Gruselkabinett 142: Das Zeichen der Bestie, Rudyard Kipling (Hörspiel)

Gruselkabinett 142
Das Zeichen der Bestie
Rudyard Kipling & Marc Gruppe (Script)
Sprecher: Peter Thomas Balou Martin, Rolf Berg, Claus Thull-Emden u.a.
Titelbild: Ertugrul Edirne
Titania Medien, 2018, 1 CD, ca. 46 Minuten, ca. 8,99 EUR, ISBN 978-3-7857-5722-2

Rezension von Elmar Huber

„Manche sagen, dass östlich von Suez der Einflussbereich der Götter und Dämonen Asiens mit jeder Meile stetig zunimmt, je weiter man nach Osten kommt. Ich bin geneigt, dieser wenig beruhigenden Einschätzung zuzustimmen. Besonders nach dem, was ich damals rund um den Jahreswechsel 1889/1890 in Indien selbst erlebt habe.“

Indien 1889/1890: Nach einer feuchtfröhlichen Silvesterfeier begleiten Kipling (!) und Strickland ihren Freund Fleete nach Hause. Überwältigt von einem menschlichen Bedürfnis und blind vom Alkohol schickt sich dieser auf dem Heimweg an, in ein Heiligtum des Affengottes Hanuman zu urinieren. Ein vom Aussatz befallener Tempeldiener entfernt den Frevler, und die drei Engländer sind zunächst erleichtert, dass das respektlose Gebaren kein schlimmeres Nachspiel hatte.

Doch am nächsten Tag wird Fleete nicht nur von einem Jucken auf der Brust gequält, die nun ein Brandmal ziert, er entwickelt auch unbändigen Hunger auf blutige Koteletts und gebärdet sich zunehmend wilder. Ein zu Rate gezogener Arzt diagnostiziert Tollwut bei dem Patienten, doch Kipling und Strickland haben einen anderen Verdacht darüber, was ihren Freund befallen hat.

„Seltsam, dass sie über uns im Tempel nicht hergefallen sind, wie ich es eigentlich erwartet hätte. Das gefällt mir ganz und gar nicht. Und ich werde das Gefühl einfach nicht los, dass das noch nicht alles war, sondern dass da kalte Berechnung dahinterstand, uns ziehen zu lassen, nachdem dieser Aussätzige sich an Fleete gerieben hat.“


Mit „Das Zeichen der Bestie“ liegt nach „Die Gespenster-Rikscha“ (Folge 31) die zweite Vertonung einer Kurzgeschichte des „Dschungelbuch“-Autors in der „Gruselkabinett“-Reihe vor. Schon die kurze Laufzeit lässt vermuten, dass das Hörspiel keine Längen aufweist; die namhafte Besetzung vor dem Mikro spricht außerdem für sich.

Schon in den ersten Minuten wird der Hörer einmal mehr durch die atmosphärische Soundkulisse gefangen genommen, für die die Titania-Hörspiele bekannt sind. Neben den indisch anmutenden Klängen, die unaufdringlich im Hintergrund ertönen, ist dies vor allem den sonor vorgetragenen Einführungsworten von Thomas Balou Martin alias Kipling zu verdanken.

Übrigens bleibt der Erzähler in Kiplings Original-Geschichte namenlos, und die Gleichsetzung mit dem Autor ist eine Idee des Titania-Teams. In den Spielszenen gestaltet Martin seine Figur lebendiger, so dass er dort tatsächlich wie eine jüngere Version seiner Person klingt. Ergänzt wird der Cast ganz hervorragend von dem ebenso kernig klingenden Rolf Berg („Club der roten Bänder“) und dem wesentlich jugendlicher wirkenden Claus Thull-Emden, der als betrunkener und später schier wahnsinniger Fleete das größte Stimmspektrum abdeckt.

Die Geschichte an sich ist nicht besonders ausgefallen und in weiten Teilen vorhersehbar. Irgendwie erwartet man am Ende noch einen Knalleffekt, der jedoch ausbleibt. Lediglich eine Äußerung des Hanuman-Priesters erweist sich noch als rätselhaft, ändert aber an der Geschichte nichts. Da die Erzählung nicht künstlich ausgedehnt wurde und die Produktion wie immer auf höchstem Niveau spielt, ist dies auf jeden Fall zu verschmerzen.

Das großartige Coverbild von Ertugrul Edirne ist ein im besten Sinne klassisches Pulp-Horror/Abenteuer-Motiv, das eine wohlige Grusel-Stimmung verströmt.

Interessierte können den Originaltext der Kurzgeschichte hier nachlesen: https://en.wikisource.org/wiki/The_Mark_of_the_Beast.

Wie von Titania gewohnt, überzeugt das Hörspiel durch die hochwertige Produktion und die Sprecherleistungen; die Story ist dagegen absehbar.