Thomas Olde Heuvelt: Hex (Buch)
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- Kategorie: Rezensionen
- Veröffentlicht: Montag, 30. Oktober 2017 19:58
Thomas Olde Heuvelt
Hex
(Hex, 2013)
Übersetzung: Julian Haefs
Heyne, 2017, Paperback, 430 Seiten, 12,99 EUR, ISBN 978-3-453-31906-6 (auch als eBook erhältlich)
Rezension von Gunther Barnewald
Steve Grant lebt mit seiner Frau Jocelyn und den beiden Söhnen Tyler und Matt (17 und 13 Jahre alt) im beschaulichen Städtchen Black Spring im Hudson Valley in den USA. Hier ist die Idylle trügerisch, denn im Jahre 1664 wurde eine Frau namens Katherine van Wyler als Hexe zum Tode verurteilt. Danach geschahen ungeheure Dinge an diesem Ort. Erst wurden alle Bewohner getötet, nach der Wiederansiedlung von Menschen erschien plötzlich die tote Hexe und läuft seitdem, scheinbar unsterblich, durch die Gemeinde und bindet alle Bewohner mit übernatürlicher Macht an sich.
Niemand kann diesen Ort längere Zeit verlassen, ohne sich das Leben zu nehmen. Wer sich hier ansiedelt, bleibt für immer im Bann der untoten Hexe. Wer zu lange auswärts weilt, den überkommen immer schlimmere und drängendere Suizidgedanken, die den Menschen schließlich unweigerlich zur Ausführung dieser Tat verurteilen. Wer einmal hier lebt, muss mitsamt seiner Lieben für immer (abgesehen von kurzen Urlauben) hier verweilen.
Ansonsten verheimlichen die Bewohner von Black Spring dem Rest der Welt ihr Geheimnis und versuchen Neuankömmlinge schnell wieder zu vergraulen (bevor es zu spät ist für diese). Nur die Armee ist eingeweiht, konnte bisher aber auch kein Mittel gegen die scheinbar unsterbliche Hexe finden, die jedem Tötungsversuch durch blitzschnelle Rematerialisation an einen anderen Ort entkommen kann.
Dereinst hatte man ihr die Augen und den Mund zugenäht, denn es geht die Sage, dass das Ende von Black Spring gekommen sei, werde Katherine jemals die Augen öffnen.
Bereits 1967 hatten Militärwissenschaftler versucht, der Hexe den vernähten Mund zu öffnen. Doch schon nach der Lockerung des ersten Fädchens am Mundwinkel Katherines hatte deren nun hörbareres Gemurmel dazu geführt, dass alle näher an dem Experiment beteiligten Menschen in Raserei verfallen waren und sich anschließend brutal selbst getötet hatten.
Seitdem lässt man die Hexe in Ruhe, versucht ihren Anblick vor Durchreisenden und Wanderern zu verbergen.
Taucht die Hexe plötzlich in den Räumlichkeiten einer Familie auf, hängt man etwas über sie und ignoriert die Erscheinung, bis sie wieder verschwindet.
Dabei ist Katherine durchaus gegenständlich und kann berührt werden. Als dies eines Tages von einigen, der Kleinstadt und des eingeschränkten Lebens überdrüssigen Jugendlichen probiert wird, wird dadurch eine Spirale der Gewalt in Gang gesetzt, die alles Leben in Black Spring auf das Heftigste aus den Fugen geraten lässt...
Der Klappentext des Romans suggeriert zwar fälschlicherweise, dass die Jugendlichen Bilder der Hexe im Internet posten und dadurch die Öffentlichkeit nach Black Spring gelockt wird, diese (durchaus auch interessante) Geschichte erzählt Autor Thomas Olde Heuvelt aber mitnichten.
Stattdessen eskaliert die Situation auch völlig ohne die Anwesenheit und das Eingreifen Außenstehender. Dabei fällt die Geschichte leider gegen Ende etwas ab, da Heuvelt hier einen Perspektivwechsel vornimmt (was aber etwas auch dem vom Autor ersonnen Geschehen geschuldet ist), was der scheinbaren Authentizität der erzählten Handlung sehr abträglich ist.
Abgesehen von diesem Manko und einigen wenigen Logiklöchern (wenn die Hexe nach jeder Transmission wieder unverletzt und „heil“ ist, wieso haften die Fäden an ihren Augen und Lippen immer noch an ihr?), gelingt dem jungen holländischen Autor (der aber dieses Buch in Englisch geschrieben hat) eine fulminante und äußerst innovative Geschichte.
Nicht umsonst äußern sich George R. R. Martin und Stephen King dermaßen lobend über dieses Buch. Martin spricht sogar vom „besten Horror-Roman, den ich seit langem gelesen habe“, und man möchte ihm als Leser hier unbedingt zustimmen.
Heuvelt überzeugt mit interessanten Charakteren, einer packenden und glaubwürdigen Atmosphäre und einer Extraportion Gruselfaktor, welcher durch die unheimliche Anwesenheit der Hexe und durch ihre scheinbare Unverletzlichkeit und Unbesiegbarkeit hervorgerufen wird. Katherine erweist sich als ebenso gnadenlose wie ungerechte Rächerin ihrer eigenen Schmach und Schande, als mitleidlose Zerstörerin jeder Idylle und immun jedweden humanitären Anwandlungen gegenüber.
Einmal in Gang gesetzt, eskaliert die Situation in dem kleinen Ort aufs Blutigste, wobei der schlimmste Horror tatsächlich längst vorher beginnt, denn die Hexe sucht sich ganz besondere Opfer aus (mehr soll hier aber nicht verraten werden!).
Ein starkes Buch, spannend und unheimlich, erschreckend und nervenzerfetzend und dabei so innovativ wie schon lange kein anderes Buch mehr in diesem Genre. Wer intelligenten Horror mag, der kommt hier voll auf seine Kosten und sollte unbedingt zu diesem tollen Roman greifen.