Kai Meyer: Nachtland – Die Seiten der Welt 2 (Buch)

Kai Meyer
Nachtland
Die Seiten der Welt 2
Titelillustration von Helen Lane & Frauke Schneider
Fischer FJB, 2015, Hardcover, 592 Seiten, 19,99 EUR, ISBN 978-3-8414-2166-1 (auch als eBook erhältlich)

Von Carsten Kuhr

Lieben Sie Bücher? Üben die frischen oder altehrwürdigen Seiten, der Geruch der Bindung, der Satz in einer ansprechenden Type und am wichtigsten natürlich der Inhalt auf Sie auch einen ungeheuren Reiz aus? Dann sind Sie in Kai Meyers „Seiten der Welt“ richtig. Hier treffen Sie auf Artgenossen, Buchverrückte, Bibliophile und Exlibris – doch all dies ist ein ganz klein wenig anders, als erwartet.

Doch beginnen wir, wie jedes Buch, am Anfang. Im ersten Band stellte uns der Autor eine Welt vor, wie sie phantastischer kaum sein könnte. Eine Welt, in der Exlibris aus Büchern fallen und ein eigenes Leben annehmen, in denen Seiten gespalten und aus den so freigesetzten Herzen mittels besonderer Kräfte von den Bibliomanten eine gar eigene Büchermagie gewirkt werden kann.

Einst gehörten die Rosenkreuz zu einer der fünf großen, die Welt der Bibliomanten beherrschenden Familien. Dann fielen zwei der Familien einem Genozid zum Opfer, die verbleibenden Häuser herrschen vom legendären Sanktuarium ihre geheime Welt. Schon länger rumort es beim Volk. Zu despotisch, zu gewaltsam und unterdrückend ist die Herrschaft der Clans.

Furia Krosenkreuz, die letzte ihres Namens, hat sich den Rebellen angeschlossen. Verfolgt von den Häschern des Sanktuariums kommen sie und ihre Freunde einer Verschwörung innerhalb der herrschenden Clique auf die Spur. Mit einer seltenen Zielstrebigkeit, die jegliche moralische Rechtfertigung entbehrt, jedes Nachsinnen um Recht und Gesetz verbietet, soll ein Umsturz von innen für radikale Veränderung sorgen. Dazu kommt die Bedrohung von außen. Ein altes, längst besiegt geglaubtes Übel reckt sein Haupt, eine Bedrohung, von der man glaubte, sie eigentlich im letzten Krieg endgültig besiegt zu haben – eine Bedrohung, die die Existenz der Bücherwelt bedroht mit etwas gar Unerhörtem – mit Veränderung!

Nach einem mehr als fulminanten Auftakt, der Leser wie Buchhändler zu Begeisterungsstürmen hinriss, erscheint nun der zweite Teil der Geschichte um Furia und die Welt der Bibliomanten.

Wie bereits im Auftaktband der Trilogie hält Kai Meyer sich wahrlich nicht zurück. Das Tempo ist hoch, die Action-Szenen reihen sich aneinander, Gewaltschilderungen sind ebenso Bestandteil der Handlung wie leise, nachdenkliche Momente und wieder gilt es, Abschied von liebgewonnenen Figuren zu nehmen.

Geschickt lüftet der Autor immer wieder neue Geheimnisse, installiert frische, die Handlung vorantreibende Gestalten und legt den Grundstein für die weiteren Abenteuer. Dabei hat mich ein wenig verwundert, dass er die Antagonisten auf Seiten des Sanktuariums doch recht eindeutig dunkel angelegt hat. Während Furia und ihre Freunde durchaus ambivalent gezeichnet werden, auch ihre dunklen Seiten haben und mit diesen auskommen müssen, sind ihre Gegner doch nur eines: böse, egoistisch und verdorben bis ins Mark. Nun, dies hat natürlich den Vorteil, dass wir uns im Kampf um die Welt der lebenden Bücher ganz eindeutig zu positionieren wissen.

Wie dies bei Kai Meyer so üblich ist, fügt er seinen Abenteuern, quasi in der zweiten Reihe, immer auch eine ernsthafte Aussage bei. Dieses Mal geht es um das Thema Veränderung. Während die Honoratioren des Establishments, allen voran die Führer und Beamten des Sanktuariums, eine statische Welt ohne jede Entwicklung anstreben, ihre Pfründe sichern wollen, allenfalls einmal kosmetische Korrekturen, den Austausch der vorgeschobenen Marionetten in Erwägung ziehen, droht auf der anderen Seite Chaos. Doch eben jenes Chaos hält auch das Potential in sich, dass sich etwas Neues, etwas Besseres entwickeln könnte, dass sich neue Wege und Chancen auftun, die Dinge verbessern. Dies ist der immerwährende Konflikt Alt gegen Jung, der sich hier, in der Welt der Bibliomanten, widerspiegelt.

Im Finale sehen wir dann den Vorhang zunächst geschlossen, aber viele Fragen offen, so dass die Zeit, bis zum Erscheinen des dritten Bandes, der voraussichtlich im Herbst 2016 auf dem Programm steht, lang werden wird.