Eine außergewöhnliche Reise (Comic)

Eine außergewöhnliche Reise
(Le voyage extraordinaire, tome 1-3)
Text: Denis-Pierre Filippi
Zeichnungen: Silvio Camboni
Übersetzung: Swantje Baumgart
toonfish, 2015, Hardcover, 152 Seiten, 29,95 EUR, ISBN 978-3-95839-024-9

Von Frank Drehmel

Stand Splitters toonfish-Imprint bisher eher für das Funny-Segment (Schlümpfe, Benni Bärenstark und viele andere mehr) oder Comic-Adaptionen von Kinderbuch-Klassikern („Der Wind in den Weiden“, „Pinocchio“), so stellt „Eine außergewöhnliche Reise“ einen spürbaren Bruch mit dieser Programm-Ausrichtung dar. Auch wenn Fillippis und Cambonis Hommage an den großen Phantasten und Abenteuer-Romancier Jules Verne eine geradezu kindliche Frische und Freude ausstrahlt, so entfaltet sich vor dem Leser schon nach wenigen Seiten eine reine, unverfälschte Steampunk-Geschichte, die jeden erwachsenen Fan des Sujets vor Freude jubilieren lässt.

Wir schreiben das Jahr 1927. In einer alternativen Welt, die sich von der unseren in Nuancen unterscheidet, tobt noch immer der Erste Weltkrieg, wobei eine neutrale weitere Fraktion, die sogenannte Dritte Macht, immer wieder und scheinbar zufällig mit riesigen Kampfrobotern und Maschinen in die direkten Scharmützel zwischen Deutschland und seinen Gegnern eingreift.

Emilien und Noemie – ihres Zeichens Cousin und Cousine – verbringen den englischen Sommer diesmal nicht im Internat, sondern werden von Noemies Eltern auf ihr gigantisches feudales Anwesen geholt. Kaum dass sich die beiden Kinder dort zaghaft einzuleben beginnen, stellt sich ihnen eine junge Dame namens Amelia Sweetless als Gouvernante vor. Doch Amelia ist weit mehr als einfach nur eine Erzieherin: sie war Assistentin von Emiliens genialem erfinderischen Vater Alexander, der mit einem futuristischen Gerät, das sich sowohl zu Lande als auch im Wasser als auch in der Luft bewegen können soll, am legendären Jules-Verne-Wettbewerb teilnehmen wollte. Doch Unbekannte haben ihn und seinen Kollegen Terence aus ihrer Werkstatt heraus entführt und seitdem gelten beide Männer als verschollen.

Die beiden Kinder und ihre neue Verbündete suchen in den weitläufigen Kellergewölben unter dem Anwesen und dem Grundstück ihres aktuellen Aufenthaltsortes nach Hinweisen auf die Entführung und finden nicht nur das Laboratorium und Pläne des Gefährts, sondern auch einen Prototypen, werden allerdings von zwei Unbekannten überfallen. Einer der Täter stellt sich rasch als der verschwundene Terence heraus, der seinen Entführern entkommen konnte, der andere ist sein ebenso treuer, wie in körperlicher und geistiger Hinsicht schlagkräftiger Assistent Winfrey.

Da Terence keine Auskunft darüber geben kann, wer ihn weshalb und wohin entführte, beschließen die nunmehr fünf, anstelle von Emiliens Vater mit dem Prototyp am Wettbewerb teilzunehmen, um so die Hintermänner aus den Schatten hervorzulocken. Und damit beginnt für die Helden eine abenteuerlicher Reise von England aus zunächst nach Paris und dann nach New York, eine Reise, auf der sie neue Verbündete und neue Gegner finden, eine Reise, auf der ihnen die Dritte Macht immer dicht auf den Fersen zu sein scheint, wobei deren Motive vollkommen rätselhaft sind.

Sowohl Autor als auch Künstler beweisen mit ihrer erzählerischen und visuellen Inszenierung viel Sinn für Details. In Bezug auf Geschichte bedeutet es, dass sich Filippi nicht nur Zeit für die behutsame Einführung der Protagonisten sowie zahlreiche Erläuterungen nimmt – Zeit, die die Grenze zur Langatmigkeit und Behäbigkeit ab und an zumindest streift –, sondern dass er auch historische Persönlichkeiten wie Howard Hughes oder Al Capone in die Handlung einbindet und Reminiszenzen an Jules Vernes literarisches Vermächtnis im Besonderen und kulturelle beziehungsweise gesellschaftliche Gegebenheiten der „Roaring Twenties” im Allgemeinen einwebt.

Die Story selbst ist wendungsreich und Hintergründe des Geschehens bleiben so lange im Dunkeln wie die Motive der – erwachsenen – Handlungsträger.

Ist die Geschichte erzählerisch und dramaturgisch äußerst gefällig, so ist das Artwork Cambonis und Yvans schlichtweg atemberaubend, mind-blowing und grandios. Die Zeichnungen selbst sind nicht nur so detailliert-feinstrichig gestaltet, dass es mir schwerfällt, einen ähnlich präzise elaboriertes Comic auch nur zu nennen, sondern sie strotzen nur so vor liebevollen skurrilen Kleinigkeiten, ohne auch nur an einer Stelle überladen zu wirken. So laden selbst die kleineren Panels den Leser ein, sich in die dargestellte Szenerie zu vertiefen, wohingegen die großformatigen Bilder ob ihrer Fülle und Opulenz den Leser gar nicht wieder loslassen wollen. Während die Welt – Flora, Fauna, Architektur, räumliches Interieur, die phantasievolle Technik und Kleidung – in den Formen hochrealistisch gehalten sind, werden die durchweg visuell sympathischen Figuren von Camponi leicht üerzeichnet: markante, schwungvolle Gesichtsformen, große Augen und zerzauste Frisuren verleihen ihnen eine starke emotionale Ausdruckskraft.

So beeindruckend wie die Zeichnungen ist die Kolorierung Yvans: in warmen und wärmsten – oft pastellenen – Farben, mit zarten, sachten Verläufen und einer Fokussierung auf warme Bronze- und Brauntöne fängt er das Steampunk-Moment der Geschichte perfekt ein.

Fazit: Ein wendungsreiche, abenteuerliche – wenn auch zuweilen ein klein wenig behäbige – Geschichte, die so grandios visualisiert ist, dass dieser Sammelband als Referenz für jeden Steampunk-Comic dienen kann und sollte. Wer auf obskure Technik, Verschwörungen und Abenteuer steht, der MUSS zugreifen.