Michael Marrak: Der Garten des Uroboros (Buch)
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- Kategorie: Rezensionen
- Veröffentlicht: Freitag, 08. Mai 2020 16:18
Michael Marrak
Der Garten des Uroboros
Titelbild: Michael Marrak
Amrûn, 2019, Hardcover, 504 Seiten, 23,90 EUR, ISBN 978-3-95689-392-0 (auch als eBook erhältlich)
Rezension von Carsten Kuhr
Peru im Jahr des Herrn 1455. Der junge Indio Chebál will sich beweisen. In dem nur alle sechs Jahre stattfindenden Wettstreit Ochoyo gilt es, den Kopf eines Pirarucu zur Mondgrotte zu bringen und dabei unter den ersten fünfzehn Jägern zu sein, denen dies gelingt. Nur diese werden die Kanus besteigen, um in den fragilen Booten die Stromschnellen hinabzurasen und, so sie überleben, vielleicht das Aufsteigen eines Berges aus dem See bezeugen.
Seit ein paar Tagen ist ein merkwürdig weißer Mann bei den Dogon in Mali zu Gast. Pangalé, ein junger Krieger, wird dem Gast als Begleiter zur Verfügung gestellt und erlebt mit, wie ein merkwürdiges Licht den Himmel erhellt. Er begibt sich auf den Weg zur legendären Stadt der Hunde - ein Weg, der ihn vom Jungen zu Mann reifen lässt.
Mexiko in der Jetztzeit. Bei einer archäologischen Grabung stößt der Wissenschaftler Hippolyt Krispin auf hunderte menschliche Skelette, die über einem Uroboros-Relief begraben wurden. Dass diese sechs Finger und Zehen aufweisen ist eine Sensation, deren Erforschung ihn an den Rand des etablierten Wissens und weit darüber hinaus treibt.
Der Astronom Miguel Perea und die Evolutionsbiologin Adriana Flores stoßen bei der Betrachtung einer Aufnahme des Weltalls auf ein unerklärliches Phänomen. Alle Sterne, die weiter als 150 Lichtjahre entfernt sind, scheinen verschwunden zu sein. Was verdeckt die Sterne, was nähert sich der Erde und ihrer Bewohner?
Michael Marrak gehört zu den interessantesten, weil eigenwilligsten Autoren der deutschsprachigen Phantastik. Oftmals prämiert zeichnen sich seine Werke durch eine sehr bewusst eingesetzte Sprache und einen überbrodelnden Einfallsreichtum aus. Gleichzeitig sind dies aber auch für viele Leser Gründe, einen Bogen um die Bücher Marraks zu machen. Hier trifft man nicht auf bekannte Schemata, hier hat sich der Verfasser jeden Satz überlegt, jedes Wort gezielt gesetzt, und stilistisch gefeilt. Das fordert den Rezipienten, der den Text nicht einfach „runterlesen“ kann, der konzentriert dabei bleiben muss, sonst ist schnell ein wichtiges Detail verpasst.
Mit „Der Garten des Uroboros“ legt er uns einen Roman vor, der die philosophische These der Apokatastasis panton als Grundlage für die Jagd nach Erkenntnis präsentiert. Wem es wie mir auch geht und nicht weiß, was er unter der Theorie verstehen soll, dem sei geholfen. Sie unterstellt, dass sich alles in bestimmten Zeiträumen exakt wiederholt. Bis hin zu den gedachten Gedanken.
In vier zeitlich wie räumlich getrennten Handlungssträngen berichtet Marrak uns von der Suche nach Erkenntnis. Dabei nutzt er in der Hälfte der Stränge Naturvölker als Wissende, die in und durch ihre Überlieferungen Erkenntnisse beisteuern, die den modernen Wissenschaftlern verborgen bleiben. Wir nähern uns also von zwei Seiten dem Rätsel an: die moderne, wissenschaftliche Arbeitsweise, die versucht das Unbegreifliche in Thesen zu pressen und zu verifizieren und die Naturvölker, die durch und mittels ihres Sagen-Schatzes das Geschehen akzeptieren, verinnerlichen und damit leben.
Als Kulisse dienen den Erzählern dabei prächtig beschriebene Gegenden. Wenn der Autor uns einen Dschungel beschreibt, dann ist man in Gedanken im ewigen Grün, fühlt förmlich das überbrodelnde Wachstum der Natur, die Schönheit aber auch ihre Gefahren.
Marrak ist bekannt dafür, dass er die Hintergründe seiner Storys minutiös recherchiert. Der vorliegende Roman stellt dabei keine Ausnahme dar. Seine Beschreibungen entführen den Leser in wilde, unberührte Gegenden Mexikos, Perus, Malis und Venezuelas. Mit dabei sind Sagen, Märchen und Überlieferungen zu den Sternen, die alleine schon ein faszinierendes Thema wären.
Den Ansatz mit vier parallel laufenden Handlungssträngen macht die Lektüre, wie bereits erwähnt, für den Rezipienten nicht einfacher, bietet dem Autor aber die willkommene und bestens genutzte Möglichkeit, uns an seinem enormen Wissen um die Sitten und Überlieferungen der Ureinwohner teilhaben zu lassen. Während die in der Jetztzeit angesiedelten Stränge um die Wissenschaftler mich nicht so ganz packen konnten, sind die Beschreibungen der exotischen Ureinwohner und ihrer Sagen und Mythen, die Darstellung ihres Lebens und ihrer Denkweisen überaus faszinierend. Hier gelingt es dem Autor Bilder in meinem Kopf entstehen zu lassen, die ebenso farbenprächtig wie überzeugend real wirken.
So ist dies ein typischer Marrak: ein Roman, der fast schon zu viel Ideen zwischen seine Deckel presst, ein Buch, das zum Mit- und Nachdenken anregt, eine Lektüre, die nicht immer einfach aber bereichernd ist und uns einen Autor zeigt, der stilistisch vorzüglich zu fabulieren weiß.