H. G. Wells: Das Imperium der Ameisen (Hörspiel)

H. G. Wells & Oliver Döring (Script)
Das Imperium der Ameisen
Sprecher: Julien Haggege, Carlos Lobo, Douglas Welbat u.a.
Folgenreich, 2017, 1 CD, ca. 56 Minuten, ca. 8,99 EUR

Rezension von Irene Salzmann

Lukas Holroyd, ein kleines Licht in einer großen Firma, soll nach Peru reisen, um herauszufinden, was seinem Kollegen John Perkins zugestoßen ist, der stets zuverlässig Berichte geschickt hatte, bis abrupt der Kontakt abbrach. Ist er verletzt, im gefährlichen Dschungel gar umgekommen? Oder wurde er von einem Konkurrenzunternehmen abgeworben? Holroyd weiß nur, dass der Vermisste eine neue, extrem giftige Ameisen-Art entdeckt hatte, für die sich die Pharmaindustrie sehr interessiert.

Unterwegs trifft Holroyd auf einen Mann, der Perkins immer als Bote gedient hatte und bei ihrem letzten Treffen aufgefordert worden war, nicht mehr zurückzukehren. Obwohl es allerlei Gerüchte gibt, nach denen schon etliche Menschen durch Ameisen den Tod gefunden haben, setzt Holroyd seine Reise fort - und er stößt auch schon bald auf Beweise für die Gefährlichkeit der Insekten.

Wie gefährlich sie tatsächlich sind, beginnt er aber erst zu ahnen, als er Perkins findet, lebend und… als Gefangenen der Ameisen. Dass es für Holroyd, seine Begleiter und den Rest der Menschheit keine Chance mehr auf ein Entkommen gibt, begreift er schließlich, als er, zurück in seiner Heimat, erkennt, wie viel raffinierter die Ameisen in Wirklichkeit sind.


„Das Imperium der Ameisen“ ist eine wenig bekannte Kurzgeschichte von H. G. Wells, die 1905 erstveröffentlicht wurde. Obschon sie wohl nicht als Vorlage diente, erinnert der Plot an die Handlung des Science-Fiction-Films „Phase IV“ von 1974, in dem sich Forscher mit Ameisen befassen, die ihr Verhalten geändert haben und zielgerichtet beziehungsweise intelligent handeln. Nichts anderes geschieht auch in dem Klassiker, der nun als Hörspiel vorliegt und schon vor über hundert Jahren auf der ‚die Natur schlägt zurück‘-Schiene fuhr.

Die Geschichte beginnt mit einem Appetizer, der sofort klarmacht, dass die Ameisen wirklich gefährlich sind und diejenigen, die mehr über sie wissen, eingekesselt haben und umzubringen versuchen. Ob John Perkins und seine Gefährtin das Grauen überleben, bleibt erst einmal offen.

Anschließend wird Lucas Holroyd ins Spiel gebracht. Er ist neu in der Firma, kein Forscher und eigentlich entbehrlich, weshalb er den Job übernehmen soll, den alle anderen abgelehnt haben. Weil er keine andere Wahl hat und sich davon berufliches Vorankommen verspricht, begibt er sich in den peruanischen Dschungel.

Obwohl sich Holroyd nicht von der Suche nach Perkins abbringen lässt, ist er klug genug, die Warnungen von Einheimischen und Kennern des Landes ernst zu nehmen und vorsichtig zu sein. Dennoch hat er niemals mit dem gerechnet, was er am Zielort vorfindet, und er ist froh, dass er von dort entkommen kann. Zu spät erkennt er, dass die Insekten nicht nur Perkins sondern auch ihn und die anderen benutzt haben, um „Das Imperium der Ameisen“ auszuweiten.

Man verrät nicht zu viel - denn jeder SF-Fan kennt diese Szenarien -, wenn man noch anmerkt, dass es bloß eine Frage von wenigen Jahren ist, wann die Ameisen die dominante Spezies auf der Erde sind und die Menschen sich ihnen unterwerfen müssen, wollen sie überleben. Vergleichbare Inhalte bieten Filme wie  „Formicula“ (1954), „Frogs“ (1972) und „Arachnophobia“ (1992) sowie diverse Romane wie Schätzings „Der Schwarm“, Herberts „Die Ratten“, Werbers „Die Ameisen“ und so weiter.

Die Frage, wie lang es die Natur zulässt, dass der Mensch aus Gewinnsucht Eingriffe, die sich kaum mehr rückgängig machen lassen, vornimmt, indem er beispielsweise die Wälder rodet, Monokulturen anlegt und Flächen versiegelt, durch Überdüngung und Pflanzenschutzmittel die Böden und das Grundwasser verseucht, dadurch einerseits das Artensterben beschleunigt, andererseits Anpassungen und Mutationen verursacht, ist, wie die Beispiele belegen, nicht erst in den 70er Jahren aufgekommen mit ‚grünen‘ Parteien und dem Umweltgedanken.

Es gibt zahlreiche phantastische Visionen, in denen Pflanzen oder/und Tiere sich weiter entwickeln aufgrund von Giften, Radioaktivität etc. und den Spieß umdrehen, indem nun die Menschen zu ihrer Fress-Beute oder angegriffen und ausgerottet werden, weil Platz für die eigene Art geschaffen werden muss. Besonders gern werden Insekten in den Mittelpunkt gestellt, deren Zahl die der Menschen ohnehin weit übersteigt und von denen einige (Ameisen, Termiten, Bienen und so weiter) durchorganisierte Staaten bilden, sodass der Sprung zur Schwarmintelligenz und darüber hinaus nicht mehr weit ist.

„Das Imperium der Ameisen“ bietet für eingefleischte Fans der Phantastik und des Themas keine wirklichen Überraschungen, erfüllt aber die Erwartungen und gefällt auch, weil auf unnötige Grausamkeiten, ohne die die entsprechende Gegenwartsliteratur/Film meist nicht auskommen kann, verzichtet wird und die Spannung vor allem aus der Ahnung, dem Unausgesprochenen und den Andeutungen erwächst. Auch die Hörspiel-Umsetzung ist gefällig.

Ein Geheimtipp für die Freunde von SF- und Horror-Klassikern.