Volker Kutscher: Marlow - Der siebte Rath-Roman (Buch)

Volker Kutscher
Marlow
Der siebte Rath-Roman
Piper, 2018, Hardcover, 522 Seiten, 24,00 EUR, ISBN 978-3-492-05594-9 (auch als eBook erhältlich)

Rezension von Gunther Barnewald

Der vorliegende Roman ist der siebente um den Kölner Polizisten Gereon Rath, der in Berlin lebt und ermittelt und dabei oft von seiner Frau Charlotte, genannt Charly, unterstützt wird, und deren erster Band extrem erfolgreich als Serie unter dem Titel „Babylon Berlin“ verfilmt worden ist (wenn auch mit sehr starken Veränderungen, vor allem was die Charakterisierung der Hauptpersonen betrifft).


Man schreibt mittlerweile das Jahr 1935 (der erste Band unter dem Titel „Der nasse Fisch“ spielt 1929) und die Nazis sitzen in Deutschland fester im Sattel als vorher (vor allem nach jenem blutigen Vorgehen 1934, als angebliche Putschisten, darunter SA-Chef Ernst Röhm, mitsamt seiner vielen schwulen Kameraden aus dem Weg geräumt wurden, und bauen die Gesellschaft massiv nach ihrem Gutdünken um.

Während nach außen Verbrecher gegeißelt und bekämpft werden, sitzen diese andererseits in hohen Parteiämtern und bereichern sich, vor allem an „arisiertem“ Besitz.

Einer von diesen Kriminellen ist der ehemalige Verbrecherkönig Johann Marlow, neuerdings SS-Gruppenführer und zudem noch in anderer Hinsicht wichtig. Ihn kennt Rath noch gut, hatte er sich von ihm doch dereinst bestechen und auch mal helfen lassen, wenn es um Ermittlungen ging.

Nun begegnet er ihm wieder, als er einem seltsamen Unfalltod nachgeht. Ein Berliner Taxifahrer ist mit voller Geschwindigkeit und ungebremst gegen eine Mauer gedonnert, hat dabei sich und einen Fahrgast getötet, der sich bald als SS-Mann vom Sicherheitsdienst mit einem ganz besonderen Auftrag entpuppt.

Zuerst scheint alles auf einen unglücklichen Unfall hinzudeuten, zumal der Unglücksfahrer einen unheilbaren Gehirntumor aufweist. Als Rath dem Fall jedoch intensiver nachgeht, entdeckt er mehr und mehr Ungereimtheiten, sogar solche, die dereinst zum Tod des Vaters seiner Frau führten; ein Fall, den sein ehemaliger Kollege und heutiger Privatdetektiv Wilhelm Böhm noch immer verfolgt, da er ihn nie losgelassen hat.

Rath stolpert dabei aber noch über etwas anderes; etwas so hochbrisantes, dass es sein und Charlys Leben massiv gefährdet...


Erneut gelingt Volker Kutscher ein grandioser Roman, der nicht nur kriminalistisch unglaublich spannend und toll erdacht, sondern auch bis in die Kommata glaubwürdig erzählt und authentisch recherchiert ist. Der Autor macht einfach alles richtig: Wunderbar plastische Charaktere, viel Zeit- und Lokalkolorit, eine dichte Atmosphäre und zudem noch eine dermaßen packende Ermittlungsarbeit, dass man das Buch keine Sekunde aus der Hand legen will. Wenn Kutscher vom Reichsparteitag in Nürnberg 1935 erzählt, dann sieht der Leser alle Details vor seinem inneren Auge. Kino im Kopf vom Allerfeinsten!

Wer sich für die Zeit interessiert und hier nicht begeistert ist, dem ist wirklich nicht zu helfen. Neben Philip Kerrs genialer dreizehnbändiger Serie um den Berliner Polizisten Bernhard Gunther (die nach dem überraschenden Tod des Autors wohl kaum noch weitergeführt werden kann) und die ebenfalls von den 20er Jahren aus in der Zeit des Dritten Reichs (und auch danach) spielt, ist Kutschers Werk eine absolute Meisterleistung. Niemand beschreibt die Zeit so authentisch, niemand erzeugt dermaßen viel Spannung und Faszination beim Leser, wie Kerr und Kutscher dies beide auf ihre spezielle Art können. Letzterer hat bis dato sogar den Vorteil, dass seine Figuren sympathisch wirken (was bei Bernhard Gunther nur noch bedingt der Fall ist, denn konsequenterweise konnte dieser seine „weiße Weste“ in schmutzigen Zeiten nicht wirklich wahren; was man Autor Kerr aber zugute halten muss, ist dieser grimmige Realismus doch glaubwürdig).

So identifiziert man sich gerne wieder mit dem etwas naiven Gereon, der widerborstig-intelligenten Charly mit dem historischen Weitblick und auch mit dem ehemaligen Straßenjungen Fritze, den die Raths in Pflegschaft genommen haben und der sich in seinem kindlichen Gemüt zuerst völlig für die Hitlerjugend begeistert (bis auch er merkt, aus welcher Richtung der faulige braune Wind weht).

Endlich erfährt der treue Leser der Serie auch, wer Johann Marlow wirklich ist und wie er mit bürgerlichem Namen heißt, wo er herkommt und wie sein asiatischer Diener mit ihm verbunden ist.

Aus all diesen Gründen ist „Marlow“ auf jeden Fall einer der besten Romane dieser großartigen Serie, auf keinen Fall gab es bisher einen besseren Teil (maximal gleichwertige) und alle, die befürchten, dass der Autor im siebten Band nun doch endlich mal nachlassen müsste, werden sich freudig (oder neidisch) „enttäuscht“ beziehungsweise überrascht sehen!

Auch wenn es für Rath, der von Gennats Morddezernat zu Arthur Nebes Landeskriminalamt gewechselt ist, langsam eng wird (denn wer braucht in gesetzlosen Zeiten, in denen die Nazis Recht und Ordnung auslegen wie es ihnen beliebt und in der die Verbrecher an den Hebeln der Macht sitzen, noch Menschen, die Verbrechen aufklären oder Mörder und sonstige Delinquenten enttarnen?).

Es bleibt interessant, wie die Figuren sich in immer inhumaneren Zeiten verhalten werden, wenn keiner mehr möchte, dass Verbrechen als solche benannt und ihre Verursacher ermittelt werden.

Hier wird die Karriere des Berliner Polizisten auf jene Klippen stoßen, die zeigen werden, ob er den selben schmutzigen Weg gehen wird wie sein „Kollege“ Bernhard Gunther, oder ob er dereinst mal (nach 1935) noch den Absprung schafft, oder sich beteiligt an den Gräueln des sogenannten Tausendjährigen Reichs.

Auf dieses weitere Geschehen darf man gespannt sein; und auch darauf, ob Autor Volker Kutscher sein unglaublich hohes Niveau weiterhin bewahren kann!