Carlton Mellick III: Die Kannibalen von Candyland (Buch)
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- Kategorie: Rezensionen
- Veröffentlicht: Freitag, 29. Oktober 2010 10:09

Carlton Mellick III
Die Kannibalen von Candyland
(The Cannibals of Candyland)
Aus dem amerikanischen Englisch übersetzt von Michael Plogmann
Titelillustration von Ed Mironiuk
Festa, 2010, Hardcover, 158 Seiten, 16,80 EUR, ISBN 978-3-86552-095-1
Von Carsten Kuhr
Was einst das Lebkuchenhexenhaus war, das ist in heutiger Zeit die Fortschreibung des etwas anderen Candylands. Stellen sie sich einmal vor, dass die Zuckermenschen wirklich real wären. Einst waren sie nur ein Stamm von Menschenfressern. Und wie kommt man an sein herzallerliebstes Essen am besten heran? Nun, das zarteste Fleisch ist das von Kindern, und diese sind von Süßigkeiten begeistert. Schwupps kommt die megafixe Evolution, und schon sondern zunächst die Hände, später der ganze Körper süßes Naschwerk ab, bevor die früheren Menschen sich ganz in ein im wahrsten Sinne des Wortes ungesundes Naschwerk verwandeln. Nach Lakritze, nach Zimt-Apfel oder Marschmellows schmecken sie, ihre Haut besteht aus hartem Karamelüberzug, die Geschlechtsorgane werden von ihrem süßen Schutz leckend befreit, bevor die Zuckermenschen daran gehen, ein Ei zu zeugen.
Franklin Pierce musste als Kind hilflos mitansehen, wie seine Geschwister von einem Zuckerfrau eingefangen und gefressen wurden. Dass keiner dem exzentrischen Jungen glaubt, stört ihn nur unwesentlich, stattdessen macht er sich auf die Jagd nach den süßen Bedrohungen. Er will der Öffentlichkeit beweisen, dass die Menschenfresser tatsächlich existieren. Doch wie nur kann er die ignorante Obrigkeit von deren Dasein überzeugen? Klar, ein Beweis, möglichst in Form eines getöteten Zuckermenschen, muss her. Als er eines Tages den Zugang zu dem unterirdischen Candyland findet, scheint er sein Ziel erreicht zu haben – bis er in die Gefangenschaft einer Zuckerfrau gerät und sich als Sexsklave den süßen Bissen seiner Gebieterin ausgesetzt sieht ...
Frank Festa lässt sich einmal mehr Einiges für seine Leser einfallen. Die Novelle, die von Michael Plogmann kongenial ins Deutsche übersetzt wurde, präsentiert sich dem Leser nicht nur auf einem zartrosa getönten Papier, nein, das ganze Buch riecht sogar nach Candy. So etwas hat der deutsche Buchhandel meines Wissens noch nicht gesehen, so dass bereits allein durch die äußere Aufmachung das Interesse des Lesers geweckt sein dürfte.
Inhaltlich wartet ein ganz besonderer Genuss – kann man das sagen? – auf den Käufer. Die Geschichte ist natürlich spleenig, verrückt, überkandidelt und bizarr – aber sie fasziniert. Wenn unser Protagonist sich im Oralsex an der süßen Vagina seine Zuckerfrau verköstigt, ihn ein kalorienreiches Traumland von seinen Schmerzen ablenkt, wenn Juyi sich durch die Eingeweide bis zum Herz von Franklins angetrauter Ehefrau durchfrisst, wenn ihre Schaumzuckermöse sich rhythmisch auf seinen Schwanz senkt, dann ist das schon wieder so abgedreht, dass es nicht etwa abstoßend sondern interessant auf den Leser wirkt.
Wir wollen erfahren, wie es mit Franklin und seiner süßen Braut weitergeht, was aus ihrem Ei schlüpft. Das hat nichts mit widerwärtigem Voyeurismus oder dem Kokettieren mit dem Tabu des Menschenfressers zu tun, stattdessen viel mit einem verrückten Rausch von einem Traum, liest sich abgefahren und spannend, manches Mal verstörend, dann wieder fast anrührend und ist weit von dem sonst die Büchertische bedeckenden Mainstream-Horror entfernt.