Interviews

Im Gespräch mit: Klaus N. Frick

Klaus N. Frick ist der Chefredakteur von „Perry Rhodan“, seit Jahrzehnten ist er mit der größten Science-Fiction-Serie der Welt verbunden: Ende der 70er Jahre als Leser, in den 80er Jahren als kritischer Fan, seit 1992 als Lektor, seit 1999 als Chefredakteur. Zuletzt führte unser Mitarbeiter Oliver Naujoks ein Interview mit ihm, als „Perry Rhodan NEO“ an den Start ging. Das Erscheinen von Band 150 dieser Serie erschien ihm eine gute Gelegenheit, erneut mit Klaus N. Frick über das breite Angebot der Macher zu sprechen.


Lieber Klaus, vielen Dank, dass Du Dir Zeit für ein Interview mit uns genommen hast. Sag mal, so viele Punks wird es nicht geben, denen schon die Ehre einer Festschrift zuteil wurde und gegen die Bezeichnung „Institution“ kannst Du Dich auch nicht mehr so ganz erfolgreich wehren.
Du leitest die Geschicke von „Perry Rhodan“ als Chefredakteur jetzt schon sehr lange und auch wenn Du nicht alleine dafür verantwortlich bist (das würdest Du von Dir weisen, das weiß ich), hast Du doch einen nicht ganz unmaßgeblichen Anteil daran gehabt, dass die Heftromanserie „Perry Rhodan“ offensichtlich erfolgreich den Sprung ins digitale Zeitalter geschafft hat und in ihrer ursprünglichen Form als wöchentliche Heftromanserie im vorigen Jahr bereits das 55jährige Jubiläum gefeiert hat und einen gesunden und robusten Eindruck macht. Da Du selbst auch großer Fan bist, ist diese Verantwortung manchmal auch eine Bürde?

Ganz ehrlich, die Verantwortung ist nicht das Problem. Wenn ich so richtig ernsthaft über meine Arbeit nachdenke, überwiegen die positiven Empfindungen, nicht der Blick auf den Stress. Ich stelle fest, dass es mir Freude macht, mit kreativen Autoren und Zeichnern zusammenzuarbeiten. Es gibt selbstverständlich viele Bereiche meines Arbeitslebens, die ich hasse, aber mir ist bewusst, dass das auch so wäre, wenn ich ein Redakteur bei einer Tageszeitung oder einer Zeitschrift wäre.
Die Zeiten haben sich geändert, und sie ändern sich weiter. „Perry Rhodan“ war früher eine Serie, die sich vorrangig an Jungs zwischen 13 und 20 richtete; heute sprechen wir vor allem Erwachsene zwischen 40 und 60 Jahren an. Es ist dann durchaus anspruchsvoll, die unterschiedlichen Geschmäcker zu bedienen  aber es macht auch Spaß.

Du kennst das Perry-Fandom seit Jahrzehnten und bist die letzten zwei Jahrzehnte auch einer der Hauptadressaten für Feedback aus dem Fandom, beziehungsweise bekommst dieses natürlich intensiv mit. So nett die Szene und viele Menschen darin sind, gerade Perry-Fans sind bekannt dafür, neben viel Lob auch nicht gerade mit harter bis harscher Kritik gelegentlich zu sparen. Wie geht man damit täglich über so viele Jahre um? Sowohl Du selbst, als auch die Autoren?

Leider kann ich mit mancher Kritik nicht so locker und selbstbewusst umgehen, wie ich das gern täte. Realistischerweise muss ich sehen, dass auch die härtesten Kritiker die Serie mögen, sonst würden sie uns ja nicht so kritisieren. Oftmals ärgere ich mich dann über sie, anstatt zu sehen, dass sie eigentlich dasselbe wollen wie ich: eine möglichst gute und erfolgreiche Serie. Dass ich dann andere Ziele habe als die Kritiker, steht auf einem anderen Blatt Papier.
Fakt ist halt auch, dass man einfach nie alle Erwartungen erfüllen kann. Während manche schreiben, wir würden zu viele „Lückenfüller“ produzieren, beklagen andere wieder, die Serienhandlung schreite so schnell voran.
Manche lieben die kosmischen Dimensionen, in denen wir mit dem Zyklus „Die Jenzeitigen Lande“ vorgestoßen sind, andere hassen uns deswegen und beklagen eher, dass es sich wie Fantasy anfühlen würde.
Ich kann nur für mich selbst sprechen, nicht für die Autoren. Es ist auf jeden Fall manchmal ganz hilfreich, nicht hektisch auf jede Aussage im Forum und bei Facebook zu reagieren, sondern vielleicht auch mal mit einem ganz normalen Leser zu reden, der in keinem Netzwerk aktiv ist. Die Serie läuft seit 1961, und wenn ich mir manche Äußerung in früheren Exposés anschaue, hat es auch vor fünfzig Jahren nicht an Kritik gemangelt. Das sollten wir uns alle immer mal wieder klar machen.

Da hast Du Recht, wenn ich lese, dass Leser diese „neuerdings“ kosmischen Dimensionen bemängeln, da muss ich immer schmunzeln, das sind  nun wirklich Debatten, die wir schon vor Jahrzehnten hatten. Zielgruppen sind ein gutes Stichwort, danach wollte ich Dich sowieso fragen. Wenn Du jetzt sagst, dass eure Hauptlesergruppe zwischen 40 und 60 Jahre alt ist, inwiefern hat das Einflüsse auf die Serie, wie berücksichtigt ihr das bei den Romanen? Eines ist mir aufgefallen, was sicher damit zusammenhängt: Die Helden in der Erstauflage sind meist, anders als in Hollywood-Blockbustern, keine Teenies oder Twens, sondern Erwachsene jenseits der 30. Oder der 3000. :-)
Das mit dem „simpel-naive Geschichten für Zwölfjährige“ ist doch ein Image, das der Serie zwar lange anheftete, das stimmt aber doch eigentlich schon seit Mitte/Ende der 60er, spätestens Anfang der 70er nicht mehr. Komplexere Storys gab es doch auch damals schon. Inwiefern holt ihr dahingegend also die Leser heute in den Romanen anders ab als vor, sagen wir, 20 oder 40 Jahren?

Ich versuche es einmal mit einer ausweichenden Antwort. Die Lese- und Sehgewohnheiten der heutigen „Rezipienten“ sind schlichtweg anders als früher. Fernsehserien werden komplexer erzählt, sogar bei Kinofilmen gibt es mittlerweile Fortsetzungen und verschachtelte Handlungen. Ich glaube nicht, dass heute Leser „anspruchsvoller“ sind als früher, aber ich nehme an, dass sie es gewohnt sind, andere und komplexere Geschichten zu lesen.
Wir sitzen bei unseren Autorenrunden sicher nicht da und machen eine Zielgruppenanalyse. Wir überlegen uns, was uns gefällt und was unseren Lesern gefallen könnte. Wir schauen, was derzeit in der weiten Welt abläuft, und versuchen daraus unsere Rückschlüsse zu ziehen. Ich gehe beispielsweise davon aus, dass unsere Leser es schätzen, wenn unsere Helden kompetent sind - so hat es Frank Borsch mal formuliert - und eben wie Erwachsene handeln. Als 13 Jahre alter Junge fand ich es superlustig, wenn Gucky den dicken Bully in der Zentrale an der Decke hat kreisen lassen. Aber ich glaube nicht, dass man eine solche Szene heute noch ernsthaft „liefern“ könnte.
Ich meine: Reginald Bull, der zweite Mann des Solaren Imperiums, wird öffentlich lächerlich gemacht und erleidet dadurch keinen öffentlichen Schaden. Das nimmt uns heute keiner mehr ab. In den 60er und 70er Jahren war das großartig; da machte man sich als Leser über solche Dinge vielleicht keine Gedanken. (Wer das nicht glaubt, möge sich einfach mal in aller Ruhe und sehr konzentriert einen alten „James Bond“-Film anschauen. Jenseits aller Nostalgie: Das würde heute nicht mehr funktionieren.)

Eine nicht empirisch belegte Beobachtung, korrigiere mich, wenn ich da falsch liege: Als ich Anfang/Mitte der 80er in die Serie einstieg, war so ein wenig die Stimmung: Die Figuren Perry Rhodan und Atlan können wir jetzt nach Jahrzehnten nicht mehr sehen, da gab es ganze Monate beziehungsweise längere Heftstrecken, in welchen die beiden gar nicht in den Romanen auftraten. Das gibt es heute so nicht mehr, im neuen Jahrtausend haben die beiden eigentlich immer einen festen Platz in der Serie gehabt. Ist das so (gegebenenfalls im Sinne der Markenpflege) Absicht? Wann habt ihr diese Entscheidung getroffen?

Ehrlich gesagt, kann ich mich an diese Stimmung nicht erinnern. Ich mochte Romane, in denen die Haupthelden mitspielten, weil ich da immer das Gefühl hatte, es passiert etwas Wichtiges. Tauchten irgendwelche Betschiden oder Weltraumpiraten auf, war mir klar, dass da nichts passieren würde, was von Relevanz war. Aber es ist natürlich durchaus möglich, dass das bei anderen Lesern völlig anders war.
Heute würde ich aber klar sagen: Wo „Perry Rhodan“ drauf steht, muss Perry Rhodan drin sein. Er ist der Namensträger der Serie, er ist die wichtigste Figur, um ihn müssen sich die Konflikte entwickeln, und er muss sie lösen. Das klingt vielleicht klischeehaft, aber letztlich ist es so: Der Held muss die Aufgaben eines Helden übernehmen. Ich meine… bei „Harry Potter“ sorgt auch der Zauberlehrling dafür, dass am Ende alles klar wird. Das war aber nicht einmal eine bewusste Entscheidung. Als Robert Feldhoff und ich die Handlung ab Band 1800 skizzierten - also 1995 -, war klar, dass wir Rhodan ins Zentrum der Geschichten stellen werden.

Wenn Du das sagen kannst oder darfst: Habt ihr Feedback oder Zahlen darüber, ob es gelingt, eine weitere Leser- oder Fangeneration im Alter 12 bis 29 Jahre in substanzieller Größe anzusprechen? Oder ist diese neben Playse und Smartphone nicht mehr für Heftromane (und sei es im eBook) zu begeistern und wir müssen uns darauf einstellen, dass „Perry Rhodan“-Leser immer älter werden (wie bei anderen Heftserien auch)?

Ernsthaft - wir haben darüber keine belastbaren Zahlen. Es gibt Jungleser, das merken wir an den Feedbacks, aber es sind nicht so viele wie früher. Junge Leute unter 25 Jahren wissen normalerweise nicht einmal, dass es Heftromane gibt - wir erreichen sie garantiert nur via eBook. Aber darüber haben wir keine exakten Zahlen. Wir müssen einmal wieder eine möglichst gute enge Leserbefragung machen, um mehr zu wissen.

Ihr habt insbesondere in diesem Jahrtausend „Perry Rhodan“ in verschiedenen Medien sehr breit aufgestellt, was ich gut finde. Dazu würde ich gerne ein paar Sachen fragen. Stichwort Hörspiele. Hier ist natürlich immer das Problem, dass ihr, Minizyklen hin, abgeschlossene Handlungen her, den potentiellen Käufern die „Sorge“ davor nehmen müsst, dass sie irgendwo „mittendrin“ einsteigen müssen. Klar, es gibt noch die alten Hörspiele von Europa aus den 80ern, die ganz am Anfang der Serie angesiedelt sind aber mal ehrlich, diese sind in jeglicher Hinsicht sehr weit entfernt von uns heute (habe sie kürzlich mal wieder gehört). Ich wette, dass dies häufiger Thema bei euch in Konferenzen Gesprächen ist, wenn ich Dich ganz persönlich frage: Was findest Du ist ein sehr guter oder idealer Einstiegspunkt in die Serie? Die Standard-Antwort „der nächste Zyklus“ gildet mal nicht. :-)

Das sind jetzt eigentlich viele Fragen in einer… Können wir trennen?
Also: Hörspiele sind ein tolles Medium, das allerdings erstaunlicherweise gar nicht so gut ankommt. Anders gesagt: Zwar sagen viele Leute immer, dass sie Hörspiele mögen - aber man kann damit keine hohen Verkaufszahlen erreichen. Das erklärt vielleicht, warum es so wenig Hörspiele gibt…
Zum Einsteigen: Theoretisch kann man ja immer einsteigen; fast alle Leser, die ich kenne, sind bei „krummen“ Bandnummern eingestiegen. Ich bitte deshalb auch immer wieder die Autoren, ihre Romane einsteigerfreundlich zu verfassen. Die Geschichte muss so faszinierend sein, dass ich mich als Leser leicht auf sie einlasse und dann mit der Lektüre auch nicht so schnell aufhören möchte. Das ist natürlich nicht so einfach, wie ich es hier schreibe - aber das muss unser Ziel sein. Ansonsten empfehle ich schon immer die Zyklus-Startbände, um den Lesern den Einstieg in die laufende Handlung zu erleichtern - das ist immer ideal.

Sind „Perry Rhodan NEO“-Hörspiele mal denkbar (bei Hörbüchern seid ihr ja auch bei „Perry Rhodan NEO“ sehr aktiv)?

Ja. Es gibt auch eine Firma, die Interesse an solchen Hörspielen hat. Da muss man einfach mal schauen - wir wollen ja den Markt auch nicht überschwemmen. Dazu kann ich noch nichts Konkretes sagen.

In einem ziemlichen - Respekt abnötigenden - Kraftakt habt ihr sämtliche „Perry Rhodan“-Romane (also inzwischen über 2900 Hefte seit 1961), über 130 Silberbände, 850 „Atlan“-Hefte und alle fast 40 Blaubände digitalisiert und als eBook verfügbar gemacht. Wie müssen wir uns das bei den alten Heften vorstellen? Wurden die eingescannt oder abgetippt? Wenn Du das verraten darfst: Wie hoch war da der zeitliche und finanzielle Aufwand pro Heft?

Die alten Romane wurden allesamt noch einmal eingescannt. Wir haben also nicht auf alte Filme oder gar alte Scans zurückgreifen können. Dann wurde zudem eine Rechtschreibkorrektur gemacht - wir haben auch die alten Romane auf die gemäßigt-neue Rechtschreibung umgestellt. Wieviel Zeit und Geld das kostete, kann ich gar nicht so einfach beantworten. Aber man kann sagen, dass sich bei rund 4000 Titeln (wenn man „Atlan“ und „Mythor“ dazu zählt) auf einen sechsstelligen Betrag kommt.

Ihr habt in Interviews mehrfach durchblicken lassen, dass ihr mit der Resonanz hierauf sehr zufrieden gewesen seid, verkaufen sich die eBooks älterer Ausgaben eigentlich immer noch gut oder ist der Markt inzwischen gesättigt?

Es ist klar, dass der Markt irgendwann gesättigt sein wird und die Stückzahlen zurückgehen werden, wenn wir uns die alten Romane anschauen. Aber derzeit ist es immer noch so, dass wir vom Silberband 1 oder vom Heftroman 1 noch sehr hohe eBook-Verkaufszahlen haben. Ich vermute, dass hier viele Ex-Leser schauen, was sie in ihrer Jugend gelesen haben.
Schöne Anekdote: Als ich vergangenes Jahr mal krank war, musste ich zu einem anderen Arzt gehen. Es stellte sich heraus, dass der Mann - ein wenig älter als ich - in seiner Jugend ein „Perry Rhodan“-Fan gewesen war. Und wann immer er in Urlaub ging, bestellte er sich bei Amazon einen 50er-Pack eBooks und hat sich im Urlaub einen Teil seiner Jugend zurückgeholt. Für die wöchentliche Serie, so erzählte er mir, fehle ihm die Zeit.

Lass uns noch etwas bei „Perry Rhodan NEO“ bleiben. Angefangen hat „Perry Rhodan NEO“ ja im Prinzip wie eure anderen Mini-Serien auch, wenn auch mit anderem Format und dem neuen Reboot-Ansatz („die Zukunft beginnt von vorn“). Auch bei den Mini-Serien gab es sehr schöne Ansätze und teilweise eine nach oben offene Ausrichtung, trotzdem mussten diese alle irgendwann eingestellt werden. Wieso, denkst Du, hat es NEO geschafft, sich inzwischen auf dem Markt neben der Erstauflage als eine weitere (Quasi-)Endlosserie zu etablieren?

Der Grund liegt sicher bei den eBooks. Ich verrate ja kein Geheimnis, wenn ich erzähle, dass es von Jahr zu Jahr schwieriger wird, Heftromane im Handel zu platzieren. Und dann kommen wir mit einem Taschenbuch daher, das über den Zeitschriftenhandel vertrieben wird - das bringt den Handel echt durcheinander. Die eBooks sind für NEO also längst eine gleichwertige Vertriebsschiene, ohne die es die Serie wahrscheinlich nicht geben würde. Und bei den eBooks gibt es halt immer wieder neue Leser, die bei der Nummer eins einsteigen können und sich auf den „aktuellen Stand“ durchlesen.

Habt ihr Erkenntnisse darüber, ob NEO im Wesentlichen tatsächlich von Neu- und Quereinsteigern gelesen wird - oder haben sich da hauptsächlich die bestehenden „Perry Rhodan“-Fans weitere Lesezeit in der Woche abgezweigt?

Wir wissen es nicht genau. Es ist wohl so, dass wir drei Lesergruppen haben, aber ich kann nicht sagen, welche wie stark ist. Die eine Gruppe ist sicher die der „Perry Rhodan“-Leser, die eben nebenbei noch „NEO“ lesen. Dann gibt es Leser, die bei der Erstauflage aufgehört haben und lieber NEO lesen - die sind also von der einen zur anderen Serie „gewandert“. Und ich kenne eBook-Leser, die möchten keine Erstauflage lesen, die sind von Anfang nur bei NEO dabei.

Jetzt eine etwas kniffeligere Frage zu NEO, deren Antwort mich aber sehr interessiert, weil ich die sonst nirgendwo finde: Inzwischen existiert NEO seit gut fast 150 Ausgaben und fast sechs Jahren. Der neue Anfang ist lange her und dass viele Ereignisse in NEO „nicht kanonisch“, gar nicht oder schlicht anders passieren, dürfte Neueinsteigern - oder Alt-Fans, die sich nicht so genau erinnern - ja nicht so auffallen. Meine Frage: Was ist bei NEO vom „Lesegefühl“ her anders, inwiefern versucht ihr euch da, von der Erstauflage bewusst abzugrenzen?

Der hauptsächliche Unterschied zwischen „Perry Rhodan“ und „Perry Rhodan NEO“ ist der Umfang. Du kannst einfach auf 180.000 Zeichen nicht so schreiben wie auf 300.000 Zeichen pro Roman. Das bringt automatisch mit sich, dass die Autoren sich mehr Raum für die Charaktere nehmen können, dass wir auch mehr Raum für eine Nebenhandlung haben. Damit sind die NEO-Romane weniger Heftroman-artig, was dazu führt, dass sie sich für viele Leser anders „anfühlen“.
Da gibt es jetzt aber kein Gesetz, das hat sich so entwickelt. Natürlich schreiben die Autoren heute auch anders als die Autoren vor 50 oder 55 Jahren; alles andere wäre Unfug. Und wenn heute ein potenzieller Jungleser auf Science Fiction aufmerksam wird, dürfte er mit NEO einfach mehr Berührungspunkte haben als mit der laufenden Erstauflage.

Auch bei eurem kleineren Mitbewerber „Raumschiff Promet“ begann kürzlich die Zukunft von vorne. Habt ihr mitbekommen, dass der Reboot-Ansatz von einer anderen klassischen deutschen SF-Serie „übernommen“ wurde?

Ich habe das natürlich mitbekommen. Aber wir haben dieses „Rebooten“ streng genommen ja auch von den amerikanischen Comic-Verlagen übernommen. Es ist nachvollziehbar, dass andere Verlage und Serien dasselbe Prinzip übernehmen. Es liegt ja richtiggehend auf der Hand…

US-Comics ist ein gutes Stichwort, danach wollte ich eh fragen: Die richtig radikalen Schritte der US-Comicverlage konnte man bei „Perry Rhodan“ noch nicht verzeichnen: Wurde bei euch intern schon einmal darüber nachgedacht, die laufende Band-Nummer bei einem Großzyklus-Beginn wieder bei 1 anfangen zu lassen um es Einsteigern leichter zu machen? Das gab es bei DC Comcis ja mal, und die dortigen Serien waren noch älter als „Perry Rhodan“. Natürlich sind über 2900 Bandnummern eine einmalige Tradition, für viele Neueinsteiger aber auch ein Hindernis.

Der „Fluch der hohen Zahl“ ist mir ein Begriff; wir sehen das immer wieder auch in Zusammenhang mit „Perry Rhodan“. (Das erklärt auf der anderen Seite, warum immer noch Leute bei „Perry Rhodan NEO“ 1 anfangen - da kann man halt einsteigen und in kurzer Zeit einen schöne Serie lesen.) Ich fürchte allerdings, dass diese amerikanische Comic-Methode nicht ernsthaft helfen würde - das tut sie bei den Amis im Übrigen ja auch nicht.
Bei „Perry Rhodan“ ist die Kontinuität ein „USP“; das macht uns unverwechselbar. Und wenn wir dieses völlig Eigenständige aufgeben würde, wäre das eine Gefahr für die gesamte Serie. Übrigens hatten wir zeitweise versucht, eine zweite Nummerierung aufs Cover zu hieven: mit der Bandnummer des jeweiligen Zyklus. Das hat dann allerdings für Verwirrung im Handel gesorgt…

Auch mit dem so genannten Retconning (also Kontinuitäten ignorieren oder nachträglich reparieren) geht ihr eher sparsam um. Würden die Fans das nicht goutieren?

Keine Ahnung - ich fände das nicht gut. Wir haben im Verlauf der Jahre einige Dinge angepasst; die Distanz von Galaxien beispielsweise. Und wir haben einen Beleg dafür geliefert, warum die Venus eine Dschungelwelt ist/war. Aber wir können beispielsweise nicht die grundlegende Unlogik ändern, dass die Arkoniden und Terraner über 260 Bände lang nicht die entscheidende Frage stellen: Wieso sind wir eigentlich genetisch miteinander verwandt? Schon mit der heutigen Genetik ließe sich das alles wunderbar nachvollziehen - aber im Perryversum ging das nicht. Aber solche Dinge können wir heute echt nicht mehr anpassen; das wäre falsch.

Die Frage darf nicht fehlen. NEIN, ich frage nicht, wann der neue große „Perry Rhodan“-Film kommt, sondern folgendes und das habt ihr doch sicher schon mal besprochen, und sei es in einer gemütlichen Runde: Ein entsprechend mutiger Produzent stellt ein entsprechend großes Budget zur Verfügung, welche Geschichte aus dem Perryversum würde sich am Besten für einen Kinofilm oder einer (Mini-) Serie eignen nach eurer - oder Deiner Meinung? (vielleicht liest das ja jemand und es inspiriert ihn oder sie...)

Da bin ich Realist … Seit 2011 gibt es ja eine Produktionsfirma, die das Recht erworben hat, „Perry Rhodan“ zu verfilmen. Die lassen sich nicht in ihre Gedanken und Planungen hineinreden. Und weil das so ist, entwickle ich erst gar keine Träume.

Gerne würde ich jetzt noch drei Fragen zu eurem Team stellen. Zunächst einmal: Inzwischen ist ja schon die 2. und 3. Generation der „Perry Rhodan“-Autoren nahe der „Altersgrenze“ oder sogar leider nicht mehr am Leben, so dass ihr immer wieder neue Talente gewinnen müsst und auch könntet. Deshalb mal eine Frage, die sicher viele Nachwuchsautoren interessiert und die wohl tatsächlich niemand so gut beantworten kann wie Du: Was muss eine Autorin oder ein Autor neben den „Grundvoraussetzungen“ (Sprachbeherrschung, Erzähltalent, Schreibdisziplin etc.) an spezifischen Fähigkeiten mitbringen, um erfolgreich und gut für „Perry Rhodan“ zu schreiben?

Die wichtigste Fähigkeit ist meiner Ansicht nach diejenige, in einem Team arbeiten zu können und zu wollen. Rüdiger Schäfer hat uns vor über zwanzig Jahren mit einer Fußballmannschaft verglichen - und das stimmt schon. Wir brauchen Autoren, die sich in das Team stellen, die auch mal einen Roman übernehmen, bei dem jeder im Voraus weiß, dass er nicht so gut ankommen wird. (Es gibt so Aufräumer-Romane, in denen halt viele Fakten geliefert werden müssen, und es gibt Romane, in denen man ein neues Volk vorstellen kann, was natürlich viel mehr Spaß macht.) Wir brauchen Autoren, die einfach wissen, dass die Serie im Zweifelsfall wichtiger ist als sie - klingt hart, ist aber so. Die meisten Kunden kaufen ja nicht einen Roman von XXX, sondern eben einen „Perry Rhodan“-Roman. Das muss man wissen.
Und, nicht unwichtig: Ich brauche keine Leute, die mal einen Roman schreiben wollen, für den sie gern ein halbes Jahr Zeit haben möchten. Was wir brauchen, sind Leute, die in regelmäßigen Abständen für die Serie tätig sind, die sich auch klar darüber sind, dass wir Jahre oder gar Jahrzehnte zusammenarbeiten wollen. Das ist eine Lust, finde ich, kann aber auch eine Last sein…

Jetzt würde ich noch gerne eine Frage stellen, die mich schon immer mal interessiert hat: Seit Jahrzehnten auffällig ist, dass zumindest äußerlich keine Quote erkennbar ist, welcher PR-Autor wieviele Romane schreiben „darf“. Da dies ja auch einen durchaus handfesten finanziellen Hintergrund hat, was für einen Modus der Zuteilung nutzt ihr da im Team, damit sich keiner benachteiligt fühlt und dies halbwegs gerecht zugeht?

Es gibt in der Tat keine Quotenregelung, vielleicht gab es die früher. Wir versuchen, die Autorinnen und Autoren gleichberechtigt zu behandeln - aber natürlich gibt es immer Menschen, die wegen eines Paperbacks, das sie schreiben, oder wegen einer Konzert-Tournee für einige Monate ausfallen. Da müssen dann die anderen einspringen, und prompt entsteht eine Unwucht. Wir versuchen, das einigermaßen abzufedern und kommunizieren offen. Derzeit wird die Einteilung vor allem von Christian Montillon betrieben, der sich da mit den Autoren abspricht.

Wer entscheidet letztlich darüber, wer einen spezifischen Roman schreibt?

Theoretisch entscheidet das die Redaktion, also ich - rein faktisch habe ich das letzte Wort. Aber es läuft natürlich so ab, dass sich die Expokraten überlegen, wer welchen Band schreiben könnte; dann wird das mit dem Autor oder der Autorin besprochen und ich wäre blöd, wenn ich das torpedieren würde. Also übernehme ich die Vorschläge der Expokraten natürlich eins zu eins.

Ihr seid auch im Bereich Hörbuch und Hörspiel seit vielen Jahren sehr aktiv, darauf möchte ich doch noch einmal zurückkommen. Insbesondere im Bereich Hörbuch (also Roman-Lesungen) merkt man ein richtig massives Engagement (regelmäßige Hörbücher zur Erstauflage, NEO, drei (!!) Serien zu den Silberbänden), das kaum steigerbar ist, im Bereich Hörspiel bleibt es dagegen häufig bei Einzelprojekten, auch und gerade von Dritten. Natürlich ist klar, dass über 50 Erden-Jahre und tausende von Handlungsjahren eher eine punktuelle Bearbeitung von Mini-Serien nahelegen, trotzdem möchte ich die Frage gerne stellen: Ist eine richtig kanonische Vertonung der Serie in irgend einer Art und Weise ein unrealistischer Wunsch - oder etwas, das ihr durchaus noch gelegentlich verfolgt oder zumindest andenkt? Ich frage auch, weil der aktuelle Hörspielmarkt es ja sogar erlaubt, dass diverse längst mausetote Heftserien in zig aktuellen Hörspiel-Inkarnationen existieren...

Ich verstehe vom aktuellen Hörspielmarkt zu wenig, als dass ich hier eine richtig sinnvolle Antwort geben könnte. Eine „kanonische Umsetzung“ der Serie sehe ich nicht; ich wüsste nicht, wer das kaufen sollte. Aber wenn jetzt jemand käme, der ein vernünftiges Angebot machen würde, wäre ich der letzte, der Widerspruch leisten würde.

Kurz vor Schluss noch eine Frage zur Außenwahrnehmung. Die Zeiten, wo Deutschlehrer vor Heftromanen gewarnt haben, sind ja lange passé, Heftromane finden in der Lebenswirklichkeit von Jugendlichen nicht mehr so statt - oder man ist sogar froh, wenn er oder sie überhaupt „was liest“. Kannst Du uns Deinen Eindruck schildern, wie „Perry Rhodan“ von außen wahrgenommen wird, wie euch von mit der Serie überhaupt nicht vertrauten Menschen begegnet wird? Seien es Journalisten, Branchenkollegen oder auch einfach nur Passanten? Vermutlich gibt es da von belächeln („Heftchen!“) bis großen Respekt („Milliardenauflage!“) immer noch alles, oder?

Da heute in den Redaktionsstuben häufig Menschen sitzen, die mit „Perry Rhodan“ aufgewachsen sind, ist die Wahrnehmung heute wesentlich positiver. Wenn ich irgendwo von meiner Arbeit erzähle, ist die Geringschätzung früherer Jahre verschwunden; es gibt sie praktisch nicht mehr. Was es allerdings immer noch gibt: die typischen Lokaljournalisten, die auf Science Fiction im Allgemeinen, „Perry Rhodan“ im Besonderen und Fans im Ganzbesonderen mit einer Arroganz herunterblicken, die nur mit eigenen Minderwertigkeitskomplexen zu erklären ist…

Und meine letzte Frage: Können wir uns dieses Jahr noch auf Überraschungen oder neue Projekte aus dem Perryversum freuen?

Ich bin sicher, dass sich dieses Jahr nach unserer Mini-Serie „Perry Rhodan TERMINUS“ noch weitere Dinge ereignen werden, die unsere Leser überraschen.

Lieber Klaus, vielen Dank für das Gespräch! Ad Astra!