Jessica Jones: Alias 1 (Comic)

Brian Michael Bendis
Jessica Jones
Alias 1
(Alias 1-15, 2001/2002)
Übersetzung: Bernd Kronsbein
Titelillustration und Zeichnungen: Michael Gaydos, Bill Siencewicz, Mark Bagley u.a.
Panini, 2016, Paperback, 352 Seiten, 30,00 EUR, ISBN 978-3-95798-955-0

Rezension von Elmar Huber

Jessica Jones, einst als Superheldin Jewel bei den Avengers, hat das Heldenleben aufgegeben und ist inzwischen als Privatdetektivin mit der One-Woman-Agentur Alias Investigations in New York City tätig. Eine neue Klientin erteilt ihr den Auftrag, nach ihrer verschwundenen Schwester zu suchen. Ein langweiliger Routinefall, der keine große Mühe erfordert, würde Jessicas Beschattungsvideo nicht die Geheimidentität eines der einflussreichsten Männer Amerikas enthüllen und wäre nicht das Objekt ihrer Ermittlungen plötzlich tot und ihre Auftraggeberin ebenso plötzlich nicht mehr erreichbar. Ihre verzweifelten Nachforschungen, nun in eigener Sache, führen die Detektivin in höchste politischen Kreise (US-Hefte 1 bis 5: „Alias Investigations“).

Völlig verzweifelt stolpert eine Frau namens Jane Jones ins Büro von Alias Investigations. Ihr Mann, Rick Jones, sei ein Verwandter von Jessica und verschwunden. Sehr bald gelingt es Jessica, Rick aufzuspüren. Ein Verwandter ist er nicht, doch er behauptet, bereits der Sidekick mehrerer Helden gewesen zu sein, eine entscheidende Rolle im Kree/Skrull-Krieg gespielt zu haben und dass ein Kopfgeld auf ihn ausgesetzt ist (US-Hefte 6 bis 9: „Sehnsucht“).

J. Jonah Jameson engagiert Jessica Jones, um endlich herauszufinden, wer sich unter Spider-Mans Maske verbirgt. Ein ‚Bugle‘-Reporter soll die Detektivin begleiten, um am besten gleich eine ganze Artikelserie über Jessicas Ermittlungen zu schreiben (US-Heft 10).

Jessica wird engagiert, um die 16jährige Rebecca Cross zu finden, die aus dem Vorortkaff Lago verschwunden ist. Erste Ermittlungen zeigen, dass Rebecca ein sehr talentiertes Mädchen ist, das nicht recht in dieses Umfeld passen will. Laut ihrem Tagebuch hält sie sich für eine Mutantin. Etwas, das in Lagos Kirche nicht gerne gesehen ist (US-Hefte 11 bis 14).

Nach einer Aussprache mit Luke Cage kommt es endlich zum Date mit Scott „Ant-Man“ Lang, das Caron Denvers für Jessica eingefädelt hat (US-Heft 15).


Gleich zu Anfang macht Brian Michael Bendis klar, dass es Jessica Jones nicht gerade schätzt, auf ihre Vergangenheit als Superheldin angesprochen zu werden, auch wenn sie noch ein Kostüm-Bild aus alten Zeiten mit den Avengers in ihrem Büro hängen hat. Auch folgt sie ihrem eigenen Moralkompass und wirft schon mal einen unzufriedenen Klienten durch die geschlossene Bürotür. Eine Szene, die ihre Entsprechung in Folge 1 der „Jessica Jones“-Netflix-Serie hat, basiert diese doch grundsätzlich auf den vorliegenden Bendis-Comics, die im Original bereits 2001 erschienen sind. Dennoch wurden für die Serie nur die ‚Eckdaten‘ aus den Comics übernommen, wie etwa Jessicas charakterliche Ausprägung mit harter, spröder Schale und ansonsten äußerst widersprüchlich, wütend, unberechenbar und bisweilen regelrecht besessen. Ferner haben es das Alkoholproblem der Detektivin, das sie gern mal unkontrolliert abstürzen lässt, und die Liaison mit Luke Cage auf die Mattscheibe geschafft. Außen rum wurde für Netflix jedoch eine gänzlich andere Storyline gebastelt, was daran liegen könnte, dass zum Beispiel Captain America fürs Kino reserviert ist und im Fernsehen gar nicht auftauchen darf.

Die Comicserie ist vor allem durch unterschiedlich lange Einzelfälle getrieben, die den Motor der Handlung darstellen. So erweist sich Brian Michael Bendis‘ „Jessica Jones“ (im Original hieß die Serie übrigens „Alias“) seiner Eigenschöpfung „Powers“ gar nicht unähnlich. Hier wie da geht es um ‚normale‘ Kriminalfälle, die während der Ermittlungen immer wieder eine Superhelden/Metawesen/Mutanten-Komponente erhalten. Im Fall „Jessica Jones“ wird dadurch immer wieder die Vergangenheit der Heldin aufwühlt, mit der sie gerne abschließen würde.

Natürlich gibt es zusätzlich eine horizontale Erzählebene, die sich jedoch angenehm im Hintergrund hält. So entwickelt „Jessica Jones“ im Comic ein angenehmes Tempo, wo die Netflix-Serie sich öfter mal unnötig im Kreis dreht. Ein direkter Vergleich ist durchaus empfehlenswert. Gemeinsam ist beiden, dass sie sich an ein erwachsenes Publikum richten, ist doch „Alias“ im Original unter dem Marvel-Label „MAX“ erschienen.

Die Bilder von Hauptzeichner Michael Gaydos und der nachlässig wirkende Einsatz des breiten Tuschestifts erinnern stark an Sean Phillips („Criminal“, „Fatale“, „Hellblazer“). Teilweise wird Gaydos unterstützt von Comic-Veteran Bill Sienkiewicz („Elektra: Assassin“), der ebenfalls für seinen nervösen Strich bekannt ist, sodass hier kein Stilbruch zu bemerken ist. Band 10 wurde komplett von David Mack groß bebildert und pflegt in den Dialogen eine drehbuchartige Struktur ohne klassische Sprechblasen.

Ansonsten findet sich oft der Rhythmus der Bendis typischen Ping-Pong-Dialoge in der Panel-Anordnung wieder. Dort gibt es entweder lange Sprechblasenketten oder zeilenweise Schnitt-Gegenschnitt-Darstellungen, ohne dass sich die jeweiligen Motive ändern.

Auch das Panini-Megaband-Konzept greift hier wieder sehr schön, da man tatsächlich eine abgeschlossene, runde Einheit bekommt, die sogar noch einigermaßen unbeschwert abgeschlossen wird, geht es in der Abschlussgeschichte doch um ein romantisches Date mit Scott Lang. Wer zum Beispiel die „Hawkeye“-Megabände mochte, kann auch hier bedenkenlos zugreifen. Als kleinen Bonus gibt es noch eine Galerie mit den Einzelcovern von David Mack.

Rundum gelungener Megaband und der etwas andere Superhelden-Comic, nicht nur für Fans der Netflix-Serie. Man merkt zu keinem Moment, dass die Hefte schon 15 Jahre auf dem Buckel haben.