Oliver Plaschka: Fairwater (Buch)

Oliver Plaschka
Fairwater
Knaur, 2018, Taschenbuch, 476 Seiten, 12,00 EUR, ISBN 978-3-426-52169-4 (auch als eBook erhältlich)

Rezension von Carsten Kuhr

Eigentlich wollte sie nie nach Fairwater zurückkehren. Die Rede ist von der erfolgreichen „Washington Post“-Journalistin Gloria, doch dann führt die Beerdigung ihrer für tot erklärten Jugendliebe sie wieder in die Stadt, die sie das letzte Mal mit 14 Jahren betreten hat.

Fairwater ist als das Venedig Marylands bekannt. Pittoreske Flussläufe schlängeln sich durch malerische Täler - wenn die schwüle Hitze, bei und in der sich nur Moskitos wohlfühlen, nicht wäre, würden die Touristen gleich scharenweise anstehen. So aber bestimmen totgeschwiegene Skandale die Stadt: Störungen im Atomkraftwerk werden dabei ebenso unter den Teppich gekehrt, wie in den Fluss geleitete chemisch-biologische Abwässer. Hinter den Skandalen steckt van Bergen, der Stadt wie Wirtschaft beherrscht - beherrscht hat, fand man ihn doch im gut gesicherten, abgeschlossenen Haus in seinem Bett ausgeweidet und einen Liter seines Blutes beraubt tot auf.

Gloria wittert eine Geschichte, eine Story, die sie nicht mehr loslässt. Sie macht sich auf, die Rätsel um die Stadt, deren Bewohner und die Heimsuchungen zu enträtseln. Und sie stößt auf ungeklärte Todesfälle, auf vertuschte Morde und Personen, die unauffindbar bleiben und auf vermeintliche Agenten.

Von den Recherchen erzählt die erste Hälfte des Romans.

Dann aber wechselt der Fokus, statt Gloria nehmen andere Figuren die Bühne ein, wird uns in kurzen und längeren Sequenzen, die so manches Mal an Träume erinnern, von der Vergangenheit und der Gegenwart dieser Menschen berichtet. Dabei machen wir die Bekanntschaft ganz verschiedener Bewohner; einem Kindermädchen, einem Stadtstreicher, einem einst jungen Mann der wegen seinen imaginären tierischen Begleitern in psychiatrischer Behandlung ist - sie alle standen in Verbindung zu den Fabriken van Bergens oder dem Mann selbst. Was aber steckt hinter den Heimsuchungen der Menschen und der Stadt? Die Antwort ist ebenso verblüffend wie nicht vorhersehbar...

 

2007 erschien eine Version dieser Geschichte bei Feder & Schwert und wurde im nächsten Jahr mit dem Deutschen Phantastik Preis in der Kategorie Bestes Debüt ausgezeichnet. Nun, mehr als zehn Jahre später, und zahllose Stunden, die Plaschka mit dem Überarbeiten und Streichen verbrachte, liegt der Text in einer neuen, einer endgültigen Version vor. Der Autor selbst nennt es in seinem Vorwort eine Entwicklung von einer Reihe von zusammenhängenden Kurzgeschichten hin zu einem einheitlichen Roman.

Die erste Hälfte des Buchs erinnert mich dabei, sowohl was die Atmosphäre anbelangt als auch von dem Plot selbst, an Werke Neil Gaimans oder Jeff VanderMeers - wahrlich keine schlechte Konkurrenz.

Plaschka gelingt es mit scheinbar leichter Hand ein Szenario zu skizzieren, das uns einfängt und in seinen Bann zieht. Dabei sind die - wenigen - scheinbaren Action-Szenen eigentlich gar nicht wirklich wichtig. Die Verfolgungsjagd zweier Autos wirkte auf mich fast schon eher als Fremdkörper bei der Suche nach den Rätseln und was hinter diesen steckt.

Im zweiten Teil wird die Handlung dann - seltsam. In wechselnden Perspektiven berichten uns Menschen der Stadt von ihrem Leben, von den Erfahrungen, die sie machen durften und mussten und über ihre Träume, Enttäuschungen und Hoffnungen. Das wirkt auf den ersten Blick ein wenig unzusammenhängend, setzt sich dann aber, wie die Scherben eines zu Bruch gegangenen Spiegels, nach und nach zu einem Bild zusammen, das die Stadt und Vorgänge illustriert.

Das ist weit von dem sonst Gewohnten entfernt, bietet weder alte Männer mit spitzen Hüten noch junge Recken mit spitzem Stahl oder blutgierige Monster; dafür aber jede Menge Atmosphäre, faszinierende Figuren und einen nie vorhersehbaren Plot.