Hannah Harrington: speechless [sprachlos] (Buch)

Hannah Harrington
speechless [sprachlos]
(Speechless, 2013)
Aus dem Amerikanischen von Iris Homann
Mira, 2013, Paperback, 300 Seiten, 12,99 EUR, ISBN 978-3-86278-848-4 (auch als eBook erhältlich)

Von Britta van den Boom

Die ersten Seiten des Buches sind schwer zu ertragen, und das ist auch ihr Sinn. Dabei beschreibt Harrington nichts anderes als eine Party von 16jährigen Highschool-Schülern im Haus des beliebtesten Mädchens der Schule. Allerdings geschieht dies aus der Sicht ihrer besten Freundin Chelsea, die sich im Licht ihrer Stellung sonnt und bereit ist, jede intrigante Gemeinheit mitzumachen, um in der Gunst der Clique zu bleiben.

Es ist eine Welt der betont hohlen Äußerlichkeiten: Klamotten, Make-up, wer-mit-wem-Geschichten, Alkohol und Platzhirschgehabe. Als Chelsea dann zufällig entdeckt, dass einer ihrer Mitschüler sich mit seinem Liebhaber in ein Gästezimmer zurückgezogen hat, hat sie keine Hemmungen, das sofort ihrer Freundin und allen anderen zu erzählen. Das ungewollte Outing hat katastrophale Folgen, für die Chelsea sich die Schuld gibt. Gequält von ihrem schlechten Gewissen, ausgestoßen von ihrer Clique, gegen die sie sich mit einer Polizeiaussage gestellt hat, und nun im Fokus der geballten Mobbing-Gewalt der angesagten Schüler, wird ihr Leben zu einem Spießrutenlauf.

Überzeugt davon, dass ihre boshafte Geschwätzigkeit die Wurzel ihres Elends ist, beschließt Chelsea, nicht mehr zu sprechen und hält ihr Schweigegelübde gegen alle Widerstände zu Hause und in der Schule durch. Und dadurch öffnen sich ihr nach und nach neue Türen, kommt sie in Kontakt mit den Leuten, die sie sonst ignoriert oder verachtet hat, lernt sich selber neu kennen – und wird zwangsweise mit den Konsequenzen ihres Fehlers auf der Party konfrontiert, wieder und wieder. Das Schweigen ist es, das es ihr nicht mehr erlaubt, sich vor sich selbst zu verstecken und letztlich die Kraft zu finden, zu sich selber zu stehen und für die einzutreten, die früher auf ihrer Opferliste standen. Sie verliert ihre Position im allzu grellen, allzu schrillen und grausamen Kreis der ‚Angesagten‘, findet aber dafür viel Wertvolleres.

Wenn es etwas gibt, was Hannah Harrington in dem Roman reichlich verwendet, dann ist es Polarisierung. Vielleicht ist die Wirklichkeit tatsächlich so aufgeteilt in die ‚machtvollen, rücksichtslosen Fiesen‘ und die ‚tiefgründigen, loyalen Underdogs‘, vielleicht sind es wirklich zwei Welten, die Seite an Seite, sich ignorierend oder bekriegend, in den amerikanischen Schulen existieren.

Auf jeden Fall bildet dieses Konstrukt der unterschiedlichen Gesellschaften die perfekte Bühne für die eigentliche Geschichte, den Fall und die Besinnung eines Mädchens, das alles dafür getan hat, um beachtet, gefürchtet und bei den richtigen Leuten beliebt zu sein. Nichts stellt die schmerzvollen und vernichtenden Effekte von gezieltem Mobbing besser dar, als dass eine frühere Täterin selbst zum Opfer wird, den genauen Vergleich hat zwischen dem Vorher und dem Nachher.
Oft muss Chelsea feststellen, dass es letztlich nichts gibt, was sie effektiv gegen ihre Peiniger tun kann. Lügen, Rufmord, Beleidigungen, Angriffe aller Art lassen sich kaum kontern – außer dadurch, sich selber abzuwenden und im Rückhalt von neuen Freunden Kraft zu finden.

Der Roman, der gerade im Hauptteil mit der Darstellung von Chelseas Schweigegelübde und den daraus resultierenden Veränderungen sehr stark und eindringlich ist, findet zum Schluss ein tröstliches, aber in seiner umfassenden Wiedergutmachung auch schwaches Ende. Natürlich wünscht der Leser seiner geläuterten Hauptfigur, die einem alleine durch die Ich-Perspektive nahe kommt, alles Gute, den Geschädigten Wiedergutmachung und den Verursachern wenn schon kein Einsehen, so doch zumindest ausreichende Bestrafung. Harrington bedient das alles und streicht damit glatt, was sie vorher eindringlich aufgewühlt hat, zumal natürlich auch eine Liebesgeschichte nicht fehlt.

Doch von dieser nachvollziehbaren Schwäche abgesehen hat sie einen intensiven Roman über ein leider allzu reales Thema geschrieben. Sie beschönigt nicht das Problem, das Mobbing und die Oberflächlichkeit einer geschwätzigen Welt ohne echte Werte darstellt, doch sie bietet dem Leser unmissverständlich Wege an, die Macht der scheinbar Mächtigen zu brechen und selber, auch als Opfer und Täter, Frieden zu finden: Toleranz, Vergebung und Liebe.

Somit ist „speechless [sprachlos]“ ein gut geschriebenes und unterhaltsames Buch, das einen positiven und ermutigenden Eindruck hinterlässt – selbst wenn es bei allem scheinbaren Realismus die Welt oftmals als schwarzweißen Scherenschnitt darstellt, wo die Menschen sind, was man von ihnen erwartet, Dinge zur richtigen Zeit passieren und jeder seine Rolle erfüllt. Seinen durchaus pädagogischen Ansatz unterstützen als Bonus acht Fragen zur Diskussion am Ende des Romans.