Kage Baker: Die Frauen von Nell Gwynne’s (Buch)
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- Kategorie: Rezensionen
- Veröffentlicht: Samstag, 03. Juli 2010 10:13
Kage Baker
Die Frauen von Nell Gwynne’s
(The Women of Nell Gwynne's)
Aus dem amerikanischen Englisch übersetzt von Astrid Mosler
Titelillustration von Thomas Adorff
Feder & Schwert, 2010, Taschenbuch, 160 Seiten, 9,95 EUR, ISBN 978-3-86762-074-1
Carsten Kuhr
Kennen Sie, nein, besser ausgedrückt: lieben Sie James Bond? Den Agenten 007, der im Auftrag Ihrer Majestät für das Empire Kopf und Kragen riskiert, dabei auch vor vollem Körpereinsatz nicht zurückschreckt? Nun, dann wäre vorliegende Novelle sicherlich das Richtige für Sie.
Der Secret Service und der MI6 gingen aus einer Vereinigung respektabler Gentlemen hervor. Was kaum einem bekannt ist, die honorablen Herren hatten Hilfe. Im frühviktorianischen London führt Mrs. Corvey ein respektables Haus für Töchter aus besseren Familien. Herrenbesuch gibt es keinen, sonntags geht man in die Kirche und trifft sich zum Tee. Was außer den wenigen Eingeweihten niemand ahnt ist, dass ein unterirdischer Gang das Gebäude mit einem nicht ganz so gesitteten Viertel verbindet, und es unter den Connaisseurs der etwas härteren Gangart als Nell Gwynne’s bekannt, ja legendär ist. Hier gehen, inkognito versteht sich, der Hochadel ebenso ein und aus wie Parlamentsabgeordnete und Kabinettsmitglieder und werden von den bezaubernden Damen verwöhnt.
Immer wenn die Vereinigung der respektablen Gentlemen zum Wohle des Empires Unterstützung benötigt, sind unsere wackeren Damen allzeit bereit, zu Diensten zu sein, weiß man doch, dass im Bett und erschöpft vom Liebesspiel so manches wohlgehütete Geheimnis ausgeplaudert wird. Dieses Mal aber sollen die Damen nicht nur das Bettgeflüster weitergeben, sondern werden in ihrem eigenen Metier aktiv.
Ein adeliger Erfinder hat vier Huren angefordert, um seine Verkaufsverhandlungen mit Vertretern ausländischer Mächte zu unterstützen. Doch was nur bietet der verarmte Peer an, und was geschah mit dem Agenten, den die Gentlemen bei diesem eingeschleust haben – ein Fall für unsere wackeren Liebesdienerinnen im Dienste Ihrer Majestät ...
Es ist bekannt, dass immer wieder Kleinverlage die Fahne hochhalten, wenn es darum geht, Texte außerhalb des Mainstream zu veröffentlichen. Sei es der Bereich der Anthologien, aber auch die in unserem Sprachraum unerklärlich verschmähten Steampunk-Werke, sie alle finden sich in aller Regel nur im Angebot der kleineren Verlage, die ihren Lesern etwas Besonderes bieten wollen.
Die erst kürzlich einem Krebsleiden erlegene Kage Baker ist bei uns durch ihre bei Heyne publizierte „Zeitreise“-Serie ein Begriff. In der vorliegenden Novelle leistet sie 007 auf ganz eigene, originelle Art und Weise ihre Referenz. In einem schnörkellosen Stil berichtet sie uns von in jeglicher Hinsicht tatkräftigen Frauen. Oftmals ohne eigenes Verschulden sind diese, zumeist aus guten Hause stammenden Damen, aus ihrem sozialen Netz gefallen, sind plötzlich und unerwartet eben nicht mehr die feinen Damen, die sich auf Kaffeekränzchen die Zeit mit belangloser Konversation vertreiben und auf Bällen nach einem gesitteten und wohl situierten Galan und Ehemann Ausschau halten. Stattdessen müssen sie plötzlich selbst schauen, wo sie bleiben, wie sie überleben.
Ihre ehemaligen Freunde schauen durch sie hindurch, Hilfe, Freundschaft und Unterstützung erhalten sie keine. Da ist Pragmatismus angesagt, und letztlich ist es oftmals nur mehr ihr Körper, den sie anbieten können. Das Angebot in Nell Gwynne`s anschaffen zu gehen kommt da wie eine Wohltat aus heiterem Himmel. Hier werden sie nicht nur vor dem Leben auf der Straße beschützt, sondern finden in der Gemeinschaft der Damen Halt. Dazu kommt, dass sie in ihrer Arbeit fürdas Empire sogar noch eine moralische Rechtfertigung für ihre Tätigkeit finden.
Verbunden hat die Autorin diese sehr stimmige Schilderung dann mit Gimmicks, die den Bond-Fan – und nicht nur diesen – zum Schmunzeln bringen. Auch hier gibt es einen Q, der findige technische Hilfsmittel bereitstellt, und verrückte Erfinder, die die Sicherheit der Welt bedrohen. Nur eben, dass dies aus Sicht der Damen erzählt wird und alles in einer etwas beschaulicher wirkenden Umgebung stattfindet.
Das hat Esprit, Tempo und Witz, liest sich flüssig und spannend und ist eine Empfehlung wert.