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Christian Endres: "Out of Memory"

Das News-Aufkommen aus dem Bereich der Phantastik (egal ob in Sachen Literatur, Film & Serien, Comic etc.) wird in nächster Zeit vermutlich rückläufig sein. Rezensionen werden wir natürlich weiterhin online stellen. Bis auf Weiteres möchten wir unser Angebot aber um Kurzgeschichten erweitern. Wir bedanken uns bei den Autorinnen und Autoren, die uns hierbei unterstützen.

Heute: „Out of Memory“ von Christian Endres


OUT OF MEMORY

von Christian Endres

 

„Man hat mir all meine Erinnerungen gestohlen“, sagt sie, und ich kann mir gerade so die Antwort verkneifen, dass ich sie niemals vergessen werde, egal, was kommt. 
Doch genau so ist es.
Nicht bei diesen Augen.
Nicht bei solchen Kurven.
Nicht bei der Art, wie sie die Beine übereinanderschlägt.
„Ich werde sie Ihnen zurückbringen“, sage ich, und selbst in meinen Ohren klingt es wie ein törichter Schwur.
Ich zünde mir eine Zigarette an.
Schnell füllt der Rauch mein kleines Büro, das noch beengender wirkt durch das Unwetter, das draußen tobt und die Schwüle und den Regen gegen die Fensterscheiben drückt, die schon lange wieder mal hätten geputzt werden müssen.
Das Krachen und Tosen draußen übertönt ihren gehauchten Dank.
Unwichtig.
Durch den Rauchvorhang kann ich sehen, dass sie sich an einem zaghaften Lächeln versucht.
Mehr brauche ich nicht.

***

„Plötzlich stand ich in einer Menschenmenge. Ich konnte mich an nichts erinnern. Als wäre ich gerade vom Himmel gefallen.“
„Das würde einiges erklären“, werfe ich ein.
Sie ignoriert mich und meinen Charme mit engelsgleichem Unverständnis. „Dann sah ich Ihr Schild. Das neben der Tür. Das, auf dem steht, dass Sie Dinge finden. Außerdem hat es zu regnen begonnen. Da bin ich reingegangen. Die Treppen hoch und ...“
Sie blickt sich um.
Mir ist klar, was sie sieht.
Die Grenzen zwischen Büro und Wohnung sind fließend und obendrein nicht besonders aufgeräumt.
Ihr scheues, brüchiges Lächeln verschwindet.
Vermutlich wird ihr gerade bewusst, dass sie sich nicht einmal mehr daran erinnern kann, wo sie wohnt und wie es dort aussieht.
Sie versucht, die Tränen zurückzuhalten.
Tapfer erklärt sie: „Dass ich Liz Diamond heiße, weiß ich auch nur, weil mich ein Kerl auf der Straße so genannt hat. Er wirkte seltsam, deshalb bin ich weitergegangen.“ Sie versteift sich ein wenig. „Ich weiß, wie das jetzt klingt ...“, beginnt sie.
Ich wische ihre Sorge beiseite. „Und Ihren echten Namen kennen Sie nicht?“
„Echten Namen?“, fragt sie verwirrt.
Ich nicke sacht.
„Wie meinen Sie das?“, fragt sie weiter.
Legt ihre hübsche Stirn in Falten.
Es tut schon beim Zusehen weh.
Trotzdem sage ich: „Tut mir leid, aber ... niemand heißt Liz Diamond.“
Ich tippe auf der flachen, abgegriffenen Tastatur, die in den Schreibtisch eingelassen ist, und beobachte den Monitor.
„Das scheint Ihr Künstlername zu sein. Sie sind eine ...“
Ich verstumme.
Suche nach den richtigen Worten.
Bin mir ihres abwartenden, bangen Blickes bewusst.
„Sie arbeiten in der Unterhaltungsbranche.“
Sie macht Pornos.
Das erklärt zumindest den Typen, der sein Glück kaum fassen konnte, als er das Objekt seiner feuchten Netz-Träumereien auf der Straße wandeln sah wie einen gefallenen Engel mit Amnesie.
Ihr verständnisloser Gesichtsausdruck bricht mir fast das Herz.
Ich erspare ihr die übrigen Details.
Stattdessen biete ich ihr eine Zigarette an.
Ihr Blick wird daraufhin noch trauriger.
„Ich weiß nicht, ob ich rauche“, sagt sie leise und starrt auf ihren Schoß, als könne sie dort ihre Erinnerungen finden.
Was leider gar nicht so falsch gedacht ist.
Verdammt.
So sitzen wir ein paar Sekunden da, während draußen das Unwetter rumort.
Hoffentlich halten die Dämme.
Sie schafft es nicht, mir in die Augen zu sehen, und ich weiß nicht, ob ich den Arm mit der Zigarettenschachtel in der Hand zurückziehen soll oder ob ich damit endgültig das fragile Gebilde einreiße, das zwischen uns den Abgrund überbrückt.
In diesem Moment sind wir beide verloren.
Hängen gemeinsam allein in der Luft.
„Ich werde sie Ihnen zurückbringen“, verspreche ich erneut und lege die Kippenschachtel sachte vor ihr auf den Tisch.

***

Ich habe schon Fälle gehabt, in denen man den Leuten so gut wie alles gestohlen hat, was sie in ihrer Cloud hatten.
Aber das Risiko ist natürlich nichts im Vergleich zu den Vorteilen, schon klar.
Die allmächtige, allgegenwärtige Cloud.
Überall und jederzeit da.
Überall und jederzeit abrufbar.
Genau das Richtige, um mit der Informations- und Datenflut in allen Bereichen des Lebens fertig zu werden.
Die perfekte Verschmelzung von Technik und Biologie.
Nie wieder Gedächtnislücken oder Blackouts.
Kein Stammeln und kein Stottern mehr.
Ich kenne die Spots, danke.
Kapier’s trotzdem nicht.
Sicher, wir sind praktisch eine Gesellschaft von Alzheimerkranken geworden, nachdem wir jahrelang über den verzuckerten Highway des Wohlstands gebrettert sind.
Plötzlich ging alles ganz schnell.
Unaufhaltsam.
Jetzt taumeln wir von Geburt an der Dämmerung des Vergessens entgegen, die immer früher kommt.
Also wehren wir uns, wie wir das schon immer getan haben.
Mit Intellekt und Einfallsreichtum.
Der Affe mit dem Stock.
Wieso die Aufregung, was?
Keine Panik.
Alles im Lot.
Und überhaupt.
Noch dürfen keine fremdabsorbierten Erinnerungen hinzugefügt werden, und alles andere ist ja sooo nützlich.
Aber deshalb muss man doch nicht einen Großteil seiner persönlichen Erinnerungen der Bequemlichkeit halber auf einem externen Server oder sonst wo ablegen, der permanent mit dem eigenen Gehirn kommuniziert, oder?
Die Krücke nicht zur Gewohnheit werden lassen.
Zum neuen Lebensstandard.
Für mich fühlt sich das einfach falsch an.
Und es ist geradezu eine Einladung.
Gibt genügend Arschlöcher da draußen.
Genug Penner, die sich nur über geknackte Firewalls und Passwörter definieren und profilieren.
Über Schaden, den sie anderen aus der Anonymität ihrer Hacker-Pseudonyme heraus zufügen.
Sie haben genug Ziele.
Zum Teil sehr persönliche Ziele.
Manchmal versuche ich mir den ständigen Datenstrom - den permanenten Austausch zwischen Hostern und Hirnen – als Gespinst bunter Fäden vorzustellen, das sich durch die Stadt spannt.
Das Bild lässt mich jedes Mal schaudern.
Nein, für mich ist das nichts.
Genauso wenig wie der Mikroprozessor im Hirn.
Kein Komfort.
Keine Absicherung.
Keine Garantie.
Eher eine Horrorvorstellung.
Mit viel zu vielen Gefahren.
Jeder kennt sie.
So gut wie niemand beachtet sie.
So gut wie jeder nutzt das System.
Seltsam ist allerdings, dass „Liz Diamond“ sich auch nichts mehr von dem merken kann, was man ihr nun sagt.
Dass sie fast gar nichts mehr abspeichert.
Kann sein, dass man sie nicht nur beklaut, sondern ihr auch einen Virus auf den Server hochgeladen hat, der die Verbindung zwischen ihrem Körper und ihrem künstlichen Speicherplatz zerstörte - und wenn sie sich zu lange komplett auf die Symbiose von Server, Satelliten und Synapsen eingelassen hat, könnte ihr biologischer Speicher jetzt nicht mehr zu gebrauchen sein.
Es gibt solche Theorien.
Und andere.
Die Studien und Beweise werden selbstverständlich vertuscht.
Manchmal sickert was durch.
Es soll auch immer wieder Menschen geben, deren geschwächtes Erinnerungsvermögen ganz aussteigt, wenn sie sich zu lange vollständig der digitalen Gedächtnisstütze hingeben.
Wie eine schwache Autobatterie, die nach vier Wochen im Winter komplett in sich zusammenfällt, wenn man nicht fährt.
Ich denke über diese düstere Vorstellung nach, während ich zu der Adresse ihres Agenten fahre, die ich online gefunden habe.
Neben ein paar Videoclips, die ich schnell wieder weggeklickt habe.
Ehrlich.

***

Das Büro des Typen ist so leer wie die Erinnerungen seiner hübschen Klientin.
Sieht ganz danach aus, als wäre er in aller Eile aufgebrochen.
Schätze, das macht ihn zum Verdächtigen Nummer eins.
Beim Verlassen des ausgeräumten Büros laufe ich in eine riesige Faust wie aus Granit und frage mich, ob mein Fall gerade die alles entscheidende Wendung erfährt.
Aber der Reihe nach.
Fürs Erste krache ich hart auf den Boden.
„Wo ist der Pisser?“, brüllt außerdem jemand. „Sag schon! Niemand macht sich mit Mr. Peruzzis Moneten aus dem Staub und kommt ungeschoren davon!“
Benommen hebe ich den Kopf.
Sofort kriege ich den nächsten Hieb gegen das Kinn.
Nichts Persönliches.
Nur professioneller Schmerz.
Immer und immer wieder.
„Wo ist der Pisser?“
„Keine Ahnung!“, bringe ich endlich hervor. „Ich kenn ihn nicht!“
Die Schläge hören auf.
Der Schmerz bleibt.
„Du arbeitest nicht für den kleinen Pissvogel?“
Ich spucke Blut auf den Teppich, dem das nichts mehr ausmacht.
„Nein“, stöhne ich. „Ich such ihn auch.“
„Oh. Okay. Tja.“
Mehr nicht.
Das war’s.
Ich höre schwere Schritte, die sich hastig entfernen.
Kann jedoch genauso gut sein, dass sich mein Bewusstsein einfach bloß schnell von mir entfernt.
Ich werde mich später nicht an genügend Details erinnern können, um den Unterschied festzustellen.

***

Als ich wieder zu mir komme, kauere ich auf der Rückbank eines Taxis.
Keine Ahnung, wie ich hierhergekommen bin.
Nun weiß ich, wie sie sich fühlt.
Ich denke kurz an den Agenten, den ich wohl nie finden werde.
Macht nichts.
Der Typ hat gänzlich andere Sorgen und fällt als Verdächtiger damit eher raus.
Ich bezahle den Fahrer und schleppe mich die Treppen zu meiner bescheidenen Bleibe hinauf.
Meine Bürotür ist offen.
Hab ich sie vorhin nicht abgeschlossen?
Kann mich ironischerweise nicht erinnern.
Allerdings kann ich auch kaum stehen.
Dennoch entsichere ich meine Waffe und trete ein.
In der Küche ist jemand, der sich keine Mühe gibt, leise zu sein, und offensichtlich mit dem Besteckkasten Tango tanzt.
Ich und die Kanone halten uns mit Müh und Not aufrecht im Türrahmen.
Fragt sich, wer wen hält.
„Was ist passiert?“, fragt die bezaubernde Ms. Diamond erschrocken und legt ihr Sandwich zurück auf den Teller.
Mit einem besorgten Ausdruck auf dem schönen Gesicht schwebt sie direkt auf mich zu.
Die auf sie gerichtete Waffe beachtet sie nicht.
Ihre Fingerspitzen fahren zärtlich über mein Gesicht.
Tut höllisch weh.
Fühlt sich zugleich aber auch höllisch gut an.
Wenig später sitzen wir auf dem Sofa.
Unauffällig inhaliere ich ihren Duft und erzähle ihr von dem kleinen Missverständnis.
Davon, dass ihr Agent wohl nichts damit zu tun und anscheinend andere Probleme hat, die ihn zwangen, die Stadt zu verlassen.
„Es tut mir so leid“, sagt sie zum hundertsten Mal, seit sie mein Gesicht mit Pflastern beklebt hat.
„Schon okay.“
„Aber ich kann nicht mal zahlen.“
„Schon okay“, wiederhole ich wie ein Mantra, anstatt ihr vorzuschlagen, angestrengt an ihre Kontonummer zu denken.
Sie nickt dankbar und sieht mich einen langen, schier endlosen Moment ernst an.
Dann küsst sie mich.
Meine aufgeplatzte Lippe ist allen Beteiligten egal.
„Okay“, sagt sie leise, und wir wissen beide, dass auch ihr Name und ihre Erinnerungen gerade nicht von Bedeutung sind.
Dass wir nun beide ein bisschen Vergessen gebrauchen können.
Noch ein bisschen mehr.
„Okay.“

***

War erneut eine ziemlich stürmische Nacht.
Ich binde meine Krawatte und betrachte die schlafende Schönheit auf der ausgeklappten Couch.
Sie sieht zufrieden aus, wenn sie schläft.
Ich weiß, dass sich das ändern wird, sobald sie aufwacht.
Es ist unfair, und es ist grausam.
Macht mich stinkwütend.
„Ich werde sie zurückbringen“, sage ich leise und küsse sie zärtlich auf die Stirn.
Sie lächelt im Schlaf.
Auf dem Weg zum Lift brennt mir mein Bedauern beinahe ein Loch in den Anzug.
Denn ich weiß natürlich ganz genau, dass sie mich in dem Moment verlässt, in dem sie sich wieder an alles erinnern kann.

***

Da ihr Agent eine Sackgasse ist und höchstwahrscheinlich schon mit den Füßen aus einer Schrottpresse ragt, gehe ich meine Alternativen durch.
Sind nicht viele.
Um etwas herauszufinden, bleibt mir nur eines.
Mein letztes Ass, das ich mir nun schon eine Weile aufspare.
Stellt sich die Frage, ob sie es mir wert ist.
Ich überlege ungefähr zwei Sekunden.
Dann statte ich Mike einen Besuch ab.
Er schuldet mir einen dicken Gefallen.
Immerhin arbeitet er noch bei Remember Inc. und kümmert sich um die riesigen Server-Areale unter der City.
Um diese dunklen, gekühlten Daten-Distrikte, die im Grunde nur aus Stahlbeton, Glasfaserkabeln und Erinnerungen bestehen.
Ohne mich würde Mike nicht mehr hier sein.
Nicht nach der Sache mit dem Live-Stream aus der antarktischen Forschungsstation, in der sie genmanipulierte Pinguine aufeinandergehetzt haben.
Hässliche, blutige Sache.
„Zahltag, Mike“, begrüße ich ihn, als er mir die schwere Metallsicherheitstür an der Rückseite des Gebäudes öffnet.
Er sieht nervös aus.
Späht in die Gasse hinter mir.
„Dafür könnte ich gefeuert werden, Mann.“
Ich werfe meine Zigarette auf den nassen Asphalt und trete an Mike vorbei in dessen blinkende, summende Welt.
Mir schaudert, und das liegt nicht am eisigen Luftzug der Klimaanlage.
„Wir wussten beide, dass dieser Tag kommen würde, Mike.“
„Was willst du?“
„Eine Auskunft, wenn du so willst.“
„Ich will nicht.“
Zehn Minuten später weiß ich so gut wie alles.

***

Es gab keinen Hack.
Keinen Diebstahl.
Keinen Virus.
Nicht mal eine Bot-Attacke oder so was in der Art.
Die Schönheit, die sich ohne Erinnerungen auf meiner Klappcouch räkelt und die Laken vergangene Nacht mit ihrem Schweiß durchtränkt hat, ist bloß total abgebrannt.
Nicht mehr und nicht weniger.
Blitzeblank.
Völlig pleite.
Da sie den Zahlungsaufforderungen ihres Hosters kein einziges Mal nachgekommen ist, hat man ihren Account letzten Endes mitsamt ihrer Erinnerungen vom Server ins Limbo gekickt.
Out of Memory, heißt die entsprechende Systemmeldung, deren Bedeutung sich im Lauf der Jahre verändert und angepasst hat.
Kein Speicher mehr.
Keine Erinnerungen mehr.
Kein Spaß, wie Mike sagt.
So einfach ist das.
Kaum jemand lässt es so weit kommen, und sie ist sicher auch ein Extremfall, was die Degeneration ihres eigenen Erinnerungsvermögens und ihre Abhängigkeit von der Technik angeht.
Passt alles wunderbar zusammen.
Wie das im Leben eben so ist.
Ich seufze, als mir der Gedanke kommt, dass sie vielleicht vergessen wollte und sich nur nicht mal mehr daran erinnern kann.
Weder daran, dass sie vergessen wollte, noch daran, was sie unbedingt vergessen wollte.
„Sind wir quitt?“, fragt Mike drängend.
Er will mich loswerden.
Kann’s ihm nicht verübeln.
„Fast.“
„Was denn noch, Mann?“
Ich lege ihm meine Hand auf die Schulter.
Drücke fest zu.
Nur damit wir uns verstehen.
„Erinnerst du dich an die Pinguine, Mike? Niedliche kleine Kerle. Auch wenn sie sich gegenseitig die Augen aushacken.“ Meine Stimme bleibt freundlich. „Du kannst doch sicher ein bisschen Platz auf einem deiner Server abzwacken, oder? Nicht viel. Bin ja kein Unmensch. Ein kleiner dunkler Fleck, den jemand anderes bezahlt und niemand bemerkt. Oder du nimmst den Platz, den dein Pinguin-Backup belegt. Oh ja. Ich weiß, dass du irgendwo zwischen den Dateien ein Backup versteckst hast.“
„Woher ...?“
„Du bist der Typ dafür, Mike.“
Mike starrt mich ungläubig an.
Ich starre zurück.
„Du spinnst“, betont Mike. „Du spinnst komplett.“
Gleichzeitig beginnt er jedoch mit der Arbeit.
Seine Finger fliegen über die Tasten.
„Bitte sehr“, sagt er kurz darauf sarkastisch. Fast schon trotzig fügt er hinzu: „Das reicht aber höchstens für ein, zwei Schundromane und ein paar Urlaubserinnerungen.“
„Das genügt“, sage ich und hoffe, dass ich die Lage richtig einschätze.

***

Als ich mein Büro erreiche, liest sie mein Gesicht wie ein offenes Buch und beginnt herzerweichend zu schluchzen.
Ich nehme sie in die Arme.
„Ich weiß nicht, was ich tun soll“, sagt sie eine Ewigkeit später an ihren langsam versiegenden Tränen vorbei.
Sie sieht mich aus großen Augen an.
Ihr Lidschatten ist verwischt.
Ich streichle ihre Wange.
„Ich hab zwei Tickets“, sage ich.
„Was sollen die bringen?“, fragt sie schroff.
Ich küsse sie sanft auf die Lippen.
Zu meiner Erleichterung erwidert sie den Kuss nach kurzem, perplexem Zögern.
Ihr Körper entspannt sich etwas in meiner Umarmung.
„Zeit für ein paar neue Erinnerungen“, sage ich, als wir uns voneinander trennen. „Warst du schon mal auf Kuba?“

ENDE


„Out of Memory“ erschien ursprünglich 2015 in Ausgabe Nr. 33 des Science-Fiction-Magazins EXODUS und wurde für den Kurd Laßwitz Preis nominiert. (C) 2020 Christian Endres

Christian Endres schreibt für den „Tagesspiegel“, diezukunft.de, „phantastisch! „und viele mehr. Als Redakteur betreut er die deutschen Comic-Ausgaben mit Spider-Man, Batman, Conan, den Avengers und anderen. Seine Erzählungen erscheinen in Magazinen wie „c’t“, „Basement Tales“, „Exodus“ und „Heavy Metal“. Im Atlantis Verlag liegen u. a. seine Storysammlungen „Die Zombies von Oz“ sowie „Sherlock Holmes und das Uhrwerk des Todes“ vor. Unter @MisterEndres posted er z. B. jeden Tag eine Kürzesgeschichte auf Twitter.