Liga deutscher Helden 1: Vorboten (Comic)

Oliver Naatz, Jan Dinter
Liga deutscher Helden 1
Vorboten
Titelbild und Zeichnungen: Gerhard Schlegel, Till Felix, Stefan Dinter, Martin Frei
Indiekator, 2017, Heft, 36 Seiten, 4,90 EUR

Rezension von Bernhard Kletzenbauer

Beim Einsatz in Frankfurt verwandelt sich eine Fremdenführerin in ein riesiges Mischwesen aus Mensch und Hirschkuh, das in der Innenstadt randaliert. Danach trifft sich die Liga deutscher Helden im Bonner Hauptquartier beim Captain, der bis dahin nur als Hologramm anwesend war. Sein Handicap wird nun auch für die Leser erkennbar. Während der Einsatzbesprechung erfährt man, dass spektakuläre Mutationen in Deutschland nicht mehr jährlich sondern wöchentlich auftreten. Österreichs Superhelden sind als Hologramme zugeschaltet und berichten über ihre neuesten Erlebnisse.

Ein Alarm unterbricht die Konferenz, und die Helden müssen nun in München einen riesigen, randalierenden Roboter stoppen.

Nach der abgeschlossenen Geschichte des Heldenteams erfahren die Leser Details aus der Vergangenheit des Captains. Bei einer Mutprobe für Pimpfe zeigte sich erstmals die besondere Fähigkeit von Hans. Später kam er in ein deutsches Trainingslager für Mutanten und nach dem Ende des Krieges zu einer amerikanischen Geheimorganisation.
 

Deutsche Helden? Etwa Kriegshelden oder Siegfried der Drachentöter? Eine Parodie oder nun wirklich deutsche Kollegen für die Superhelden aus dem Marvel- und DC-Universum? Nach Angaben der Macher soll eine ernsthafte, eigene Superhelden-Serie entstehen.

Auf den ersten Blick scheint Vieles von den amerikanischen Helden kopiert zu sein. Es gibt offensichtliche Gemeinsamkeiten mit den X-Men, der Legion der Superhelden, Flash, „The Authority“, Phantom, der Fernsehserie „Smallville“ und anderen.

Lorelei kann Schallwellen einsetzen (Black Canary) und Wasser manipulieren. Der Jeck benutzt technische Gimmicks wie Batman (oder Joker). Gamsbart und Watzmann (Hulk, Thing) haben hohe Körperkraft. Die alte Diva Chamäleon (Mystique) kann ihrem Körper in Sekunden eine andere Gestalt verleihen. Und der Captain (Professor Xavier) ist offensichtlich ebenfalls Gestaltwandler.

Doch die deutschen Comic-Produzenten haben ihre Hausaufgaben gemacht. Ihre Helden sind beileibe keine plumpen Kopien. Am Auffälligsten ist der Dialekt der Figuren, je nach dem Bundesland, aus dem sie stammen. Nur der Captain und der Jeck tragen Masken. Alle anderen zeigen sich unmaskiert in der Öffentlichkeit. Sie sind offensichtlich schon bekannt, da sie, sozusagen hauptberuflich als Helden agieren - als Sondereinheit der deutschen Bundespolizei.

Innerhalb dieses Rahmens haben sie momentan ein abgegrenztes Einsatzgebiet, in dem sie Fälle mit anderen Mutanten bearbeiten. Wohltuend hebt sich ab, dass sie es nicht mit den sonst üblichen Superschurken, Kleinganoven, Außerirdischen, irren Terroristen, Zeitreisenden und Extra-Dimensions-Schurken zu tun haben. Bodenständig schützen sie in Teamarbeit die Bürger und fangen wild gewordene Mutanten.
Ohne lange Vorgeschichte kommt der Leser mitten hinein ins Geschehen eines langjährig eingespielten Teams. Die Gruppe von fünf Personen ist auch gut zu handhaben, und es artet nicht in Wimmelbilder aus wie bei anderen Superheldengruppen (X-Men, JLA), wenn sich - welch Zufall! - stets Gegner mit ähnlichen Fähigkeiten duellieren.

Um zu den Einsatzorten zu gelangen, nutzen sie sogenannte ‚lokale Transportbögen‘. Den Bogen sucht der Leser dabei allerdings vergeblich. Und die Lichteffekte sind nicht so schön wie bei „The Authority" oder „Raumschiff Enterprise“. Außerdem gibt es natürlich noch einen futuristischen fliegenden Truppentransporter.

Die Charaktere sind gut voneinander abgegrenzt, und die Mimik wird glaubhaft dargestellt. Neben den jungen Leuten sind auch alte Personen dabei. Quasi ein generationenübergreifendes Team für die ganze Familie.

Völlig unglaubhaft ist aber, dass man unbedingt wieder auf die Nazi-Zeit zurückgreifen musste, um die Entstehung der ersten Helden aufzuzeigen. Die Amerikaner mögen da bei Hydra, Hellboy, Captain America und ähnlichen Figuren unbelehrbar sein, aber deutsche Comic-Helden sollten heutzutage keine Nazi-Ursprünge nötig haben. Auch der veraltete Begriff ‚Mutant‘ wird überstrapaziert (vor allem wenn es sich hier nicht um Mutationen der Erbanlagen handelt). Heutzutage spricht man eher von Wesen mit Psi-Fähigkeiten.

Nach der ersten Comic-Ausgabe ist das Gesamtkonzept noch unklar. Treten die Helden weiterhin gegen Naturphänomene an, oder gibt es doch irgendwelche Schurken, die gezielt epigenetische Mutationen auslösen und die entstandenen Wesen mit technischen Implantaten lenken? Macht man weiterhin mehr auf Funny-Geschichte, oder wird es blutig ernst? Lässt man die wissenden Leser weiterhin nach den zitierten Szenen aus Comics und Filmen suchen (Das Modell der kaputten Holzbrücke gleicht Lex Luthors Porsche aus „Smallville“. Das Superman-Foto in einem Zeitungsartikel. Der Riesenroboter turnt wie King Kong auf der Pagode herum und wird auch ebenso heruntergeschossen.)?

Es wird sich in weiteren Ausgaben zeigen, wie flexibel das deutsche Helden-Universum ist.

Die Zeichen-Qualität ist uneinheitlich und reicht von sauberer Linienführung bis zu krakeligen Hintergrundschmierereien. Auf der Internetseite der deutschen (Super-) Helden sieht man Entwürfe, Skizzen, Charakter-Studien. Bei so viel Vorarbeit und Übung sollte man auch ein routiniert gestaltetes Endprodukt liefern können. Andere Comic-Serien wie zum Beispiel „Star Trek“, „Star Wars“, „Green Lantern“ zeichnen sich durch stets saubere Grafiken aus.

Computerbearbeitung wird sparsam eingesetzt. Die Kolorierung ist sauber ausgeführt.
Sprechblasen haben die übliche ovale Form. Bloß die Sprechkästen des Hologramm-Captains sind eckig und eingefärbt. Untypischerweise sind die Gedanken der Charaktere nicht in Wolken eingerahmt. Die Zuordnung ist daher (auch mit dem Anfangsbuchstaben des Helden-Namens) zunächst nicht einfach. Bei der Herkunftsgeschichte des Captains fällt die alte Courier-Schriftart negativ auf. Es sieht aus, als sei die Comicseite zum Texten in eine alte Typenhebelschreibmaschine eingespannt worden.

Die erste Nummer wartet mit kleinen Überraschungen auf, die die deutschen (Super-) Helden von den etablierten Comic-Helden unterscheiden. Es bleibt aber bei durchschnittlicher Unterhaltung aufgrund der vielen vorhersehbaren Nachahmungen. Die Anfänge zeigen aber ein Potential auf, das bei guter Nutzung das Ziel einer eigenständigen, langfristigen, deutschsprachigen Superheldenserie erreichbar scheinen lässt.