Michael R. Fletcher: Blutwerk - Chroniken des Wahns 1 (Buch)

Michael R. Fletcher
Blutwerk
Chroniken des Wahns 1
(Beyond Redemption)
Übersetzung: André Taggeselle
Titelbild: Elm Haßfurth
Bastei Lübbe, Paperback mit Klappenbroschur, 608 Seiten, 15,00 EUR, ISBN 978-3-404-20863-0 (auch als eBook erhältlich)

Rezension von Carsten Kuhr

Stellen Sie sich eine Welt vor, in der Talentierte die Wirklichkeit beeinflussen können. Kein Problem, ist leicht finden sie; nun, dann satteln wird doch noch ein wenig drauf. Eine Welt, in der die so Talentierten ihre Kräfte aus dem Wahnsinn ziehen. Richtig, jetzt wird es interessant im Sinne von blutig, verrückt, grausam.

Egoloth ist solch ein mächtiger Wahnwirker. Seine unterschiedlichen Aspekte manifestieren sich um ihn herum, treiben ihn langsam aber sicher immer weiter in den Wahn. Er ahnt, nein, er weiß, dass er nicht mehr lange Zeit hat, bevor ihn seine Spiegelbilder verraten und er unrettbar verloren ist. Doch Egoloth hat einen Plan. Als Anführer der Geborenen, einer religiösen Sekte, arbeitet er schon seit Jahren auf ein, auf sein großes Ziel hin: Er will aus einem talentierten Kind einen Gott schaffen.

Glaube ist Macht und der Glaube Vieler kann aus einem Menschen einen Gott machen. Nicht umsonst heißt es, dass der Glaube die Wirklichkeit macht (S. 175). Die Erhebung des Jungen steht kurz bevor, als das Schicksal in Gestalt dreier gewalttätiger Vagabunden gnadenlos zuschlägt. Der alternde Krieger Deckard, der überhebliche, nazistische Schwertkämpfer-Schönling Argos und die Rafferin Robyn, eine soziopathische Kleptomanin und Mörderin, bemächtigen sich des Jungen Morgan und entführen den künftigen Gott.

Eine Hassebrand, eine Pyromantin und ein Versklaver sind ebenfalls hinter Morgan her. Die Jagd auf die Entführer ist eröffnet - eine Hatz, die gnadenlos und mit jeder Menge Kollateralschäden vorangetrieben wird…


Der Verlag warnt den Leser auf dem Waschzettel ausdrücklich vor dem Inhalt. Das Gebotene sei nichts für Leser mit schwachen Nerven, die das übliche Fantasy-Setting erwarten würden. Und wirklich kommt uns der Plot ein wenig anders, dunkler daher. Natürlich kennen wir auch diese Versatzstücke aus anderen Titeln. Sei es der alternde Söldner, der überhebliche Schwert-Jongleur, die fiese Kleptomanin oder der intrigante Priester - das alles sind Figuren, die uns schon das eine oder andere Mal über den Weg liefen. Allerdings hat Fletcher wirklich etwas Neues in seine Handlung eingebunden - etwas, das ich zumindest so noch nicht kannte. Seine Magie zieht ihre Kräfte aus dem Wahn derer, die sie nutzen. Nun kennen wir alle einen Hannibal Lecter, doch vorliegend sieht die Sache doch ein wenig anders aus.

Nahezu alle handlungsrelevanten Charaktere haben ein psychisches Problem. Ihr innerer Kompass in Hinsicht darauf, was gut und richtig oder was falsch und verderblich ist, funktioniert nicht, so dass ihre Handlungen entsprechend ausfallen. Das wird munter und ohne jegliches Gewissen gemordet, geschändet, verbrannt und das Unaussprechliche getan, sich am Menschenfleisch gütlich getan. Die unterschiedlichen psychischen Erkrankungen manifestieren sich in den differenziert beschriebenen Wahnkräften so dass die Figuren bestenfalls Mitleid, zumeist aber Ablehnung und Ekel bei uns auslösen. Dennoch macht ihre Heimsuchung diese natürlich auch interessant. Insbesondere der Theokrat Egoloth mit seinen so unterschiedlichen Aspekten weiß hier zu faszinieren. Seine Schizophrenie führt dazu, dass sich seine unterschiedlichen Wesenszüge in Gestalten manifestieren, die ihn selbst, seine Pläne und seine Rolle in Gefahr bringen. Aber auch der entführte Junge, der erstmals ins einem Leben außerhalb der Klostermauern der Realität ausgesetzt wird, die er nicht kennt, auch nicht wirklich kennen will, weiß zu faszinieren. Wie wird er auf den tagtäglichen Überlebenskampf reagieren, wie wird er von seinen Entführern geprägt und wie wird sich dies auf seine Gottwerdung auswirken? Fragen, die den Plot mit bestimmen.

Den Text zeichnet darüberhinaus, neben den sehr realistischen, oft brutal und vulgär wirkenden Beschreibungen der Lebensumstände unserer Protagonisten, ein trockener, dunkler Humor aus. Das ist weit von den weichgespülten Elfen-Fantasy-Romanen entfernt, zeigt uns das Leben in all seiner brutalen Niederträchtigkeit und weiß den Leser trotz der unappetitlichen, ja brutalen Beschreibungen in seinen Bann zu ziehen.