C. E. Bernard: Palace of Glass - Die Wächterin (Buch)

C. E. Bernard
Palace of Glass - Die Wächterin
Palace 1
Übersetzung: Charlotte Lungstrass-Kapfer
Penhaligon, 2018, Paperback mit Klappenbroschur, 416 Seiten, 14,00 EUR, ISBN 978-3-7645-3195-9 (auch als eBook erhältlich)

Rezension von Irene Salzmann

London, Mitte des 21. Jahrhunderts: England wird absolutistisch von einem König regiert und von dessen Ritter-Garden kontrolliert. Die der Bevölkerung auferlegten Regeln sind streng, und wer sie bricht, muss mit drakonischen Strafen rechnen, die von Wegsperren und Gehirnwäsche bis zur Hinrichtung reichen. Infolgedessen hat sich ein neuer Puritanismus ausgebreitet, der eine züchtige, verhüllende Mode und ein Berührungstabu vorschreibt. Angeblich ist das notwendig, um zu verhindern, dass die Magdalenen - Menschen, die Gedanken lesen, Gefühle und Erinnerungsbilder erspüren und diese manipulieren können - Ahnungslose zu ihren Werkzeugen machen.

Die junge Rea Emris, am Tag Schneiderin, nachts illegale Arena-Kämpferin, ist eine Magdalene, die jeden Tag mit ihrem Schicksal hadert, denn sie sehnt sich nach den unerlaubten körperlichen und geistigen Berührungen wie alle ihrer Art, was ihr lediglich bei den Kämpfen möglich ist. In der Zwischenzeit ist der Hautkontakt mit einem Stück feuerroter, ebenfalls verbotener Seide, Erbstück einer Ahnin, das ihr ein wenig Linderung verschafft. Außer ihrem älteren Bruder Liam weiß niemand, dass Rea eine Magdalene ist; der Vater ist vor einigen Jahren gestorben und die Mutter verschwunden.

Das Auftauchen eines Gesandten, der sich Mister Galahad nennt, und Rea mitteilt, dass man sie im Palast sehen will, versetzt die Geschwister in Panik. Es stellt sich jedoch heraus, dass man zum Schutz von Prinz Robin, dem Thronfolger, einen weiteren Bodyguard in seiner Nähe unauffällig positionieren will, und Rea soll dafür in die Rolle seiner Mätresse schlüpfen. Die Aufgabe abzulehnen, ist keine Option, denn durch Liam ist Rea erpressbar. Allerdings ist sie auch von Robin fasziniert, der sich im Wechsel als arroganter Adliger und empfindsamer junger Mann gibt, der lieber alles wäre - nur nicht ein Prinz.

Es kommt, wie es kommen muss: Die beiden verlieben sich, obwohl Rea weiß, dass es keine gemeinsame Zukunft geben kann und ihre Arbeit beendet ist, sobald die mysteriöse Organisation Winter und ihre Attentäter unschädlich gemacht sind. Schon zu ihrer eigenen Sicherheit muss sie sich der Aufmerksamkeit des Königs und der Medien schnellstens entziehen und, wenn möglich, nach Paris ausreisen, wo Liam inzwischen Musik studiert.

Aus Liebe wirft Rea schließlich jegliche Vorsicht über Bord und setzt ihre Gabe ein, um den Maulwurf zu finden, der sich angesichts verschiedener Vorkommnisse unter Robins Getreuen befinden muss. Hilfe kann sie von niemandem erwarten, und gerade jene, denen sie vertrauen möchte, zählen zum Kreis der Verdächtigen. Als sie endlich dem wahren Drahtzieher auf die Spur kommt, ist es zu spät, denn man verhaftet sie als Magdalene und will ihr die Schuld am geplanten Mord an Robin in die Schuhe schieben…


Unter dem Pseudonym Christine Elizabeth Bernard, eine Hommage an ihre beiden Großmütter, veröffentlicht Christine Lehnen ihre „Palace“-Trilogie. Das Ziel war ursprünglich, die auf Englisch verfasste Saga unter dem Titel „Touch That Fire“ bei einem britischen Verlag unterzubringen, doch brachte C. E. Bernards Agentur die Romane nach Deutschland zurück, wo sie von Penhaligon publiziert werden: Die Bände „Palace of Silk - Die Verräterin“ und „Palace of Fire - Die Kämpferin“ sind für Mai und Juli 2018 angekündigt.

Weil der Stoff Seide eine besondere Rolle in der Geschichte spielt, wurde „Palace of Glass - Die Wächterin“ ein satiniertes Cover mit Klappenbroschur spendiert, das sich ein bisschen wie Seide anfühlt. Es ist schlicht in blauen Farbnuancen gehalten, und das rote Seidenband der Hauptfigur schlängelt sich darüber. Der Titel ist in schwarzer, erhabener Schrift gedruckt. Das Innencover, ebenfalls in Blau, zeigt vorne eine Baumgruppe, hinten vor einem ähnlichen Hintergrund die drei Romane.

Als Appetithappen findet sich am Buch-Ende eine vierseitige Leseprobe aus der Fortsetzung, in der die Protagonistin auf der Flucht vor einigen Verfolgern in neue Schwierigkeiten gerät.

C. E. Bernard siedelt ihre Handlung in der nahen Zukunft an und wählt als Ort des Geschehens ein dystopisches London, das einerseits die Annehmlichkeiten der modernen Technik kennt (Handy, Tablet, Auto), andererseits auf politischer, gesellschaftlicher und kultureller Ebene einen gewaltigen Rückschritt erlebt hat, so dass man meint, die puritanisch geprägte Republik unter Oliver Cromwell Mitte des 17. Jahrhunderts sei in Form eines autoritären Königreichs wieder etabliert worden.

Auf die genauen Auswirkungen des Systems geht die Autorin allerdings nicht ein (beispielsweise wie das Aufziehen von Kindern funktionieren soll, wenn der Körperkontakt nicht erlaubt ist und selbst Ärzte Ganzkörperanzüge nebst Maske tragen und nicht mit den Patienten sprechen; bereits der Stauferkaiser Friedrich II. stellte bei entsprechenden Experimenten fest, dass Kinder, denen jegliche Zuwendung verweigert wird, sich nicht weiterentwickeln und früh sterben). Man muss sich anhand der Beschreibungen, die Rea Emris, aus deren Perspektive die Geschehnisse geschildert werden, selbst ein vages Bild erstellen.

Kernpunkt ist, dass die ‚normale‘ Bevölkerung die ‚übersinnlich begabten‘ Magdalenen fürchtet und ausgrenzt. Es gab bereits Säuberungsaktionen, vergleichbar den Hexenverbrennungen im Mittelalter, und noch immer werden die Außenseiter, die sich verbergen müssen, ebenso gejagt wie alle, die es wagen, gegen die Regeln zu verstoßen. Natürlich gibt es geheime, gefährliche Orte, an denen man alles bekommen kann, was man nicht haben darf.

Um Tabu-Brüche zu erschweren, sind nicht bloß harmlose Vergnügungen wie Theater und Literatur verboten, sondern eine Kleiderordnung soll jeglichen zufälligen Körperkontakt nahezu unmöglich machen. Männer und Frauen tragen mehrlagige Gewänder aus schwerem Stoff in tristen Farben mit hinderlichen Schleppen, Handschuhe (in „Babylon 5“ wurden die Telepathen ebenfalls gezwungen, ständig welche zu tragen, damit sie nicht zufällig bei einer Berührung in die Gedanken eines anderen eindringen konnten und sofort erkannt wurden), hohe Krägen, Kummerbünde, in die man seine Hände steckt oder die Ärmel gleich daran festnähen lässt (Diener füttern mit überlangen Gabeln ihre Herrschaften, aber was machen diese, wenn sie schnell zur Toilette wollen?!), unförmige Mäntel und meist noch eine Maske.

Nun lehnen sich diese Kleidungsstücke zwar optisch der spanischen und britischen Mode aus einer die Körperlichkeit ablehnenden Ära an, doch die unförmigen Mäntel und Masken sowie deren Zweck gemahnen sehr viel stärker an Burka & Co. Es ist anzunehmen, dass eine Autorin, die an der Universität Bonn Kreatives Schreiben lehrt und parallel dazu zwei Masterstudiengänge in Englischer Literatur und Politikwissenschaft absolviert, nichts dem Zufall überlässt.

Die Anspielungen auf britischen Sagenstoff durch Code-Namen („Artus“-Mythos, „Robin Hood“) beziehungsweise Zitate aus bekannten Bühnenwerken (Shakespeare) wurden bewusst eingebunden. Das gilt auch für die Konstruktion eines von einem machthungrigen Anführer vorgegebenes ‚politisch korrektes‘ System, das gängige Vergnügungen untersagt, die Geschlechter trennt, sie unter Stofflagen und Masken anonymisiert, tiefe zwischenmenschliche Bindungen jenseits von Loyalitäten unmöglich macht und überall seine Spitzel und Denunzianten hat.

Freilich handelt es sich um eine Fantasy-Welt, aber sie scheint gespickt mit literarischen, historischen und aktuellen Anzüglichkeiten, die im Falle letzterer nicht zu deutlich werden, so dass dem Leser die Freiheit der Interpretation und der Rückschlüsse bleibt.

Der Geschichte liegt das bekannte „Cinderella“-Motiv zugrunde. Ein einfaches, wenn auch mit einer Gabe, die ihr leicht zum Verhängnis werden kann, versehenes Mädchen und der gute, in manchen Dingen ahnungslose und indoktrinierte Prinz lernen sich kennen und lieben. Die beiden kommen recht schnell zusammen durch die Rekrutierung von Rea als geheime Leibwächterin. Das geht eigentlich zu schnell in Hinblick auf all die Sicherheitsvorkehrungen, wenngleich man weiß, dass die junge Frau zuvor natürlich ausspioniert wurde, was wiederum die Frage aufwirft, warum ihr Geheimnis trotzdem keiner entdeckt hat, da die Kämpfe doch recht offensichtliche Zeichen lieferten und sie mit Handschuhen nicht annähernd so effektiv ist.

Aber es gibt noch andere Kleinigkeiten, an denen man hängen bleibt. Beispielsweise die beeindruckende Duchesse Ninon d’Orléans, die in gewisser Weise die dea ex machina für Rea ist und durch ihr unkonventionelles Wesen auffällt, was an dem puritanischen Hof tatsächlich toleriert wird, wobei die Erklärung, dass sie als Französin und Schwester des französischen Königs nicht dem englischen Herrscher untersteht, recht dünn ist. Als Gäste/Vasallen der Königin, Tochter der deutschen Kaiserin, haben Ninon und die anderen Franzosen erstaunlich viele Freiheiten.

Rea letztendlich ist der aktuelle Typ Heldin, der spätestens seit Titeln wie Suzanne Collins‘ „Die Tribute von Panem“, Veronica Roths „Die Bestimmung“ und Richelle Meads „Vampire Academy“ populär ist. Bei all diesen Protagonistinnen handelt es sich nicht mehr um die traditionelle Magierin, Schwertkämpferin, Skaldin etc. mit mehr oder weniger noblem Hintergrund, die im Rahmen ihrer Möglichkeiten selbstlos für die Gerechtigkeit kämpft und sich stetig weiterentwickelt, sondern um eine reine Schlägerin, deren Vorbilder Straßenkämpfer, Wrestler und Kick-Boxer sind. Ihr Job ist zu kämpfen und die Schutzbefohlenen zu verteidigen, wobei schmutzige Tricks ganz natürlich zum Repertoire gehören. Damit werden sie in die Nähe der Zielgruppe, Leserinnen ab 14 oder 16 Jahre, gerückt, die sich womöglich auch auf dem Schulhof oder Heimweg gegen aggressive Mitschüler unter Umständen schon einmal verteidigen mussten oder immer wieder müssen. Anders als Mädchen in der Realität haben die Identifikationsfiguren jedoch in der Regel besondere Fähigkeiten, die ihnen helfen, sich auch gegen einen überlegenen Feind oder eine Gruppe durchzusetzen. Außerdem sind sie nicht allein, sondern haben mutige Freunde, die sich nicht abwenden aus Angst, selber zu Opfern zu werden. Neben ihrer Bereitschaft, die körperliche Auseinandersetzung nicht zu scheuen, setzt Rea ihre Gabe ein, um die nächsten Züge ihres Antagonisten zu erkennen und sich entsprechend zu verteidigen. Bildung ist als eher nebensächliches und taktisches Vorgehen bloß situationsbedingt zu beobachten.

Hinzu kommt eine ‚dunkle Seite‘ der Protagonistin. Sie handelt eben nicht allein für das ‚höhere Ziel‘, sondern hat persönliche Gründe für ihre Taten. In Reas Fall ist es die Liebe zu Prinz Robin und die vage Hoffnung, dass dieser Traum vielleicht in Erfüllung gehen könnte, wenn sie ihn vor seinen Mördern rettet. Darüberhinaus empfindet sie ihr Talent, wie man es ihr von klein auf anerzogen hat, als einen Makel, den sie verbergen muss, um am Leben zu bleiben. Dennoch wird sie immer wieder schwach und verlangt nach Berührungen, die nicht auf Robin begrenzt, aber nicht intim wie mit ihm sind.

Dann gibt es noch eine Kreatur, die allein Rea sehen kann und von der sie ständig mit physischen Folgen bedrängt wird, vor allem wenn sie längere Zeit ohne Hautkontakt oder ihr Seidenband auskommen musste. Ob es ein Zeichen für Schizophrenie oder ähnliches ist, die mit der Gabe einhergehen kann, wird in diesem Band nicht geklärt. Auch einige andere Punkte bleiben offen wie Liams Schicksal, der anscheinend doch nicht gefunden hat, was er sich erhoffte.

Rea und nach ihr Robin stehen mit ihrer Beziehung im Fokus. Ansonsten haben allein Ninon, der Weiße Ritter und Mister Galahad größere Handlungsanteile. Die Rollen von König und Königin sind wechselhaft und eher negativ konnotiert, sorgen jedoch für unerwartete Wendungen. Die übrigen Charaktere dienen hauptsächlich als Statisten und Helfer aus der zweiten Reihe.

Man nimmt durchaus Anteil an dem, was Rea, Liam und ihren Freunden zustößt, auch wenn eine gewisse Distanz bestehen bleibt, da einige von ihnen zu blass bleiben. Allein Robin, der immer dann den Prinzen hervorkehrt, wenn er es als notwendig erachtet, und in der restlichen Zeit zum hilflos verliebten Möchtegern-Ausbrecher aus seinem goldenen Käfig wird, wirkt zu unstet und zu sehr auf sein eigenes Wohl bedacht, beispielsweise wenn er mit den Tabus bricht, sehr wohl wissend, dass dies für Rea, jedoch nicht für ihn Konsequenzen haben kann, als dass man ihn wirklich sympathisch findet.

In etwa passiert all das, was man als erfahrener Leser erwartet inklusive einiger Überraschungen und einem angemessenen Finale, welches - was keine Selbstverständlichkeit ist - nicht unter dem Druck der Seitenvorgabe und zu wenig Platz schnell und kurz herunter gerattert wird oder wie aus heiterem Himmel fällt, nein, hier passt wirklich alles zusammen vom Aufbau über den bei der permanenten Bedrohungslage etwas zu verliebten Mittelteil und das sorgsam erstellte Ende.

„Palace of Glass - Die Wächterin“ beschreibt eine Welt, wie sie in einem Vierteljahrhundert aussehen könnte, geformt von ‚politischer und moralischer Korrektheit‘. Was der Bevölkerung als Schutz vor einer gefährlichen Minderheit vorgegaukelt wird, dient, rasch erkennbar, allein der totalen Kontrolle und somit dem Machterhalt des Königs und seiner Speichellecker. Es ist eine Gesellschaft voller Tabus und Vorschriften, in der kein freiheitlich denkender Mensch leben möchte.

Falls die Autorin hier bewusst aktuelle Bezüge verarbeitet hat, ohne diese direkt beim Namen zu nennen, ist ihr das meisterhaft gelungen. Trifft dies nicht zu, ist das Ganze eher divers und beruht auf verschiedenen Anleihen, in welche die Leserschaft hinein interpretieren darf, was sie möchte, doch C. E. Bernard selber ist bestrebt, keine eindeutige Stellung zu beziehen.

Vor diesem Hintergrund werden einige gängige Klischees bedient, welche der Fantasy-Roman benötigt, um zu funktionieren und die Erwartungen des (weniger kritischen und auf Spannung hoffenden) Publikums abzudecken. Erfreulicherweise werden die Versatzstücke so geschickt eingebracht und mit einigen neuen Attributen versehen, dass man sie akzeptiert und sie nicht als den x-ten Aufguss nach Vorbild eines Genre-Klassikers ansieht.

Der Stil der Autorin ist angenehm zu lesen, fast schon etwas zu einfach gehalten, doch den Wünschen der Zielgruppe geschuldet. Tatsächlich wirkt die Schilderung dadurch natürlich und lebendig; die Sprache passt sich dem Tempo der Ereignisse an durch entweder kurze, unvollständige oder längere, ausformulierte Sätze.

Wer Fantasy-Schmöker dieser Art schätzt, wird auf jeden Fall gut unterhalten, vordergründig durch Spannung, hintergründig durch das Aufzeigen der Gefahren, die einem autoritären Regime innewohnen, das das Verhalten, die Sprache und die Gedanken der Bevölkerung durch Verbote und Strafen zu manipulieren versucht.