Celine Kiernan: Schattenpfade – Moorehawke-Trilogie 1 (Buch)

Celine Kiernan
Schattenpfade
Moorehawke-Trilogie 1
(The Poison Throne)
Aus dem irischen Englisch übersetzt von Astrid Finke
Titelillustration von Iacobo Bruno
cbt, 2010, Paperback, 496 Seiten, 12,95 EUR, ISBN 978-3-570-30679-6

Carsten Kuhr

Als die fünfzehnjährige Wynter mit ihrem im rauen Norden im Dienste des Königs schwer erkrankten Vater ins Königreich der Südländer zurückkehrt, glaubt sie, ihre Heimat nicht wiederzuerkennen. Bevor ihr Vater, der allseits geachtete Zunftmeister der Tischler und Hohe Protektor des Königs, auf Wunsch seines Freundes und Monarchen auf die heikle diplomatische Mission gen Norden gesandt wurde, herrschte der Geist der Freiheit, des Wissens und der Toleranz im Königreich.

Die beiden Söhne des Monarchen und Wynter wuchsen zusammen auf, sie selbst hatte sich einen Ruf als Geisterfreundin und Vertraute der sprechenden Katzen gemacht. Doch jetzt ist alles anders – gefährlich, bedrohlich anders. Die sprechenden Katzen wurden ertränkt, die Geister verbannt, der Kronprinz aus dem offiziellen Gedächtnis des Reiches gestrichen. Der König muss verrückt geworden sein, anders lässt sich sein despotisches Handeln nicht erklären. Statt seines Thronfolgers soll nun der dunkelhäutige Bastardsohn Razi die Herrschaftsbürde erben – ob er will, oder nicht. Anschläge werden verübt, der beste Freund des Bastardprinzen, Christopher, wird misshandelt und mit Folter bedroht, nur um den unwilligen Spross der königlichen Lenden gefügig zu machen. Was nur steckt hinter den Vorkommnissen, die das ganze Reich erschüttern?

Anscheinend weiß Wynters mit dem Tode ringender Vater mehr. Vor Jahren hat er eine Waffe gebaut, deren Einsatz solch durchschlagenden Erfolg hatte, dass der König ihm versprechen musste, die Pläne und die Waffe selbst zu zerstören. Nun scheint die Büchse der Pandora erneut geöffnet worden zu sein, und das Unheil nimmt seinen Lauf.Verfolgt von einem verzweifelten Monarchen versuchen Razi, Wynten und Christopher ihre Freiheit, ihr Leben und das ihrer Freunde zu verteidigen. Doch kann man gegen einen allmächtigen Monarchen, der gewillt ist, seine eigenen Söhne zu opfern, bestehen – und was nur steckt hinter der mysteriösen Waffe, deren vermutete Existenz alleine dazu ausgereicht hat, ein blühendes Fürstentum in einen Kerker zu verwandeln?

Was ist das nur für ein Roman, dem der Herausgeber attestiert, einer der ungewöhnlichsten und packendsten Fantasy-Titel der letzten Jahre zu sein? Nun, so arg viel passiert eigentlich nicht. Zusammen mit unserer Protagonistin eilen wird durch die Korridore und Geheimgänge der Burg, werden von den höfischen Intrigen, von Misstrauen und Neid bedrängt, ohne dass wirklich dramatische Ereignisse in den Mittelpunkt rücken. Sicherlich, es kommen Menschen um, doch der Akt des Mordens bleibt unseren voyeuristischen Augen verborgen. Statt dramatischer Kämpfe, statt großen Schlachten oder raffinierten Betrügereien ist es das Spiel der Mächtigen und ihrer Opfer, das uns fasziniert. Ausgehend von den Restriktionen und der Erpressung durch den König erschließt sich uns das Bild eines Staates, der aus noch unbekannten Gründen scheinbar über Nacht auf den Kopf gestellt wurde.

Gerade der stilistische Schachzug, die Änderungen anhand der persönlichen Auswirkungen, die diese auf die Zurückgekehrten ausüben zu zeigen, erweist sich als Glückgriff. Zusammen mit Wynter irren wir zunächst in der Atmosphäre des Umbruchs und Misstrauens umher, versuchen anhand des Verhaltens der Burgbewohner zu realisieren, was überhaupt vorgeht. Die Frage des Warums stellt sich erst später, zunächst gilt es den eigenen Status in der plötzlich uneinschätzbaren Gesellschaft zu erkunden, schlicht den Wechsel zu akzeptieren und zu überleben. En passent lässt die Autorin dabei viel Wissenswertes über ihr etwas anderes Europa einfließen. Dabei sind ihr Personen und deren Zeichnung wichtiger als große Schlachtengemälde oder internationale Politik. Wir erfahren, dass Loup Garous die Reiche im Norden unsicher machen, dass Barbaren und Sklavenhändler den Süden beherrschen, doch der Fokus bleibt auf den Geschehnissen der Burg.

Es gilt herauszufinden, was hinter dem abrupten Wechsel der Innenpolitik steckt, was den Monarchen dazu treibt, alles, für das er einst stand und geliebt wurde, zu verraten. Insofern hat das Buch viel von einem Detektivroman – die Suche nach dem Rätsel hinter den Vorgängen paart sich hierbei mit der Zeichnung einiger weniger, dafür sehr tiefgehend charakterisierten Personen.

Trotz der oberflächlich betrachteten Handlungsarmut weiß das Buch seinen Leser zu packen, nimmt man Anteil am Schicksal der sympathisch gezeichneten Personen und den dramatischen Vorkommnissen. Ich bin auf jeden Fall gespannt, wie es weitergehen wird, und mit welchen Ideen die Autorin uns im Folgeband, der just bei Heyne als Hardcover erschienen ist, verzaubern wird.