Joachim Masannek: Wildernacht (Hörbuch)

Joachim Masannek
Wildernacht
Nach den gleichnamigen Kinderbüchern, Schneider
Hörspielbearbeitung und Regie: Barbara van den Speulhof
Gekürzte Lesung von Erik Borner
Künstlerische Gestaltung von Susann Bieling
Autorenfoto von Petra Stadler
Der Hörverlag, 2009, 6 CDs, ca. 443 Minuten Laufzeit, ca. 24,95 EUR, ISBN 978-3-86717-512-8

Von Irene Salzmann

Michael Klondeik folgte dem Ruf von Sally Wild Blanche, der letzten der Wilden Frauen, und half ihr und ihren Gefährten, das Böse, das von Wildernacht ausgeht, aufzuhalten. Die Krönung ihrer Liebe ist eine Tochter, Fli-Fla, die Michael in seine sicherer erscheinende Welt bringt. Zuletzt gibt er Sally das Versprechen, seine sechs Tagebücher zu veröffentlichen und die Menschen vor der Gefahr zu warnen, die immer noch nicht gebannt ist. Es kommt jedoch anders, denn Michael bricht sein Versprechen und schließt Fli-Fla, die unter dem Umweltschmutz leidet, wie in einem Gefängnis ein. Allerdings vernichtet er die Tagebücher nicht, wie Jonathan Amber als Gegenleistung für seinen Schutz forderte, sondern versteckt sie.

Einige Jahre später werden sie gefunden. Der 15-jährige Computer-Freak Charly ist so fasziniert von der Geschichte, dass er nach ihr ein PC-Spiel programmiert. Als er das letzte Level erreicht, vermischen sich plötzlich Fiktion und Realität. Immer mehr Figuren aus dem Game erscheinen in Berlin, er selber wird aus dem Spiel heraus angegriffen und muss schließlich Ko-Kahla-Bold glauben, dass keine Geschichte reine Erfindung ist und sich alles irgendwo tatsächlich so ereignet.

Charly folgt dem Schlawiner-Mädchen und lernt auch die übrigen Kämpfer für das Gute kennen. Bald wird den Kameraden klar, dass nur Eine die Welt retten kann, und Eile ist geboten, denn Jonathan Amber weiß inzwischen, dass er hereingelegt wurde. Charly, Galahad und die anderen müssen Fli-Fla befreien, bevor sie ihrem ärgsten Feind in die Hände fällt.

Das Hörbuch „Wildernacht“ beruht auf dem gleichnamigen Jugendroman, der kurz nach den „Kladde“ 01 und „Kladde“ 02 im Schneider Verlag erschienen ist. Während die Kladden (theoretisch müssten noch vier folgen) einen Teil der Erlebnisse von Michael Klondeik schildern, konzentrieren sich der Roman und damit auch das vorliegende Hörbuch auf Geschehnisse, die sich rund 15 Jahre später ereignen. In diesen steht der Schulschwänzer Charly, der die Tagebücher von Michael Klondeik fand, im Mittelpunkt. Wie schon jener wird der Junge in ein gefährliches Abenteuer hineingezogen, in dem die Grenzen zwischen Realität und Fiktion bzw. zu einer anderen Welt nicht mehr existieren.

Charly lernt alle Figuren seines Spiels als lebendige Menschen, Elfen, Zwerge und so weiter kennen. Auch wenn sie andere Bezeichnungen wie ‚Schlawiner’, ‚Freaks’, ‚Lichte’ etc. haben, erkennt man die Vorlagen. Motive aus dem „Artus“-Mythos, dem „Herrn der Ringe“, „Shadowrun“ und anderen Quellen lassen sich ebenfalls entdecken. Der Kampf Gut gegen Böse, das Lebendigwerden von Spielfiguren und eine Macht, die geweckt und überzeugt werden muss, dass es sich lohnt, die Welt vor dem Untergang zu bewahren, sind gleichfalls viel verwendete Themen in der Phantastik.

Kombiniert wird alles mit dem Umweltgedanke. Joachim Masannek, geistiger Vater der „Wilden Kerle“, mahnt immer wieder mit erhobenem moralischem Zeigefinger, dass der Mensch durch Gedankenlosigkeit und Habgier seinen Lebensraum zerstört. Er fordert jeden zum Umdenken auf, zum Kampf gegen die Zerstörung der Erde und für den Schutz der Natur. So löblich das auch sein mag, irgendwann beginnt dieses Mantra zu nerven.

Das gleiche gilt für den übertriebenen Teenager-Jargon. Beispielsweise kann Charly kaum einen Satz sprechen, in dem das Wort ‚fuck’ nicht vorkommt. Vielleicht finden das sehr junge Leser und Zuhörer ‚voll krass’ – aber welche Eltern halten es für erstrebenswert, wenn ihre Kinder durch Bücher noch dazu animiert werden, sich Ausdrücke anzueignen, die der ‚Gossen-Sprache’ entnommen wurden? Auch älteren Jugendlichen, insbesondere jenen, die gern und viel lesen und dadurch fähig sind, sich gewählter auszudrücken, ist das auf Dauer zu ‚asslig’.

Die Geschichte selber ist sehr komplex, blutig, durchaus spannend und wendet sich eher an ein lese-erfahrenes Publikum als an Kinder zwischen 9 und 12 Jahren. Vieles kann man vorhersehen; manches wiederum nicht, denn es klafft eine Lücke zwischen den Ereignissen, die in den Kladden und dem Roman beschrieben werden. Letzterer fasst, nachdem die bekannten und die späteren Geschehnisse ausführlich aufgerollt wurden, die noch nicht vorliegenden vier Kladden, soweit dies für das Verständnis notwendig ist, äußerst knapp zusammen. Diese Kürze wirkt wie ein Bruch und nimmt viel von der Atmosphäre.

Die Gestaltung des Hörbuchs orientiert sich an der des Romans. Das Cover wurde übernommen, und auch das Booklet wird von einer Illustration, die vermutlich aus einem der Bücher stammt, geziert. Leider fällt es sehr dünn aus mit einem Inhaltsverzeichnis der sechs CDs, einigen Worten zu Autor und Sprecher – Erik Borner war als dieser und in der Rolle des Michael Klondeiks im Hörspiel „Wildernacht: Die verlorenen Tagebücher“ zu hören –, einem Verzeichnis der Charaktere und Völker, einer sehr kurzen Inhaltsangabe, die wenig über das Geschehen verrät, und einem Hinweis auf die andere CD. Bei einem Preis von fast 25,00 EUR für rund sieben Stunden Vortrag hätte man gern ein umfangreicheres Booklet mit mehr Information gehabt.

Alles in allem hinterlässt die Lesung des „Wildernacht“-Romans einen ebenso gemischten Eindruck wie das Hörspiel zu den „Vermissten Tagebüchern“. Die grundlegende Handlung an sich ist nicht neu, der Jargon und der moralische Zeigefinger des Autors nerven, und stellenweise werden wichtige Geschehnisse lieblos in einer Hau-Ruck-Aktion abgehandelt (ob die fehlenden vier Kladden noch erscheinen werden, wenn man nun schon weiß, was in etwa passiert?). Demgegenüber stehen eine spannende, komplexe Geschichte, die keine Fragen offen lässt und die Bedürfnisse der Zielgruppe – jugendliche Fantasy-Fans – berücksichtigt.

Sofern man nicht gerade ein Hardcore-Fan der Serie ist, sollte man vor dem Kauf eine Hörprobe zu Rate ziehen, ob der Titel wirklich dem entspricht, was man sich darunter vorstellt.