Chevy Stevens: That Night (Hörbuch)

Chevy Stevens
That Night
(That Night, 2014)
Aus dem Amerikanischen von Maria Poetz
Gekürzte Lesung von Christiane Marx
Argon, 2015, 6 CDs, ca. 458 Minuten, ca. 16,99 EUR, ISBN 978-3-8398-1395-9

Von Irene Salzmann

Toni ist 35, als sie nach 17 Jahren vorzeitig aus dem Gefängnis entlassen wird. Man hatte sie und ihren Freund Ryan für den Mord an Tonis jüngerer Schwester Nicole verurteilt aufgrund der Aussagen einer Gruppe Mädchen, die Toni schon lange übel mitspielte. Obwohl sie für eine Tat bestraft wurde, die jemand anderes begangen hatte, will Toni einen Schlussstrich ziehen und ein neues Leben beginnen. Außerdem möchte sie allen beweisen, dass sie kein schlechter Mensch ist.

Sie hat das Glück, im Lokal ihres früheren Chefs wieder arbeiten zu dürfen. Er vermittelt ihr sogar eine Unterkunft. Alle strengen Auflagen ist Toni bereit zu erfüllen, um nie wieder in den Knast zurück zu müssen. Dazu gehört auch, dass sie keinen Kontakt zu Personen unterhalten darf, die an der Tragödie beteiligt waren - also auch nicht zu Ryan, der ebenfalls auf freiem Fuß ist und anders als Toni die Wahrheit herausfinden will, damit die wahren Schuldigen bestraft werden.

Toni mag mit seinen Nachforschungen nichts zu tun haben, aber dann wird eine der jungen Frauen aus der Clique, die Andeutungen gemacht hatte, dass alle beim Prozess gelogen haben, tot aus dem See gefischt. Obendrein verliert Toni Arbeit und Unterkunft, weil Geld gestohlen wurde und ein anonymer Zeuge den Verdacht auf sie lenkte. Zwar kann die Polizei weder Toni noch Ryan etwas nachweisen, doch beiden ist klar, dass der Täter sie um jeden Preis aus dem Weg haben will.

Nun beginnt auch Toni, Fragen zu stellen. Sie plant, jenen, die sie für die Mörder hält, eine Falle zu stellen, wodurch sie selbst in Lebensgefahr gerät, denn ihre Vermutungen stimmen nur zum Teil, und der Grund, warum Nicole sterben musste, ist noch viel schlimmer, als angenommen…


Chevy Stevens beginnt Tonys Geschichte mit deren Entlassung. Von da an wird regelmäßig zwischen Gegenwart und Vergangenheit gewechselt.

Zum einen wird erzählt, wie sich die Protagonistin bemüht, nach den vielen Jahren im Gefängnis wieder auf die Beine zu kommen, wie ihr das zunächst sogar zu gelingen scheint, bis die alten Peiniger aus der Schulzeit ihr erneut das Leben zur Hölle machen. Das zwingt sie, nach der Wahrheit zu suchen, denn nur wenn ihre Unschuld bewiesen ist und die Täter überführt sind, wird man sie in Ruhe lassen. Zum anderen wird aufgerollt, wie Toni, einst ein rebellischer Teenager, überhaupt erst in diese prekäre Situation gelangen konnte: Wie so oft sind es falsche Freundinnen, die sich aufgrund einer Bagatelle, in diesem Fall Eifersucht, von Toni abwenden und sie systematisch mobben. Die Situation eskaliert schließlich, doch Nicoles Tod ist mit Motiven verbunden, die erst am Schluss enthüllt werden und für eine Überraschung sorgen. Toni und Ryan zu beschuldigen, ist die letzte Konsequenz in einem bösen Spiel. Es folgen Schilderungen der schrecklichen Jahre im Gefängnis, die Toni hart, aber auch vernünftig werden lassen.

Die Polizei und die Justiz erweisen sich als blind, da sie den Jugendlichen damals und den Erwachsenen heute keine Chance geben wollen. Zu wenig wird ermittelt, und wenn, dann in der falschen Richtung. Inszenierten Falschaussagen wird Glauben geschenkt. Andere Zeugen werden so lange verunsichert, bis sie ihre Aussagen zurückziehen. Die Beschuldigten werden durch Zuckerbrot und Peitsche zermürbt und manipuliert, damit sie sich widersprechen und sich dadurch angreifbar machen. Ist man dann erst einmal im Gefängnis, spielt es keine Rolle, ob man schuldig oder unschuldig ist. Kommt man raus, steht man unter Beobachtung und ist generell der Verdächtige, was auch immer passiert. Am Schlimmsten für Toni ist, dass sich fast alle Freunde und sogar die Eltern von ihr distanzierten. Sie wurde verurteilt, und allein das zählt. Kaum jemand will ihren Beteuerungen, dass sie unschuldig ist, Gehör schenken. Zwar versucht ihr Vater, eine normale Beziehung zu ihr aufzubauen, doch die Mutter kann nicht verzeihen und gibt Toni die Schuld an Nicoles Tod, weil sie die Schwester an jenem Abend („That Night“) mitgenommen und nicht auf sie aufgepasst hatte.

Es ist eine traurige, erschütternde Story, die aufzeigt, wie schnell man aus der Gesellschaft ausgestoßen wird und wie leicht es gerissenen, skrupellosen Menschen fällt, durch Lügen die eigenen Untaten anderen anzulasten und diese ins Unglück zu stürzen. Was als Zickenkrieg beginnt, führt zu einem furchtbaren Verbrechen, unter dem viele Unschuldige leiden müssen, und sogar danach geben die wahren Täter keine Ruhe.

Christiane Marx liefert eine inszenierte Lesung, indem sie den Personen stets eine andere Stimme verleiht und ihnen somit zu einer gewissen Individualität verhilft. Für den Argon Verlag las sie unter anderem auch „Those Girls“, ebenfalls von Chevy Stevens, Gillian Flynns „Cry Baby“ und Ally Condies „Atlantia“.

„That Night“ ist ein spannender, hochdramatischer Thriller, der den Leser beziehungsweise Zuhörer schnell in den Bann zieht. Aus der Perspektive von Hauptfigur Toni erfährt man nach und nach, was sich vor rund 17 Jahren zugetragen hat und welche Auswirkungen ein Verbrechen, für das sie unschuldig im Gefängnis saß, auch nach dieser Zeit noch immer hat. Schon nach wenigen Kapiteln lässt einen die Geschichte nicht mehr los, und man möchte genauso wie Toni endlich die Wahrheit erfahren.

Ein packendes Hörbuch und eine überzeugende Lesung.