gezüchtet - drei Meter lang, über einen Meter hoch und dem Menschen ähnlicher, als jedes andere Wesen. Doch ihr Forschungseifer ist noch lange nicht gestillt. Um ihr Werk zu vollenden, wird diesem Schwein menschliche DNA eingepflanzt - ausgerechnet die DNA eines der ermordeten Kinder.

Während eine Tierschutz-Aktivistin zur Erreichung ihrer Ziele noch bereit ist, jegliche Grenze zu überschreiten, beginnt in einem kleine Kaff mitten im Nirgendwo das Unvorstellbare Realität zu werden…


Graham Masterton ist wahrlich ein vielseitiger Autor. Sein Oeuvre umfasst Kriminalromane ebenso wie erotische Werke, dazu hat er dem Horror-Genre immer wieder neue Impulse und wunderbare Geschichten gegeben. Er lebte lange Jahre über in den Staaten, und hat Land und Leute bestens kennengelernt.

Vorliegend erzählt er uns eine Geschichte, die ebenso bizarr, wie pointiert ist, in der ernste Untertöne mitschwingen und die uns, trotz ihres Umfangs, fesselt.

Wohl verpackt in eine ein klein wenig zu lang geratene Geschichte nimmt der Verfasser sich dabei wichtiger Themen an - etwa unsere moderne Gesellschaft, in der der Fleischgenuss immer noch zum täglichen Leben gehört, ohne dass auf eine artgerechte Tierhaltung geachtet wird. Oder die verdrängte Tatsache, dass Massentierhaltung egal welcher Spezies, immer auch Tierquälerei ist. Hauptsache im Discounter stimmt der Preis, dann futtern wir ohne Bedenken Antibiotika im Fleisch, Fischabfälle im Lachs, und Vergammeltes in Huhn und Pute etc.; ich bin kein Vegetarier, habe für mich aber entscheiden, lieber seltener Fleisch zu konsumieren, dafür aber dieses von einer Quelle, bei der ich weiß, wie die Tiere aufwachsen und was ich da zu mir nehme. Und auch die Politik mit ihren Egomanen, ihren Egozentrikern und Bauernfängern wird im Plot gekonnt, und das Jahrzehnte bevor ein Trump es ins Oval Office geschafft hat, porträtiert.

Mit hinein verwoben hat Masterton dann eine sehr clever konstruierte Geschichte um einen grünen Reisenden, die er in der tschechischen Folklore ansiedelt. Ich konnte nicht eruieren, ob es hier ein tatsächlichen Vorbild gibt, die Mär des die ländliche Bevölkerung heimsuchenden Wesens und seiner Begleiter wird aber sehr gekonnt in die Jetztzeit (1994) übertragen.

Dazu gesellt sich ein sehr wirklichkeitsnahes Bild einer amerikanischen Kleinstadt im ländlichen Mittleren Westen der USA, dessen Beschreibung sich stimmig liest und das uns mit zwar ein wenig stereotypen, aber auch passenden Figuren verwöhnt. Eine moderate Kürzung hätte dem Roman, insbesondere im Mittelteil und im furiosen Finale, gut getan, ansonsten ein ebenso packender wie rasanter Masterton.