Sonja Roos: Der Windhof (Buch)

Sonja Roos
Der Windhof
Goldmann, 2021, Taschenbuch, 480 Seiten, 9,99 EUR (auch als eBook erhältlich)

Rezension von Christel Scheja

Sonja Roos wurde 1974 geboren und wuchs in einem kleinen Dorf im Westerwald auf. Nach ihrem Studium arbeitete sie als Journalistin und Kolumnistin bei einer Zeitung. Heute lebt sie mit ihrer Familie - ihrem Mann, drei Töchtern und einem Hund - auch wieder in ihrer alten Heimat. Vermutlich liegt ihr daher ihr Roman „Der Windhof“ so am Herzen.


Zwei Jahre sind seit dem tragischen Tod ihres Mannes vergangen, aber Mel ist immer noch nicht in der Lage los zu lassen und verzehrt sich weiterhin in Trauer. Weder Eltern noch Freunde können sie da herausholen. So nimmt sie auch eher unwillig die Aufgabe an, sich um ihre Großmutter Helene zu kümmern, die auf einem abgelegenen Hof im Westerwald lebt und an die sie keine guten Erinnerungen hat.

Aber nach ersten Schwierigkeiten lernen sich die beiden Frauen besser kennen und mit der Zeit auch schätzen. Einen nicht geringen Anteil daran hat der Arzt der alten Dame, ein junger Mann namens Noah, der eine besondere Beziehung ihr zu haben scheint. Doch erst als Lene von der Vergangenheit erzählt und den Jahren, die sie zu dem gemacht haben, was sie ist, bricht bei allen das Eis und verwandelt die Trauer und Bitterkeit in einen Neuanfang.


Grob gesehen mag „Der Windhof“ ein Liebesroman sein, weil eine trauernde Witwe aus ihrem Loch herausgeholt wird und dann tatsächlich neues Glück bei einem anderen Mann findet, aber er ist noch Einiges mehr. Die Handlungsebene um Mel und Noah verläuft recht unspektakulär und erfüllt in erster Linie Erwartungen, wesentlich beeindruckender ist jedoch die Lebensgeschichte von Lene, die die Jahre zwischen 1936 und 1945 besonders in Augenschein nimmt.

Gerade da horcht man auf und fühlt besonders mit, denn dem Mädchen wird es nicht gerade leicht gemacht, da sie zunächst dem Willen ihrer Eltern folgen muss, speziell dem ihrer Mutter, die die Dinge pragmatisch sieht und mit einem trauernden Mann zu tun hat.

Während das Leben im privaten Bereich doch ein wenig leichter wird, zeigt der Nationalsozialismus auch im Westerwald sein hässliches Gesicht. Menschen wie Lene und ihr Ehemann Paul, die zu ihrer jüdischen Magd Ruth stehen, geraten ebenfalls in das Visier der Braunhemden und müssen Einiges erdulden, da es vor allem einer auf sie abgesehen hat. Doch trotz allem steht Lene weiterhin zu ihrer Freundin - und es ist bemerkenswert, was sie alles aushält, da ihr Menschlichkeit und Liebe viel mehr bedeuten als alles andere.

Das ist bewegend und berührend geschrieben, macht die alte Dame letztendlich zur wahren Heldin der Geschichte, die ein bedeutsames Vermächtnis hinterlässt.

Die Schilderungen zeugen davon, dass die Autorin gut recherchiert hat, denn sie bleiben nahe an der Lebenswirklichkeit der damaligen Zeit, zeigen eine starke Frau und ihre Familie. die ein Gegenstück zu den „hässlichen Deutschen“ wie Kurt Weiler ist, die es natürlich auch geben muss. Das alles hinterlässt mehr Eindruck als die Gegenwartsebene, die mit den üblichen Irrungen und Wirrungen bis zum Ende dahin plätschert.

„Der Windhof“ beeindruckt und bewegt vor allem durch die Vergangenheit, in der die im der Gegenwart im Sterben liegende Lene, noch einmal die Jahre Revue passieren lässt, die sie am Stärksten geprägt haben - mit all der Menschlichkeit und Tapferkeit, die man als Mensch im Nationalsozialismus aufbringen konnte, um die zu schützen, die man liebt… auch um einen hohen Preis.