Montague Rhodes James: Sämtliche Geistergeschichten 1 und 2 (Buch)
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- Kategorie: Rezensionen
- Veröffentlicht: Donnerstag, 08. September 2016 09:27
Montague Rhodes James
Sämtliche Geistergeschichten 1 und 2
H. P.Lovecraft Bibliothek des Schreckens 41 und 42
(Curious Warnings, The Great Ghost Stories of M. R. James)
Aus dem Englischen übersetzt von Usch Kiausch
Festa, 2016, Hardcover, 445 bzw. 460 Seiten, je 28,00 EUR, ISBN 978-3-86552-482-9 bzw. 978-3-86552-484-3 (auch als eBooks erhältlich)
Rezension von Carsten Kuhr
Lieben Sie Geistergeschichten? Fühlen Sie auch einen wohligen Schauer über ihren Rücken rinnen, wenn Sie, am besten tief in der Nacht, zu einem Buch greifen und über die Heimsuchung eines Ortes durch etwas Unbekanntes, etwas Zurückgebliebenes oder etwas Böses lesen? Nun, dann wird ihnen M. R. James vielleicht schon ein Begriff sein.
Montague Rhodes James wurde am 1. August1862 in Goodnestone, Kent geboren. Nach der überaus erfolgreichen Ausbildung in Eton und Cambridge, bei der sich der junge James schon bald entgegen der Familientradition weder dem Klerus noch dem Militär zuwandte sondern als Altertumsforscher eine akademische Laufbahn einschlug, avancierte er 1918 zum Vorsteher des Eton College.
Schon früh in seiner akademischen Karriere begann James zu Weihnachten in seinem großen Freundes- und Bekanntenkreis eine Geistergeschichte zum Besten zu geben. Zumeist, so weiß der Herausgeber Stephen Jones in seinem sehr informativen, umfangreichen Nachwort zu berichten, war die Tinte auf den Erzählungen am späten Weihnachtsabend noch nicht trocken, als James alle bis auf eine Kerze im Raum löschen ließ, und mit dem Vortrag seiner Geistergeschichte begann. Die über die Jahre zusammengekommenen Erzählungen wurden dann in Periodika und später auch in vier Bänden gesammelt veröffentlicht.
Bei uns nahm Kalju Kirde einige seiner Geschichten in dem in der legendären Bibliothek des Hauses Usher erschienen Sammelband „Der Schatz des Abtes Thomas“ auf. Weitere Veröffentlichungen gab es im deutschen Sprachraum im Hegereiter Verlag, im Verlag Munniksma sowie als Privatdruck von Robert Bloch.
Nun ist der Festa Verlag zum einen für seine Horror-Titel bekannt, die sich erfolgreich bemühen, die Grenzen des Geschmacks auszutesten, die den Leser mit Blut, Gewalt und Perversionen schocken. Daneben aber erscheinen schon seit Beginn des Verlages in der Reihe „H. P. Lovecrafts Bibliothek des Schreckens“ Klassiker des Genres.
In den vorbildlich gestalteten Hardcover-Bänden (Umschlag in Lederoptik, Lesebändchen und geprägter Deckel und Rücken) präsentiert uns der Verleger in sorgfältig redigierten und mustergültig übersetzten Ausgaben vergessene Klassiker des Genres. Hier bewegt sich Festa, und ich sage dies bewundernd ob der Konstanz was Qualität und Präsentation anbelangt, ganz als Erbe der vormals erwähnten legendären „Bibliothek des Hauses Usher“.
Als Band 40 und 41 der Reihe hat er die von Stephen Jones herausgegebene und von Les Edwards kongenial illustrierte Gesamtausgabe der Geistergeschichten James’ des enormen Umfangs wegen aufgesplittet in zwei Bücher.
Und wirklich erwarten den Leser nicht nur sämtliche bekannten Geistergeschichten M. R. James’, sondern auch die einzige - ebenfalls phantastische - Novelle des Gelehrten, ein Märchen, das gut als Vorbild für die „Spiderwick-Chroniken“ hätten dienen können.
Ich darf an dieser Stelle James selbst bezüglich der Geistergeschichten zu Wort kommen lassen: „Sicher kann sich jeder von uns an eine Zeit erinnern, in der er gründlich hinter die Fenstervorhänge spähte und in den dunklen Zimmerecken herumstöberte, ehe er zu Bett ging - und zwar mit einem nicht unangenehmen Gefühl der Ungewissheit, ob sich vielleicht irgendwo ein Skelett mit weit aufgerissenen Augen oder ein dürres, in Laken gehülltes Gespenst verbergen mochte“.
An diesen Geschichten hing sein Herz, hier beeinflusste er Nachahmer wie Bewunderer und schuf ein Oeuvre, das bis heute seinesgleichen sucht.
Zwar erwartet den Leser in den überwiegend recht kurzen Texten zumeist ein sich ähnelndes Grundgerüst. Als Protagonisten dienten dem Autor respektable Herren, oft sind es Gelehrte wie James selbst, die sich auf die Suche nach Erkenntnissen in einer ländlichen Gegend oder einer Universität aufhalten. Die angestrebte Entdeckung, oft auch gerne in der Umgebung einer Kirche, eines Relikts oder eines Buches, beschwört dann ein übernatürliches Unheil herauf. Letzteres wird nur angedeutet, das Weitere überlässt der Autor der Phantasie des Lesers.
Während die Orte und die einander ähnelnden Gestalten in aller Regel sehr deutlich ausgearbeitet wurden, blieb das Übernatürliche bewusst diffus.
Trotz der scheinbaren Uniformität des Plots wird die Lektüre der von Usch Kiausch sehr einfühlsam ins Deutsche übertragenen Geschichten nie langweilig oder vorhersehbar. Gerade weil der Verfasser atmosphärisch dicht Vieles der Imagination seiner Rezipienten überlässt, wird man in die jeweilige Handlung hineingezogen und von dieser, ihrer Stimmung fasziniert.
So sind dies zwei Bücher, die man nicht auf einen Rutsch durchlesen sollte, sondern sich lieber immer wieder einmal abends oder nachts zur Hand nehmen sollte, um sich dann von einer der vielen Beispiele James’scher Fabulierkunst verzaubern zu lassen.