Sandman Ouvertüre 1 (Comic)
- Details
- Kategorie: Rezensionen
- Veröffentlicht: Donnerstag, 16. April 2015 09:28
Sandman Ouvertüre 1
(Sandman: Overture 1-3)
Text: Neil Gaiman
Zeichnungen: J. H. Williams III.
Übersetzung: Gerlinde Althoff
Panini, 2015, Paperback mit Klappenbroschur, 124 Seiten, 16,99 EUR, ISBN 978-3-95798-253-7
Von Frank Drehmel
Rund 25 Jahre nachdem Neil Gainman mit „Sandman“ eine der bedeutendsten Serien des Modern-Age-Comics schuf – bedeutend, weil sie mit ihren (pop)kulturellen historischen Referenzen, ihrer Komplexität und Mythologie sowie der poetischen und phantasievollen Erzählweise die Grenzen zwischen „Gebrauchs“- beziehungsweise Mainstream-Comic und Comic-Kunst verschwimmen ließ –, erzählt Gainman in „Sandman: Ouvertüre“ nun die Vorgeschichte zur Serie, schildert die Ereignisse, die dazu führten, dass der Traumherr von dem Magier Roderick Burgess gefangengenommen und eingekerkert werden konnte.
Der vorliegende Sammelband enthält die ersten drei Hefte der auf sechs Teile angelegten Mini-Serie, für die Gaiman mit dem Zeichner J. H. Williams III. und dem Koloristen Dave Stewart zwei kongeniale Mitstreiter gewinnen konnte.
Die Handlung mit ihren unterschiedlichen Zeitebenen, mehreren Handlungsorten und einer Vielzahl von Protagonisten, zu denen neben einigen obligatorischen „Ewigen“ und Inkarnationen Oneiros’ auch der Korinther, Mervin, Mad Hettie oder Daniel Hall gehören, ist zu komplex, als dass sie sich in ein paar Zeilen „angemessen“ subsumieren lässt. Einmal mehr erzählt Gaiman Geschichten in Geschichten in Geschichten, wobei der Ausgangspunkt seiner Reise durch Zeit, Raum und Realitäten der Tod des Herrn der Träume ist, ein rätselhaftes Ereignis, dessen Hintergründe und Umstände Morpheus nicht ruhen lassen. Von einer uralten Inkarnation seiner selbst erfährt er, dass „Etwas“ erwacht ist, weil das Universum schon zu lange lebt und es Zeit für es wird, zu enden; und Glory vom Ersten Zirkel erläutert dem Ewigen, dass Dream selbst an dem kosmischen Aufruhr Schuld sei, da dank seines Eingreifens einst kleiner Stern entartete und sich dessen Wahnsinn wie ein Krebs durch den Kosmos frisst. Während sich überall im Universum Armeen erheben und Kriegstrommeln dröhnen, sucht der Traumherr Antworten in der Stadt der Sterne.
Comic-Leser, welche mit Gainmans Sandman-Universum nicht oder kaum vertraut sind, vermögen zwar der Haupthandlung von „Ouvertüre“ vielleicht noch zu folgen, allerdings werden sie die zahllosen Bezüge und Referenzen auf das Hauptwerk nicht einzuordnen wissen, sodass für sie ein ums andere Mal Szenen und Figuren quasi in der Luft hängen. Nichtsdestotrotz und auch ohne dieses Vorwissen atmen die mysteriöse Handlung sowie die oft sibyllinischen Einlassungen einen Sense of Wonder, eine Poesie und eine – manchmal etwas angestrengte – Schwere, die auch den Neuling gefangennehmen kann.
Obgleich die Handlung verschachtelt ist und die Hintergründe des Geschehens – zurückhaltend ausgedrückt – rätselhaft erscheinen, so darf man unterstellen, dass Gaiman – wie auch schon in der Ursprungsserie – in der Lage sein wird, Auflösungen und Abschlüsse zu entwerfen, die selbst dann befriedigend sind, wenn sie nicht sämtliche Fragen beantworten.
Die erzählerische, ja literarische Meisterschaft Gaimans findet ihre Entsprechung und Spiegelung im Artwork, in den Zeichnungen Williams’ und der Koloration Stewarts, die auf den allerersten Blick eines belegen: den Quantensprung von vor 25 Jahren zu heute in technischer Hinsicht, in Druck-, Zeichen- und Kolorationstechnik. Die Bilder sind jedoch nicht nur technisch brillant, sie sind narrativ geradezu überwältigend. Jede einzelne Seite ist ein Fest für die Augen: üppig, detailreich, farbenprächtig voller visueller Eyecatcher und im Layout augenscheinlich an keine feste Form beziehungsweise Vorgabe gebunden. Großformatige Bilder und eine frei gestaltete Panel-Einteilung, die einzig und alleine dem Fluss der Handlung zu folgen scheint und eine grandiose Dynamik und Vielseitigkeit aufweist, reißen den Leser fort in eine wahrhaft phantastische Welt.
Und sei das alles noch nicht genug, wartet dieser erste Band mit einem umfangreichen redaktionellen Teil auf, in dem nicht nur eine Cover-Galerie für weitere visuelle Höhepunkte sorgt, sondern in dem sich auch die drei Haupt-Kreativen zu ihrer Mitwirkung an dieser Serie sowie zu ihren Inspirationen äußern. Die Krönung stellt dabei eine dreiseitige Playlist mit zahlreichen Songs beziehungsweise Titeln dar, die J. H. Williams III. arbeitsbegleitend hörte. Ausführungen Stewarts zu Koloration im Allgemeinen und seiner Arbeitsweise im Besonderen runden das durchweg positive Gesamtbild ab.
Fazit: Poetisch und wundervoll erzählt, grandios und überwältigend opulent visualisiert. Ein Meisterwerk des modernen amerikanischen Comics. Für Neueinsteiger in das Sandman-Universum allerdings nicht immer verständlich.