Der Rote Korsar Gesamtausgabe 1: Der Teufel der Karibik (Comic)

Der Rote Korsar Gesamtausgabe 1
Der Teufel der Karibik
(Barbe Rouge: L’intégrale 1: Le demon des Caraibes; Le roi des sept mers)
Szenario: Jean-Michel Chalier
Zeichnungen: Victor Hubinon
Übersetzung: Hartmut Becker u.a.
Ehapa, 2013, Hardcover, 148 Seiten, 29,99 EUR, ISBN 978-3-7704-3696-5

Von Frank Drehmel

Obgleich das Piraten-Sujet nicht nur in Belletristik und Kino eine lange Tradition hat, sondern auch eine erkleckliche Anzahl von Comic-Serien das Leben von Freibeutern, Korsaren, Bukanieren und Likedeelern aus unterschiedlichsten Blickwinkeln beleuchtet, läutete vor etwas mehr als einer Dekade Disneys „Pirates of the Carribean“ eine Art Renaissance des Themas ein.

So nimmt es nicht Wunder, dass im Zuge dieser Belebung mit dem „Roten Korsar“ eine der langlebigsten europäischen Serien die Ehre einer Gesamtausgabe zuteil wird, eine Serie, die 1959 in der Erstausgabe des Wochenmagazins „Pilote“ ihren Anfang nahm und die mehr als eine Generation von Comic-Lesern mit maritimen exotischen Abenteuern aus einer vergangenen Zeit zu begeistern wusste und immer noch weiß.

Der vorliegende Band enthält neben einem obligatorischen und höchst informativen redaktionellen Teil die beiden ersten Alben, „Der Teufel der Karibik“ („Le demon des Caraibes“) sowie „Der König der sieben Meere“ („Le roi des sept mers“).

Wir schreiben das Jahr 1775: Irgendwo in der Karibik bring die Brigg des gefürchteten Roten Korsaren eine spanische Galeone auf, um sie zu entern. Auf Seiten der Spanier überlebt keiner außer einem kleinen Jungen, dessen Eltern Passagiere auf dem Schiff gewesen sind und schon im ersten Feuergefecht das Leben ließen. Da sich der Kleine furchtlos und unbeeindruckt von den Piraten zeigt, beschließt der Rote Korsar, ihn als Sohn aufzuziehen, obgleich es Stimmen in der Mannschaft gibt, die ein Kind an Bord für ein Risiko halten.

Die Jahre gehen ins Land, das Kind, Rick, hat sich zu einem stattlichen jungen Mann entwickelt, der nicht nur im Umgang mit Pistolen und Degen erfahren ist, sondern der sich auch durch eine gehörige Portion Mut und List auszeichnet. Bei einem Beutezug gegen die spanische Hafenstadt Cartagena fällt den Piraten neben einigen Lehrern für Rick der Sohn des Vizekönigs in die Hände. Das Lösegeld ist zu verlockend, als dass der Rote Korsar den Mann zurücklassen kann; zudem ist eine wertvolle Geisel während einer Flucht vor den Spaniern von unschätzbarem Wert. Letzteres erweist sich jedoch schon bald als fataler Irrtum, zumal die Geisel alles versucht, die Flucht seiner Entführer zu sabotieren, und damit soviel Erfolg hat, dass das Entkommen sämtliches seemännisches und taktisches Geschick des Piraten erfordert.

Nachdem sie das Abenteuer knapp mit heiler Haut überstanden haben, reift in Rick der Entschluss, dem Piratendasein zu entsagen und fürderhin ohne Mord und Raub ein gesetzestreues Leben zu führen. Der Rote Korsar ist zwar nicht begeistert, entlässt aber seinen Ziehsohn nicht nur in die Freiheit des Londoner Gesellschaft, sondern stattet ihn auch mit einer falschen Identität aus, die ihm den Zugang zur Königlichen Seeakademie eröffnet, wo er sein Kapitänspatent machen will. Doch der Junge ist zu sehr ein Sohn seines Vaters, als dass er mit den strengen Regeln und den bürgerlich-spießigen Kommilitonen zurecht käme. Und so dauert es nicht allzu lange, bis er sich um Kopf und Kragen redet und zu einer überstürzten Flucht gezwungen ist, die ihn nach Afrika in ein neues Abenteuer verschlägt.

Obgleich die Serie „Der Rote Korsar“ heißt, steht der junge Rick im Mittelpunkt der Handlung, da er dem Leser mannigfaltige Identifikationsmöglichkeiten bietet. Quasi im Gleichschritt mit ihm wird man in eine vergangene Epoche eingeführt und sieht nicht nur durch seine Augen die Wunder, die exotischen Schauplätze und maritimen Geheimnisse seiner Welt, sondern nimmt auch auf einer emotionalen Ebene an seiner Emanzipation und seinem Aufbegehren teil.

Rick selbst wird zwar insgesamt als integrer, moralisch gefestigter Held gezeichnet, ist aber ob seiner Unbedarftheit oft genug kurz davor, zu scheitern, und offenbart auch einige dunkle Seite. Das Sympathische, das Beruhigende dabei ist, dass trotz aller Differenzen Vater und Sohn in Notfällen füreinander einstehen und gemeinsam den unterschiedlichsten Gefahren die Stirn bieten.

Was Charliers abenteuerliche und abwechslungsreiche Story insgesamt auszeichnet, ist ein herrlich weicher Erzählfluss, der die einzelnen Szenen und Spannungsbögen sanft miteinander verwebt, sodass keine Brüche und auch keine Längen spürbar werden.

Hubinons Artwork ist ganz ein Kind seiner Zeit: aus heutiger Sicht streng und formal, leicht hölzern, stellt es sich ganz in den Dienst der Geschichte, indem es zum einen um historische Authentizität bemüht ist und zum anderen nur wenig visuell-eigenständige Akzente setzt, die den Erzählfluss mit ihrer Prägnanz unterbrechen.

Fazit: Eine der großen Klassiker-Serien des französischsprachigen Comics: visuell zwar leicht angestaubt, aber erzählerisch und inhaltlich immer noch ein Garant für abenteuerliche Unterhaltung.