Marcel Hill: Der Nachtmahr (Buch)
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- Kategorie: Rezensionen
- Veröffentlicht: Donnerstag, 29. Oktober 2020 20:39

Marcel Hill
Der Nachtmahr
Hammer Boox, 2020, eBook, 3,49 EUR (auch als Taschenbuch erhältlich)
Rezension von Elmar Huber
„Das ganze Haus roch appetitlich nach Sex, Gewalt und Blut. Diese Kombination mochte das kleine Wesen besonders gern, versprach sie ihm doch eine Menge Befriedigung. Mit einem katzengleichen Sprung landete der Nachtmahr auf dem Boden und schlich ins Innere der Villa. Zu lange war es schon her, dass er die Angst und Furcht eines Menschen gekostet hatte, und so bestand sein Ziel darin, schnellstens möglichst viel davon zu bekommen.“
Der Rockstar Doyle Cooper plant eine Wiederholung der ‚Nacht am Genfer See‘. Im Sommer 1816 hatten sich dort, in der Villa Diodati, Lord Byron, Percy Shelley, Mary Wollstonecraft (später Shelley), Claire Clairmont und John Polidori eingefunden, die sich in nächtelangen Disputen und Erzählrunden ergingen, bei denen auch Laudanum eine gewisse Rolle spielte. Dieses Zusammentreffen gilt gemeinhin als Geburtsstunde von Mary Shelleys Roman „Frankenstein“ und Polidoris „Der Vampyr“.
Cooper interessieren weniger die künstlerischen Früchte, sondern eher der orgiastische Charakter dieses Beisammenseins. Dank versteckter Kameras entgeht ihm nichts, was in dem Haus passiert; Material, das er für ein neues Musikvideo verwenden möchte.
Die unfreiwilligen Darsteller sind das Ehepaar Mary und Chris King, Marys Halbschwester Juliette und der Transvestit Polly Dupree.
Das eigens aufgehängte Bild „Der Nachtmahr“ von Johann Heinrich Füssli entwickelt ein verhängnisvolles Eigenleben und beginnt, die Gäste in seinem Sinne zu beeinflussen.
„Als Juliette erwachte, lag sie im Flur. In ihrem Unterleib tobte Schmerz. Warum hatte sie gerade hier von Aaron geträumt? Das lag schon fast ein Jahr zurück, und nach ihm waren noch andere Boys durch ihre Hand gestorben. Sie rieb sich den Bauch. Diese Nacht erwies sich als einziger Albtraum.“
Mit der schon fast mythischen Nacht am Genfer See des Jahres 1816 hat sich Autor Marcel Hill selbst eine Referenz gesteckt, der nur schwer beizukommen ist.
Die Vorstellung, was denn dort, in diesem illustren Personenkreis, geschehen sein muss, befeuert schon lange die Phantasie der Phantastik-Fans. Siehe zum Beispiel Ken Russels fiebriges Meisterwerk „Gothic“ von 1986, in dem auch Füsslis Bild eine nicht unbedeutende Rolle spielt.
Marcel Hill hat das Unternehmen des Goth-Rockers Doyle Cooper unter Einfluss des Nachtmahrs in ein Schlachtfest verwandelt, das ohne größere Auswirkung am Leser vorbei rauscht. Weder können die Figuren den Leser für sich vereinnahmen, noch gestaltet sich die Handlung irgendwie besonders originell. Auch haben Fans der härteren Gangart bestimmt nicht gerade auf diese Novelle gewartet.
Dabei sind durchaus gangbare Ansätze vorhanden. Die Charaktere bieten einige Überraschungen und damit ausbaufähige Optionen, bleiben in der Kürze jedoch viel zu oberflächlich. Auch die Beteiligung des Nachtmahrs am Geschehen wirkt aufgepfropft und hätte bestimmt geschmeidiger gestaltet werden können. Das Ende ist schön fies geworden.
In längerer Form kann man sich die Story sehr gut vorstellen. In der vorliegenden Art wirkt die Novelle dagegen wie eine kurze Rohfassung. Lieber in der Zeit noch einmal „Gothic“ anschauen.