Quifan Chen: Die Siliziuminsel (Buch)

Quifan Chen
Die Siliziuminsel
(Huang chao)
Übersetzung: Marc Hermann
Heyne, 2019, Paperback, 460 Seiten, 16,99 EUR, ISBN 978-3-453-31922-6 (auch als eBook erhältlich)

Rezension von Carsten Kuhr

Wir leben im Überfluss. Ein Jeder nennt einen Flachfernseher sein Eigen, PCs, Pads und Handys sind auch in jedem Haushalt aufzufinden, von ausgebrauchten Hifi-Anlagen, Röhrenfernsehern, Monitoren und Spielkonsolen gibt es auch wahrlich genügend. Wohin aber mit dem alten Teil, wenn uns die Industrie wieder einmal einredet, das gerade neu auf den Markt gebrachte Gerät müsse unbedingt in unserem Haushalt einziehen? Ab in den Müll damit - wenn wir verantwortungsbewusst mit unserer Umwelt umgehen wollen, dann auf den Recyclinghof, das war es dann aber auch.

Doch das ist noch lange nicht das Ende. Der Elektroschrott wird nämlich nicht verbrannt, sondern, wie der meiste Plastikmüll, exportiert. 8000 Tonnen unrecyceltes Plastik wurden allein von Deutschland aus bis vor Kurzem nach China exportiert, genauer gesagt nach Guiyu in der Guangdong-Provinz.

Quifan Chen hat diese Tatsache genommen und daraus einen faszinierenden, einen erschreckenden und aufrüttelnden Roman gemacht.


Früher wurde auf der Insel, auf der die Welt ihren Wohlstandmüll ablädt, Reis angebaut. Jetzt dient die Siliziuminsel als riesige Müllhalde, auf der giftige und gesundheitsgefährdende Überbleibsel der Industrie-Nationen günstig entsorgt werden. Ausrangierte Prothesen, Gehirn-Implantate und Chips finden hier ebenso ihre letzte Ruhestätte wie verbrauchte Akkus und die anhängenden Geräte.

Doch ruhig geht es auf der Insel nicht zu - Horden verarmter Menschen drehen jeden Fetzen um, suchen nach Wiederverwertbarem, nach Wertvollem. Sie leben buchstäblich im und vom Müll; wenn sie krank werden oder sterben - wen juckt es, da sind mehr als genügend andere, die ihren Platz einnehmen können.

Drei Menschen begegnen dem Leser. Scott Brandle ist geschäftlich auf der Insel. Im Auftrag eines Recycling-Unternehmens soll er Abläufe straffen, sicherer machen und auf mehr Umweltschutz drängen. Sein in den USA geborener Dolmetscher Chen Kaizong, besser bekannt unter dem Namen Caesar Chen, gehört zu einem der drei Clans, die die Insel unter sich aufgeteilt haben. Sie sorgen für Ordnung, kümmern sich auf drastisch endgültige Art um die Menschen, die im Müll wühlen. Eine dieser verdreckten Kreaturen, die Plastik suchen, zusammentragen und dafür sorgen, dass aus dem Wohlstandsüberbleibsel nach gründlichem Schreddern, Reinigen und Neuguss wieder Export-Artikel werden, ist die Wanderarbeiterin Mimi. Als einer der mit brutaler Hand regierenden Clans sie entführt, kulminieren die Ereignisse…


Was ist das für ein Buch? Ein Umwelt-Thriller? Ein gesellschaftskritischer Roman aus der nahen Zukunft? Ein phantastischer Roman, in dem sich Elemente der Science Fiction mit schwarzer Magie paaren? Ein harter Horror-Roman, der mit seinen Folter-Szenen schockiert?

All das umfasst der Plot; dabei gibt der Autor uns einen erschreckend real wirkenden Einblick in glaubhaft geschilderte Handlungsabläufe der internationalen Müll-Mafia, der Clan-Strukturen seines Landes und der oftmals brutalen Schicksale der gnadenlos geknechteten und ausgenutzten Arbeiter. Der Autor lässt so Manches an kulturellen Überlieferungen, an Aberglauben und Mythen in seinen Text mit einfließen. Diese Passagen verlangsamen das Lese-Tempo genauso wie die Einführung eines großen Kreises handlungsrelevanter Figuren.

Dies ist aber Jammern auf hohem Niveau. Der Text selbst schnappt sich den Leser, packt ihn und reißt ihn mit. Er regt an nachzudenken, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen und sich zu positionieren - wahrlich nicht das Schlechteste, was man von einem Buch sagen kann.