Wrath James White & Jesus F. Gonzalez: Krank (Buch)

Wrath James White & Jesus F. Gonzalez
Krank
(Hero)
Aus dem amerikanischen Englisch übersetzt von Jochen Herlitz
Titelillustration von Dean Samed
Festa, 2015, Paperback, 202 Seiten, 12,80 EUR (auch als eBook erhältlich)

Von Carsten Kuhr

Natsinet lebt seit einigen Jahren in den USA. Als Tochter eines eritreischen Vaters und einer weißen US-Amerikanerin aus dem gehobenen Mittelstand hat sie im Land der unbegrenzten Möglichkeiten studiert und anschließend im Krankenhaus gearbeitet. Zuletzt war sie in der Notaufnahme beschäftigt, die Ärzte trauten ihr sogar zu, wenn es wieder einmal angesichts tagtäglicher Banden-Schießereien zuging, den Erstversorgten die frisch behandelten Wunden zuzunähen.

Was in der Klinik keiner auch nur ahnt, ist, dass Natsinet eine Rassistin ist. Selbst mit einem farbigen Vater gesegnet, verachtet, ja hasst sie die Afroamerikaner und Hispanos aus tiefster Seele.

Als sie in einem Pflegeheim der gehobenen Art ihre neue Stelle antritt, hofft sie den unwürdigen Sklaven-Nachfahren endlich zu entkommen. Vergebens, wird sie doch als häusliche Pflegekraft zu einer dunkelhäutigen Bürgerrechtlerin entsandt, die nach ein paar Schlaganfällen halbseitig gelähmt ist.

Der wird sie den Marsch blasen… das Martyrium beginnt mit Misshandlungen und endet in Gewalt und Blut…


Gewalt gegen Hilflose und Pflegebedürftige, kaum ein Problem-Thema wird so sehr tabuisiert und verdrängt, wie die alltäglichen Misshandlungen in unseren Pflege- und Altenheimen. Genau dieses Themas aber nehmen sich die beiden Autoren in vorliegendem Kurzroman an. Mit hineinverwebt haben sie daneben aber noch weitere Themata; es geht um die Verelendung ganzer Wohnviertel, die „dank“ Bandenkriminalität und Drogenabhängigkeit verkommen, um die Perspektivlosigkeit breiter, zumeist farbiger Gesellschaftsschichten in den USA und um den nach wie vor präsenten Rassismus. Dabei nutzen die Autoren die sehr stereotyp, dennoch aber nicht aufgesetzt wirkenden Beschreibungen über die Zustände auf den Straßen der Elendsviertel der einstigen US-Metropolen nur als Kulisse für eine durchaus packende Handlung.

Im Mittelpunkt des Plots stehen zwei Frauen - Täterin und Opfer. Die eine hat Zeit ihres Lebens für die Rechte ihrer Leidensgenossen gekämpft, sich auf der Straße, später dann politisch für Gleichberechtigung und Chancengleichheit eingesetzt und versucht Gutes zu tun. Jetzt hat ihr Körper sie im Stich gelassen, ihre Tochter hat ihre eine Pflegerin organisiert.

Dass diese ihre eigene Herkunft verleugnet, dass sie ihre Frustration und Verachtung manisch offensiv in eine Gewaltspirale umsetzt, ist schlicht „Pech“. Doch so einfach lässt sich eine Frau, die Zeit ihres Lebens für ihre Ideale eingetreten ist, nicht abservieren, zumal auch deren Tochter bedroht wird.

Es ist ein gewalttätiges Spiel, bei dem die Sympathie des Lesers ganz klar positioniert ist, bei dem wir mit unserer Protagonistin bangen, uns aufbäumen und ihren Mut bewundern.

Gleichzeitig beobachten wir auch fasziniert den Charakter ihrer Peinigerin. Was nur bewegt eine Frau, die eigentlich in ihrem Beruf anerkannt und gewürdigt ist, einen solchen Hass zu entwickeln, welche Abgründe verführen sie dazu, die ihr Anvertrauten so zu quälen?

Insoweit ist dies ein Buch, das aus dem sonst in der Extrem-Reihe publizierten Romanen herausragt. Während der Fokus üblicherweise auf der plakativen Darstellung sexuell-pornographischen Perversionen und martialischer Gewalt liegt, unterhält das Werk vorliegend zwar angesichts der Gewalt gegenüber Hilflosen dramatisch und erschütternd, bietet aber auch interessante Einblicke in eine uns ziemlich unbekannte Seite der US-Wirklichkeit rund um Gleichberechtigung und Rassenhass, gepaart mit dem packenden Einblick in eine zutiefst kranke Psyche.