Claudia Kern: Divided States of America (Buch)
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- Kategorie: Rezensionen
- Veröffentlicht: Freitag, 24. November 2017 11:06
Claudia Kern
Divided States of America
Titelbild: Martin Frei
Cross Cult, 2017, Hardcover, 616 Seiten, 24,00 EUR, ISBN 978-3-95981-499-7 (auch als eBook erhältlich)
Rezension von Christel Scheja
Die Welt hat sich verändert und tritt neue Gedankenspiele von SF-Autoren los. Gerade die Wahlen in den USA haben eine Situation geschaffen, die gerade dazu reizt, gewisse Gedanken weiter zu spinnen. Denn warum nur illegale Einwanderung aufhalten wollen, wie von Präsident Trump propagiert - warum nicht gleich einen Schritt weiter gehen? Claudia Kern hat genau diese Idee weitergesponnen und in „Divided States of America“ umgesetzt.
Schon der Wahlkampf wurde mit harten Bandagen bestritten und hat die Demokraten deutlich verlieren lassen. Aber auch nach seiner Wahl schafft es Joseph Johnson, der neue Präsident der USA, die Fronten weiter zu verschärfen, denn anstatt die Schuld bei sich zu suchen, dass immer mehr Extremisten an die Öffentlichkeit treten - egal welcher Färbung -, schiebt er alles auf die illegalen Einwanderer. So erlässt er schon bald ein Dekret, durch das alle legalen Einwanderer gezwungen werden, einen Ausweis zu tragen, der sie als akzeptierte Bürger der Vereinigten Staaten ausweisen. Jeder der keinen solchen besitzt, aber klar als Ausländer erkennbar ist, kann dadurch aufgespürt und festgenommen werden, dafür sorgen vermehrte Überprüfungen, aber auch militante Gruppen.
Es kommt so wie es kommen muss. Bald reicht schon eine dunklere Hautfarbe aus, um in Generalverdacht zu geraten. Menschen werden einfach angegriffen, Läden zerstört, Scheiben beschmiert. Viele bekommen Angst und versuchen in Richtung der Westküstenstaaten zu fliehen, die die Ausweispflicht ablehnen, doch ausgerechnet in Arizona werden sie aufgehalten, da der dortige Gouverneur die Grenzen geschlossen hat.
Und so kommt es wie es kommen muss. Politisches Kalkül sorgt für Eskalation, Chaos und bürgerkriegsähnliche Zustände, die für eine Spaltung des Landes und viele Tote sorgen.
In mehreren Handlungsebenen erzählt Claudia Kern, wie eine Entscheidung ein Land verändern und Familien zerstören kann. Sie pickt sich dafür neben den Politkern, die sich das Ganze vom Elfenbeinturm aus betrachten und ihre politischen Ränge spinnen, auch ganz normale Menschen heraus, seien es nun illegale Einwanderer in Florida oder aber ein paar Familien, die einem Sektenguru mit nationalsozialistischem und völkischem Gedankengut folgen und auch keine Scheu vor blinder Gewalt haben.
Dabei bleibt sie erstaunlich nahe an der Wahrheit. Joseph Johnson hat tatsächlich gewisse Ähnlichkeiten mit dem aktuellen Amtsinhaber; er ist ein guter Redner und Polemiker, aber nicht unbedingt jemand, der die Werkzeuge der Politik richtig beherrscht, was seinen Stab regelmäßig in den Wahnsinn treibt - nur sagt keiner was, weil Johnson Kritiker schnell entlässt.
Auf der anderen Seite steht da sein Rivale, der mit Leib und Seele Berufspolitiker ist und seine Fähigkeiten zusammen mit seinen Leuten auch voll ausnutzt.
Zwischen diesen beiden zermahlen werden die einfachen Menschen - die Männer und Frauen, die schon seit Langem, wenn auch illegal, in den USA leben und dessen Wirtschaft stärken - aber auch ihre legal hier lebenden Freunde. Man fühlt sich zudem in die Nazi-Zeit versetzt, wenn man von den Pogromen liest. In dem Sinne ist auch die vierte Gruppe interessant: die Familien, die das Gedankengut der Neonazis förmlich leben.
Jedes Einzelschicksal steht symbolhaft für die Entwicklungen, die sich aus einem solchen Dekret ergeben könnten - und manche Szene lässt den Leser sicherlich schlucken, weil die Ereignisse dort nicht von der Hand zu weisen sind.
Am Ende sind zwar einige der Fronten geklärt worden, aber die Autorin lässt doch Fragen bewusst offen, damit man auch noch später darüber nachdenkt.
Dank des klaren und nüchternen Stils der Autorin, der zudem nahe an den Figuren bleibt, kommt man sich auf keiner Seite belehrt vor, aber dennoch bleibt am Ende ein mulmiges Gefühl zurück und das Gedankenspiel bleibt bestehen.
Die Geschichte mag insgesamt nicht so spannend sein, wie man vermutet, denn viele Geschehnisse sind durchaus vorher zu sehen, auf der anderen Seite werden die Figuren aber so interessant und vielschichtig dargestellt, dass man dem Schicksal einiger Protagonisten gerne folgt und mit ihnen zittert.
So ist „Divided States of America“ ein brandaktueller und interessanter Thriller, dessen Autorin dazu einlädt ein paar aktuelle Ereignisse einmal weiter zu spinnen. Das Buch fasst auf unterhaltsame Weise Entwicklungen zusammen, die aus einer einzigen Entscheidung resultieren können und wirkt gleich auf mehreren Ebenen angemessen nach.