Charlaine Harris: Midnight, Texas (Buch)
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- Kategorie: Rezensionen
- Veröffentlicht: Freitag, 23. März 2018 19:31
Charlaine Harris
Midnight, Texas
(Midnight Crossroad, 2014)
Übersetzung: Sonja Rebernik-Heidegger
Heyne, 2018, Taschenbuch, 410 Seiten, 9,99 EUR, ISBN 978-3-453-31910-3 (auch als eBook erhältlich)
Rezension von Carsten Kuhr
Texas ist für zwei Dinge berühmt - zum einen für seinen Reichtum an Öl, zum anderen für seine Hitze.
Midnight ist ein kleines, gottverlassenes Kaff irgendwo in den Weiten der selbst im Herbst gnadenlos vom Himmel brennenden Sonne. Zwei Straßen kreuzen sich hier, das Örtchen besitzt an dieser Stelle sogar eine über der Kreuzung schaukelnde Ampel, ansonsten gibt es eine Tankstelle nebst angeschlossenen Minimarkt, einen Diner, eine Galerie in die sich kaum einmal jemand verirrt, eine Pfandleihe und ein Nagelstudio. Dazu bietet eine weise Frau spiritistische Unterweisungen an und handelt mit esoterischen Schnickschnack.
In diese Mega-Metropole zieht Manfred Bernardo; Anfang 20 und bereits ein renommierter Hellseher, der seine Dienste im Internet anbietet. Er ist auf der Suche nach Ruhe und Abgeschiedenheit - und, mal ehrlich, ruhiger und abgeschiedener als Midnight geht gar nicht. Die übrigen Einwohner des Kaffs wachen gar eifersüchtig über ihre Muße, haben sie doch allesamt etwas zu verbergen.
Der Reverend etwa, der auf seinem Friedhof auch einen geweihten letzten Ruheplatz für Tiere anbietet, hat ebenso wie der Galerist und sein schwuler Partner eine Eigenheit, von der am Besten niemand etwas mitbekommen soll. Die Wikka-Anhängerin ist eine veritable Hexe komplett mit sprechendem Kater, dann gibt es noch eine Frau, die sich ihren Lebensunterhalt mit Auftragsmorden verdient, den Enkel eines bekennenden Rassisten - dem nachgesagt wird, ein Waffenlager zu verstecken - und einem mysteriösen Mann, der weit über 130 Jahre alt ist, aber aussieht wie 30 und nur nachts unterwegs ist.
Als die Bewohner beim ersten gemeinsamen Picknick die Leiche einer früheren Ortsansässigen finden, werden Geheimnisse aufgedeckt, Talente offenbart und Gegner unschädlich gemacht - ich deutete ja schon an, dass die Bewohner von Midnight ihre Ruhe schätzen -, und da kommen verblendete Nazis als Gegner gerade recht…
Charlaine Harris ist uns aus ihrer Serie um die gedankenlesende Kellnerin Sookie Stackhouse bekannt. Die unter dem Titel „True Blood“ verfilmte Reihe genießt Kultstatus - kein Wunder also, dass sich die Autorin auf ihr erfolgreiches Rezept besinnt, und uns eine weitere Urban-Fantasy-Serie offeriert.
Mittlerweile ist diese auch in einer ersten Staffel bereits verfilmt worden, wobei sich sowohl die Handlung als auch die Figuren zum Teil doch deutlich von denen im Buch unterscheiden. So ganz erreicht die TV-Serie dabei die Qualität von „True Blood“ nicht, was zum Teil auch an der in meinen Augen Fehlbesetzung wichtiger Figuren liegen mag.
Zurück zum Buch - dieses zieht seine Faszination fast ausschließlich aus den ungewöhnlichen Figuren. Was das Setting anbelangt, bleibt Harris rudimentär, doch vergessen Sie ganz schnell alles, was sie über Werwesen, Vampire oder Hexen zu wissen glauben. Harris’ Gestalten sind nicht nur vielschichtig und interessant, sie umgibt auch ein Nimbus von etwas Besonderem. Jeder von ihnen hat seine Eigenheit, unterscheidet sich zum Teil doch markant von dem, was wir als typische Kennzeichen der Spezies erwarten. Es ist spannend und interessant zu beobachten, wie sich Manfred in diese eigentlich statische Gemeinschaft einfügt, wie sich durch seine Präsenz festgefügte Verhaltensmuster und Beziehungen neu definieren und sich das Beziehungsgeflecht ändert. Dazu kommt, dass die Bewohner des Städtchen auch untereinander interagieren, dass sie aufeinander und miteinander in Beziehung treten und sich vereint bemühen, alles Fremde möglichst außen vor lassen.
Dass Harris dann unbedingt doch recht stereotyp gezeichnete Nazis mit einbauen muss, die für den Endsieg auf der Suche nach einem legendären Waffenlager sind - und das in den USA, wo man in jedem Walmart Schießeisen für billig Geld erwerben kann - wirkt ein wenig an der Haaren herbeigezogen, fast schon lächerlich. Hier hoffe ich in Zukunft auf ein wenig mehr Imagination und glaubwürdigere Fieslinge.
Was ich gegenüber den Sookie-Romanen deutlich vermisst habe, war die überzeugende Darstellung nicht nur des Lebens sondern auch der Denkweise der Menschen in den Südstaaten der USA. Das Sittengemälde nimmt, zumindest in diesem Auftaktroman, noch nicht den Stellenwert ein, wie dies in der „True Blood“-Reihe der Fall war. Auch wirkt Manfred als Hauptperson weit distanzierter als Sookie die, gerade weil sie sehr emotional agierte, eine ideale Erzählerin war.
Der Auftakt ist gemacht, es bleibt abzuwarten, was die nächsten Bände für uns bereithalten.