Alan Bradley: Mord ist kein Kinderspiel – Flavia de Luce 2 (Buch)
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- Kategorie: Rezensionen
- Veröffentlicht: Mittwoch, 22. September 2010 09:23
Alan Bradley
Mord ist kein Kinderspiel
Flavia de Luce 2
(The Weed That Strings The Hangman’s Bag)
Aus dem Englischen übersetzt von Gerald Jung & Katharina Orgaß
Titelillustration von Iacopo Bruno
Penhaligon, 2010, Hardcover, 348 Seiten, 19,95 EUR, ISBN 978-3-7645-3029-7
Carsten Kuhr
Willkommen zurück in Bishops Lacy, dem kleinen, scheinbar so pittoresken Örtchen im 50er Jahre England. Und willkommen zurück zu einer der außergewöhnlichsten und beeindruckendsten Detektivinnen der Literatur. Keine Miss Marple, kein Sherlock Holmes, oh nein, Flavia de Luce heißt unsere 11-jährige Protagonistin, die sich zu Beginn des Romans vorstellt, wie es wohl wäre, wenn sie tot wäre. Würde ihre Familie, ihr manischer philateliebesessener Vater und ihre beiden boshaften älteren Schwester trauern, sie auch nur vermissen? Wohl kaum!
Dann aber hört sie das Weinen einer einsamen, gramgebeugten Frau. Nicht etwa die trauernde Witwe eines jüngst Dahingeschiedenen weint herzerweichend vor sich hin, sondern eine junge, bezaubernde Frau. Sie und ihr Liebhaber, der gefeierte TV-Puppenspieler Rupert Porsten sind aufgrund eines kaputten Vergasers in der Provinz gestrandet -- zumindest sieht es zu Beginn des Romans so aus. Um die anstehende Reparatur zu bezahlen erklärt sich der TV-Star bereit, in der örtlichen Gemeindehalle zwei Vorführungen zu geben – und erweist dabei seinem Ruf Ehre. Er mag nicht der angenehmste Zeitgenosse zu sein, ist ein Frauenheld und egozentrischer Mann mit Starallüren, doch sein Publikum weiß er zu verzaubern. Der nachmittägliche Auftritt endet mit einem Triumph, die Abendvorstellung, die Flavia zusammen mit ihrer Familie in der ersten Reihe miterleben darf, aber endet mit einem Eklat. Statt der Puppe des Riesen, bricht der gefeierte Mann an den Stricken selbst, von einem Stromschlag des altersschwachen Stromnetzes der Halle getroffen, tödlich zusammen. In der Folgezeit macht Flavia das, was sie neben chemischen Untersuchungen und dem Zusammenmixen von Giften am besten kann – sie untersucht den Mordfall. Mit ihrem treuen Fahrrad macht sie sich auf, Licht ins Dunkel zu bringen. Und sie stößt einmal mehr auf ein Geflecht dunkler Geheimnisse ...
Nachdem letztes Jahr der erste Roman um die ungewöhnlichste Ermittlerin der neueren Literaturgeschichte in den Buchhandlungen für Furore sorgte legt der Verlag bereits ein Jahr später die direkte Fortsetzung vor. Erneut entführt uns der Autor in ein pittoreskes englisches Städtchen der 50er Jahre, in der die naseweise, frühreife Flavia einmal mehr ihren detektivischen Spürsinn dafür benutzt, einen Mord aufzuklären.
Punktete der Autor im ersten Teil fast allein mit der faszinierenden Hauptperson, so war klar, dass er in den Fortsetzungen nicht mehr nur auf Flavia setzen, sondern seinen Lesern neue, andere Schwerpunkte anbieten musste. Witz, das intelligente Spiel mit der Frage, wer war der Täter, welche Motive gibt es für die Tat und was verbergen die vielen Verdächtigen sind wir von den berühmten englischen Krimis gewohnt. Hier baut der Kanadier Bradley auf einem soliden Fundament. Er beschreibt uns die kleine Gemeinde mit all ihren zwischenmenschlichen Verbindungen und Abhängigkeiten, dem Klatsch und Tratsch aber auch der typisch britischen Noblesse.
Daneben aber, und das ist es, was auch diesen Roman zum Pageturner macht, präsentiert er uns interessante Figuren. Sei es der ehemalige deutsche Kriegsgefangene, der fast schon englischer als die Ureinwohner wirkt, oder den Canabis anbauenden Farmer, den gefeierten Fernsehstar, der sich selbst immer von Neuem beweisen muss, dass er seine Anziehungskraft aufs andere Geschlecht noch nicht verloren hat, oder das Pfarrerehepaar das bei aller gelebten christlichen Nächstenliebe so manches Geheimnis vor ihrer Gemeinde verbirgt, sie alle werden durch die naseweisen Augen Flavias beleuchtet und nehmen Gestalt und Leben an. Natürlich bewundern wir unsere junge Erzählerin, die allen Anderen immer einen Schritt voraus ist, die bei all ihrer Abgebrühtheit aber eben auch immer noch Kind ist. Und aus dieser Mischung, aus der Naivität Flavias aber auch durch ihre staunenden, wissbegierigen Augen erhalten wir einen etwas anderen Einblick in die Geheimnisse und das Verbrechen. Das fesselt und weckt den Wunsch nach mehr -- viel mehr entsprechendem Lesefutter!