Ransom Riggs: Die Stadt der besonderen Kinder (Buch)

Ransom Riggs
Die Stadt der besonderen Kinder
(Hollow City, 2014)
Aus dem Amerikanischen von Silvia Kinkel
Titelbild: Yelfim Tovbis nach einem Bild des Sammlers John van Noate
Knaur, 2015, Hardcover, 480 Seiten, 16,99 EUR, ISBN 978-3-426-65358-6 (auch als eBook erhältlich)

Von Gunther Barnewald

Drei Jahre hat Autor Ransom Riggs gebraucht, bis er endlich die Fortsetzung seiner zauberhaften Geschichte „Die Insel der besonderen Kinder“ ersonnen und niedergeschrieben hatte. Hier nun die gute und die schlechte Nachricht: Auch der Folgeband ist wieder wunderbar gelungen, strotzt nur so vor Ideen, Phantasie und herrlichen alten Photographien, doch leider endet die Erzählung genauso offen wie der erste Band.

Dies bedeutet leider, dass der Leser wohl wieder auf eine lange Geduldsprobe gestellt werden wird, bis er erfahren darf, wie die spannende Odyssee des jungen Jacob Portman weitergeht (oder dann vielleicht hoffentlich endet, denn die lange Warterei ist eine arge Zumutung, bedenkt man, dass Riggs’ Roman abzüglich der ganzen Schnappschüsse und Kapitelvorblätter kein wirklich umfangreiches Epos ist wie dies zum Beispiel bei George R. R. Martin der Fall ist). Vielleicht sollte der Autor doch lieber Einzelwerke verfassen (oder zumindest Bücher, die in sich abgeschlossene Geschichten erzählen und nicht mittendrin aufhören).

Zur vorliegenden Geschichte: Jacob Portman und die anderen Kinder mit besonderen Fähigkeiten sind vor einer Invasion von Feinden aus einer Schutz gebenden Zeitschleife geflohen und im England des Jahres 1940 gelandet. Leider bombardieren die Nazis London, wohin die Kinder fliehen müssen, wollen sie doch ihre Ymbryne retten, jene Zauberin also, die ihnen in der Zeitschleife Schutz geboten hatte. Leider wurde die Zauberin in ihre ursprüngliche Gestalt eines Raubvogels zurückverwandelt und damit all ihrer Macht beraubt. Verfolgt von den bösen Wights, die fast alle Ymbrynen gefangengesetzt haben (nur in London soll noch eine von ihnen auf freiem Fuß sein), um deren Macht zu stehlen, und bedroht von ungeheuerartigen Hollowgasts, die alle Besonderen entweder gefangennehmen oder töten, müssen die Kinder viele Gefahren hinter sich bringen, um überhaupt erst einmal London zu erreichen. Doch dort sind sie längst nicht in Sicherheit...

Auch das vorliegende Buch besticht durch seine packende, ans Zeitalter der Wunder erinnernde Atmosphäre, stilistische Brillanz (hier auch einen großen Dank an die hervorragende Übersetzerin Silvia Kinkel), Erzählfreude und tolle Ideen.

Leider hat die Geschichte etwa 100 Seiten vor Ende einen bedauerlichen Hänger, bevor erst auf den letzten 30 Seiten sich die Ereignisse dann allzu heftig zu überschlagen beginnen. Dem Autor ist diesmal offensichtlich der Spannungsbogen nicht so gut geglückt wie im Vorgängerband.

Während der klischeehafte Kampf der Guten gegen die Bösen nach wie vor ein deutliches Manko des Buchs ist, erschafft der Autor erneut einige wunderbare übernatürlich Talente: So das unkaputtbare Mädchen mit dem Loch in der Körpermitte, durch welches der jeweilige Hintergrund zu sehen ist, der dürre Gummimensch, der seine Extremitäten extrem verbiegen kann oder die unzertrennlichen Zwillinge, die sich wie Fledermäuse über Ultraschall orientieren und verständigen und die so laut schreien können, dass eine riesige Explosionswelle entsteht. Ganz zu schweigen von der kleinen eisigen Althea. Alle illustriert durch die stilechten (und manchmal natürlich auch diffizil digital bearbeiteten) Photographien aus alter Zeit, welche dieses Buch ebenfalls wieder vortrefflich illuminieren.

Insgesamt eine würdige Fortsetzung, auch wenn der ungeduldige Leser sich einen Abschluss der Erzählung gewünscht hätte, denn bei Riggs’ Arbeitsgeschwindigkeit wird das Warten zur Geduldsprobe (und hat vor allem den Nachteil, dass man sich immer wieder neu in die Geschichte einlesen muss, wenn nach Jahren endlich der Folgeband vorliegt).