Sandman 10: Das Erwachen (Comic)

Neil Gaiman
Sandman 10
Das Erwachen
(The Sandman: The Awakening, #70-75, Vertigo Winter’s Edge #1 ,3, 1991-95,96,98,2000)
Aus dem Amerikanischen von Gerlinde Althoff
Titelillustration von Dave McKean
Zeichnungen von Michael Zulli, John J. Muth, Charles Vess, John Bolton
Farbe von Michael Vozzo und anderen
Panini, 2010, Paperback mit Klappenbroschur, 220 Seiten, 24,95 EUR, ISBN 978-3-86607-917-5

Christel Scheja

Wenn jemand den amerikanischen Comic in den 1990er Jahren nachhaltig veränderte, dann war das wohl Neil Gaiman mit seiner „Sandman”-Serie, die nicht nur Comic-Geschichte schieb, sondern auch den großen Konzernen deutlich machte, dass eigenwillige Geschichten mit ungewöhnlichen Themen und Tiefgang auch bei ihrem üblichen Publikum Freunde gewinnen konnte. Die insgesamt zehn Sammelbände der Reihe sind zwar bereits in den 1990ger Jahren bei der Ehapa Comic Collection erschienen, wurden nun aber noch einmal von Panini im Graphic-Novel-Format aufgelegt.

Im Mittelpunkt der Geschichte steht eine Trauerfeier. Die Ewigen und einige andere Wesen von der Erde und aus anderen Welten kommen zusammen um Abschied von jemandem zu nehmen, der von ihnen gegangen ist. Dream hat sein Leben gelassen und ist damit aus ihrer Mitte geschieden. Zeit, über ihn nachzudenken, seine Fehler und Schwächen, aber auch seine guten und mutigen Taten. Menschen und Unsterbliche, Feenwesen wie Elfenkönigin Titania, aber auch Dämonen gedenken des Herrn der Träume, ohne den die Welt ein wenig leerer wird. Sie ahnen jedoch nicht, dass das Ende des einen auch der Anfang eines anderen ist. In einem abgelegenen Palast macht sich Dreams Nachfolger bereits darüber Gedanken, ob man ihn anerkennen wird, ob er ohne Probleme in die Fußstapfen seines Vorgängers treten kann und mag. Er ist von einer tiefen Unruhe erfüllt – und gerade jetzt müssen ihn deshalb andere ermahnen noch ein wenig geduldiger zu sein.

Die restlichen Geschichten erinnern noch einmal an das Wirken des alten Dream. Sei es nun im Zusammenhang mit einem alten Weisen, der die Unsterblichkeit sucht und doch nur das „Exile“ findet, da sich nichts wirklich betrügen lässt, oder an der Seite des alternden William Shakespeare, der sich durch sein letztes Stück quält und nicht wirklich weiß, wie er es weiter und zu Ende führen soll. Dann aber erscheint der Mann, der ihm erst die Kraft und Inspiration gab, und erinnert ihn an sein Versprechen. Denn ohne ihn wäre vermutlich sein Leben in ganz anderen Bahnen verlaufen. Vielleicht hätte er dann zufriedener sein können und seinen Sohn nicht verloren – aber dadurch wäre auch sein Name in Vergessenheit geraten. So wird „The Tempest“ nicht nur zu einem Spiegel seiner Umgebung, sondern auch zu einem letzten Vermächtnis des Poeten an den Herrn der Träume. Dann ist da noch der Faun, der sich die Illusion schöner Träume erbittet, und der Reisende in einer Kutsche, der erfahren muss, dass er eigentlich nur eine Person wirklich jemals geliebt hat – sich selbst.

Wie könnte man eine Saga besser enden als mit einem Requiem – einem Abgesang auf den Helden, der den Leser die neun Bände zuvor begleitet hat? Der neue Dream erinnert zwar sehr an seinen Vorgänger, dass er aber vollständig in weiß auftritt, auch helle Augen und Haare hat, ist nicht sein einziger Unterschied. Noch einmal erinnern sich Sterbliche und Ewige an die Erlebnisse mit ihm, an ihre Beziehung die mal stürmisch, dann wieder düster und nicht unbedingt sehr angenehm war. So gibt es auch ein Wiedersehen mit einigen Figuren aus den früheren Bänden. Letztendlich geht es aber um das Vermächtnis von Dream. Was hat er den Träumenden und seinen Geschwistern, den Wesen der Anderswelt und der Dunkelheit eigentlich hinterlassen? Und ist das wirklich alles so einfach zu verstehen? Oder bleiben die Erkenntnisse so rätselhaft wie sein Wirken in früheren Zeiten?

Auch die anderen Geschichten folgen diesem Tenor und sind mal handfeste und durchdachte Geschichten, dann wieder verhaltene Stimmungsbilder. Wieder mischen sich in der abwechslungsreiche Geschichte kleine Beobachtungen aus dem alltäglichen Leben, mit märchenhaft-mythischen Momenten. Vielleicht ist die Grundstimmung diesmal eher melancholisch, aber nicht negativ. Erneut wirken die Dialoge hintergründig und doppeldeutig. Durch die geschickt eingebauten Andeutungen und einigen ungesagten Dingen, die der Leser letztendlich mit seinen eigenen Überlegungen füllen muss, entsteht erst die Spannung, so dass Action gar nicht erst nötig wird.

Am Ende bleibt „Sandman“ seiner Linie weiterhin treu, denn „Das Erwachen“ präsentiert zum letzten Mal sehr hintergründige Geschichten, die sich alles in allem wie die Vorgängerbände an ein belesenes und anspruchsvolles Publikum richtet, dass viele Inhalte selbst ergründen möchte.