M. A. Carrick: Die Maske der Spiegel (Buch)

M. A. Carrick
Die Maske der Spiegel
Rabe und Rose 1
(Mask of Mirrors, Rook and Rose 1, 2021)
Übersetzung: Kerstin Fricke
Panini, 2024, Paperback, 480 Seiten, 19,00 EUR

Rezension von Carsten Kuhr

Willkommen in Nadežra, einer Stadt voller Intrigen, Magie und Geheimnissen. Dort begegnen wir der alteingesessenen, inzwischen verarmten Händlerfamilie der Traementis. Der Grande Dame der Familie, Donaia Traementis, steht das Wasser finanziell bis zum Hals. Wenn sie ihre letzte Karawane nicht beschützen lässt, ist der Überfall und damit der endgültige Ruin vorprogrammiert – allein, sie vermutet, dass die Wächter sie ebenfalls um ihr letztes Hab und Gut erleichtern werden.

Auftritt Renata - Ren - Viraudax, eine Trick-Betrügerin, die versucht, sich als vermeintlich lange verschollene Verwandte in eben jene reiche Kaufmannsfamilie einzuschleichen. Schnell wird ihr klar, dass ihr Ziel, sich am vermuteten Familienvermögen zu bereichern, um die eigene Existenz in Luxus und Unbeschwertheit zu sichern, am Mangel ebenen jener Reichtümer scheitert.

Im Prolog lernen wir die damals noch kindliche Ren kennen. Als Finger (Taschendiebin) wird sie von ihrem Knoten, ihrer Hausmutter, missbraucht, wird getriezt, gemobbt und angegriffen. Sie nimmt das Heft des Handelns selbst in die Hand, auch um nicht nur sich selbst, sondern auch um ihre kleine Schwester zu retten.

Jetzt hat sie ihr großes Spiel der Täuschung gestartet - und hält die gesamte Hautevolee der Stadt mit ihrer avantgardistischen Mode und ihrer offensichtlichen Naivität, hinter der sich ein wahrlich schlauer Kopf verbirgt, auf Trab. Es gilt, wenn schon von ihrer Zielfamilie kein Geld zu erwarten ist, wenigstens ein bisschen für Gerechtigkeit zu sorgen - und herauszufinden, wer sich hinter der Maske des Raben - ein vorzüglicher Fechter für die kleinen Leute – verbirgt.

Gar nicht von dem Sohn der Traementis und dessen Freund in der Garde zu sprechen, die jeder auf seine Art, ihre Geheimnisse mit sich tragen und dabei ebenso interessant wie integer und faszinierend sind.


Hinter dem Pseudonym M. A. Carrick verbirgt sich niemand Geringeres als die beiden Autorinnen Marie Brennan und Alyc Helms. Zusammen haben sie eine Trilogie (auf deutsch in sechs Bänden) vorgelegt, deren Auftakt uns Panini hier präsentiert.

Inhaltlich passiert, noch zumindest, nicht wirklich viel. Es gibt keine weltbewegenden Ereignisse, keine großen Schlachten oder Katastrophen. Die Verfasserinnen konzentrieren sich auf eine Stadt, die Intrigen unter den dort Herrschenden, und die Verflechtung innerhalb der Regierenden. Beigemischt werden dann noch das Organisierte Verbrechen, eine Heldin, die - wie üblich - den Aufstieg in bessere Kreise anstrebt und jede Menge Animositäten. Ein Held der Geknechteten und Rechtlosen gibt es mit dem Raben auch noch, im Zentrum steht aber unsere ebenso charismatische-charmante, wie sympathische Hochstaplerin, die ihren Coup plant und durchzieht. Dass sie dabei durchaus menschlich gezeichnet wird, dass sie Gefühle und Ängste zeigt, macht sie uns als Handlungsträgerin nur sympathischer.

Geschickt haben die Autorinnen sie in einer Stadt platziert, die ein klein wenig an das klassische Venedig erinnert, dabei dann aber doch ganz anders aufgebaut ist. Die Herrschaftsstrukturen und die Masken erinnern an die Lagunenstadt, die Figuren sind frisch und agieren munter und abwechslungsreich. Das Faszinierendste ist sicherlich die Darstellung der Machtstrukturen und die dezent angedeutete Magie, die sicherlich in den Folgebänden noch einen größeren Raum einnehmen wird.

Dabei geht es dann auch viel um Identität, um starre Gesellschaftsformen, um Schuld und Sühne, Gerechtigkeit und Machtstreben. Und es geht um Macht: wie man selbige konsolidiert, wie man sie erst erringt, wie man ihr misstraut. Was verbirgt sich hinter den Namen derer, die die Macht ihr Eigen nennen, wer sind die Menschen hinter den Masken? Fragen, die sich uns aufdrängen und die immer wieder thematisiert werden.

M. A. Carrick ist trotz der eher leisen Töne, die angeschlagen, werden ein fesselnder, interessanter und spannenden Auftakt einer etwas anderen Fantasy gelungen, die in der Nachfolge von Scott Lynchs Loke-Lamore-Romane (Heyne) und Leigh Bardugos „Krähen“-Reihe (Knaur) steht und uns eine sehr sympathische Erzählerin in einem komplexen Stadtstaat offeriert.

Zu erwähnen ist auch noch die Grafikabteilung, die eine perfekte Arbeit abgeliefert hat; nicht ganz so toll ist leider die Qualität der Umschlagpappe, die trotz sehr vorsichtiger Lektüre immer leider unweigerlich zu Leserillen führt.