Edward Lee: White Trash Gothic - Die Rückkehr des Bighead (Buch)
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- Kategorie: Rezensionen
- Veröffentlicht: Donnerstag, 15. Februar 2018 09:16

Edward Lee
White Trash Gothic - Die Rückkehr des Bighead
(White Trash Gothic, 2017)
Übersetzung: Simona Turini
Titelbild: Dean Samed
Festa, 2018, Paperback 314 Seiten, 12,99 EUR
Rezension von Carsten Kuhr
Willkommen in Luntville, einem kleinen Kaff tief im Süden der USA. Umgeben von idyllischem Wildwuchs, trifft der Tourist hier auf eine Welt, die sich scheinbar seit Jahrzehnten, was sage ich Jahrhunderten kaum gewandelt hat. Hier leben sie, die Rednecks in ihre Trailerparks, geben ihre Stütze für Selbstgebrannten und Drogen aus, und vertreiben sich ihre Zeit damit, sich fortzupflanzen.
Mit von der Partie sind dabei immer dieselben Typen; Männer, die mehr in der Hose haben als gut für sie ist, die sich ihre Erleichterung verschaffen, ganz egal, ob sie willkommen sind oder nicht und die es mit dem Recht und Gesetz nicht ganz so genau nehmen. Die Frauen - nun, es langt wenn ich sage, dass sie keinen Deut besser sind als ihre Stecher.
In diese Welt kommt ein gebildeter Mann, ein Harvard- und Yale-Absolvent, ein gefeierter Autor, der sein Gedächtnis verloren hat. Er ist auf der Suche nach Erinnerungen; die zwanzig Jahre alte Spur führt ihn direkt hierher ins Nirgendwo.
Kaum angekommen trifft er, der sich immer höflich und zurückhaltend benimmt und sich ausgewählt ausdrückt auf eine Welt, wie er sie sich in seinen schlimmsten Träumen nicht hat vorstellen können: Eine Welt, die voll ist von animalischer Lust und grenzenloser Gewalt, voll von Perversitäten und grauenerregenden Gestalten - eine Welt, die Erinnerungen in ihm weckt…
Edward Lee ist das Zugpferd im „Festa-Stall“. Nicht umsonst lädt der Verlag den US-Amerikaner schon zum zweiten Mal nach Leipzig - dieses Mal zur Buchmesse - ein, die Fans und Leser wollen den Mann kennenlernen, der den Extrem Horror dies- wie jenseits des Atlantiks geprägt hat, wie kein Anderer.
Vorliegend wendet er sich erneut einer seiner beliebtesten Schöpfungen zu - die Rede ist von Bighead, einem mehr als großgewachsenen Wesen im Overall, das uns bereits mehrfach das Grauen lehrte.
Und er punktet einmal mehr mit einer überaus treffenden Milieu-schilderung. Der white trash, die ungebildeten Weißen, ihr Leben, ihr Denken und ihre Verhaltensmuster werden einmal mehr sicherlich pointiert und ein wenig übertrieben aber eben doch treffend porträtiert. Ihr elendes Dasein, ihre Perspektivlosigkeit bricht sich Bahn in der tagtäglichen Gewalt, in dem Versuch, die Tristesse des Alltags mittels Alkohol oder Drogen zu vergessen und in dem wenigen an Vergnügen, das man sich leisten kann: Sex.
In diese Welt der Verlierer, die längst vom amerikanischen Traum abgekoppelt wurden, kommt ein Mann, der ganz anders ist. Nicht nur sein Wissen, seine gebildete Sprache unterscheiden ihn von den Menschen in dem Kuhkaff, sein Verhalten ist geprägt von Höflichkeit und Zurückhaltung. Das unterscheidet ihn markant von den Ortsansässigen und macht ihn, gerade weil er anders ist, für diese wie den Leser erst so richtig interessant.
Nun ist Lee nicht unbedingt dafür bekannt, dass er der größte Stilist unter den Autoren ist. Vorliegend aber hat er mich überrascht, weil es ihm und seiner Übersetzerin gelungen ist, diesen Unterschied sowohl inhaltlich wie sprachlich abzubilden. Nicht nur, dass unser Protagonist mit Gedächtnislücken immer wieder mit Zitaten der Weltliteratur um sich schmeißt, dass er fundierte geschichtliche Parallelen zieht, er drückt sich auch vom Jargon ganz anders aus, als die Hinterwäldler.
Dazu gesellen sich dann die Lee-typischen Unappetitlichkeiten: plakativer Sex, jede Menge Blut und Gewalt und eine aberwitzige Handlung - eben genau das, was der Leser bei Lee sucht. Und vorliegend wird er einmal mehr entsprechend seinen Erwartungen bestens bedient.