Gary Kilworth: Die Engel (Buch)

Garry Kilworth
Die Engel (Angel + Archangel)
Aus dem Englischen übersetzt von Charlotte Jungstrass
Titelillustration von Nele Schütz
Heyne, 2010, Paperback, , 672 Seiten, 15,00 EUR, ISBN 978-3-453-52704-1

Carsten Kuhr

In den Agenturen, den Verlagsbüros und Buchhandlungen geht ein Virus um. Nicht länger sind waschbrettbauchgestählte Vampire die Umsatzbringer, jetzt müssen die Engel an die Front, um in den Buchhandlungen die Ladenkassen klingeln zu lassen. Noch aber haben sich die Autoren, gleich ob Newcomer oder alte Hasen, dem Trend noch nicht angepasst, will heißen, der Nachschub lässt mengenmäßig zu wünschen übrig. Auch die Autoren deutscher Feder haben sich, von Ausnahmen abgesehen, mit dem Thema noch kaum auseinandergesetzt, so dass die Herausgeber und Lektoren auf ihren Spürsinn angewiesen sind. Vorliegende beide Romane, die Heyne in einem dicken Paperback zusammenfasst, erschienen im Original bereits 1993 respektive 1994.

Um was geht es? Nachdem in den letzten Jahren Pyromanen in Europa von sich hören ließen, sprich Feuer legten, scheint die Welle nun in die USA übergeschwappt zu sein. In vielen Großstädten sind die Feuerwehrleute im Dauereinsatz, brennen Wohngebäude, Museen und Einkaufszentren. Die Cops Dave Peters und Danny Spitz arbeiten in San Francisco. Dass Daves Frau und sein Sohn bei einem der gelegten Brände ums Leben kamen, macht die Verbrechen für das Duo zu einer persönlichen Angelegenheit. Im Verlauf ihrer Ermittlungen stoßen die Beiden dann auf eine Auffälligkeit. Nicht alle Brände sind gleich – einige Flammen brennen hell-weiß, ein auffällig schöner Mann wird an den Tatorten gesehen und hinterlässt den Geruch nach Mandeln, bevor er scheinbar vom Feuer unberührt durch die Flammen den Ort des Verbrechens verlässt. Dem versierten Leser ist schnell klar, dass es sich hier nur um das Eingreifen höherer Mächte handeln kann. Ein Engel ist los, ein Engel, der auf Dämonenjagd ist – und dies, ohne Rücksicht auf menschliche Verluste ...

Im zweiten Teil werden unsere beiden Cops ins europäische London gerufen. Im Geheimen treffen sich hier die Führer der unterschiedlichen Religionen – doch auch zwei höhere Mächte sind anwesend – und, wie wir dies aus dem Alten Testament und den Ereignissen in San Francisco wissen, bleibt beim Kampf der Abgesandten kaum ein Stein auf dem anderen ...

Tja, vorbei ist sie, die Zeit, als wir von den gütigen Engeln in weißen Nachtgewändern und mit eine Harfe in der Hand träumten. Kilworth präsentiert uns, im Gewand eines kauzigen Ermittler-Duos verpackt, einen ganz anderen Ansatz der himmlischen Heerscharen, respektive des auf die Erde entsandten Kriegers im Auftrag Gottes. Wie sagt der Engel sinngemäß beim ersten Austausch mit Dave so überraschend logisch zum „heiligen Feuer“: „Sie verwechseln mich mit einem Sterblichen. „Du“ sollst nicht töten, wie sie so richtig feststellen, aber nicht „ich“. Die zehn Gebote wurden den Menschen aufgegeben, nicht meiner Art. ... Ich bin hier zu jagen. Es ist nicht mein Problem, wenn Menschen dabei sterben – sie werden sowieso irgendwann sterben, und der Tod aus Händen von meinesgleichen ist kein Akt des Bösen" (vgl. Seite 161). Hoppla, das ist neu, das ist ungewöhnlich, das ist in sich erschreckend logisch und nachvollziehbar. Engel, die nicht nach menschlichen Maßstäben von Gut und Böse agieren, deren Moralvorstellungen gänzlich vom denen der Kirche abweichen, das kannte ich zumindest bislang so nicht. Eingebettet wurde dies in eine Rahmenhandlung von einem Cop-Duo, das es in sich hat. Von Kindesmissbrauch geprägte Figuren, Cops, die sich angesichts des tagtäglichen Elends nur noch mit Drogen über Wasser halten, andere, die ihre perversen Gelüste durch tägliche Beichte büßen, das sind überzeugend andere Ansätze, die die Lektüre prägen.

Nach dem erstaunlich realistischen und schockierenden ersten Teil aber folgt dann die Ernüchterung. Die Fortsetzung der Handlung erweist sich – leider – als lauer Aufguss des ersten Abschnitts. Nicht länger ruht der Blick auf einer überzeugenden Gestaltung der Charaktere und einer glaubwürdigen Handlung, sondern reduziert sich auf einen schnell verfassten Plot, der zwar Spannung und Unterhaltungswert hat, nie aber die fast schon sensationelle Ausstrahlung des ersten Teiles erreicht. Dennoch, alleine schon der erste Band ist den Obolus für das Buch wert!