Die Welt von Lucie 1: Und warum nicht die Hölle ... (Comic)

Die Welt von Lucie 1
Und warum nicht die Hölle ...
(Le monde de Lucie: [Et pourquois pas l'enfer ...] épisodes 1,2 et 3; [Rester en vie ...] épisode 4)
Text: Kris
Zeichnungen: Guillaume Martinez
Farben: Nadine Thomas und Kness
Übersetzung: Monja Reichert, Steffen Haubner
Lettering: Dirk Schulz
Splitter, 2009, Hardcover, 144 Seiten, 19,80 EUR, ISBN 978-3-86869-097-2

Von Irene Salzmann

Eine Gruppe Maskierter wirft einen Molotow-Cocktail in ein weihnachtlich geschmücktes, vor Besuchern berstendes Kaufhaus. Die Zahl der tragischen Opfer geht in die Hunderte, und nur eine Ruine bleibt zurück. Die kleine Margaret überlebte die Katastrophe wie durch ein Wunder ohne Verletzungen und wird seither, weil sie sich in einer Art Wach-Koma befindet, in einer psychiatrischen Klinik betreut.

Dr. Emma Chapman vermutet, dass die Patientin in telepathischer Verbindung zu einer anderen Person steht, denn hin und wieder spricht sie Russisch. Die Ärztin wendet sich an ihren Ex-Freund Dr. Sascha Iablokov, einen Telepathen, hoffend, dass er in diesem Fall weiter helfen kann. Die wenigen Spuren scheinen nach Rumänien und in die ehemalige Sowjetunion zu führen. Der Name ‚Lucie’ fällt.
Ein Inspektor der Antiterror-Brigade befürchtet, dass er mit normalen Mitteln nicht vorankommt, denn er hat eine Leiche, die auf unbekannte Weise zu Tode kam und den Namen ‚Lucie’ wie ein Stigma auf der Handfläche trägt. Er wendet sich an einen Spezialisten und Bekannten von Sascha.
Unterdessen finden Straßenkinder ein verstört wirkendes Mädchen, das ein Nachthemd mit dem eingestickten Namen ‚Lucie’ trägt. Vor allem Soledad kümmert sich rührend um Lucie, die lange keinen Ton von sich gibt. Schließlich werden sie aufgestöbert – und es sind Leute von der ‚Church of God’, die das Feuer auf eine der ihren und die jungen Ausreißer eröffnen. Allein Lucie wollen die Angreifer lebend haben …

Der erste Teil von „Die Welt von Lucie“ beinhaltet die Hefte 1–4 von 8. Die Serie ist somit auf zwei Bände angelegt, die aufwändig als Hardcover mit Schutzumschlag gestaltet sind und Comicheft-Format haben.
Die Geschichte wartet mit mehreren wechselnden Handlungs- und Zeitebenen sowie zahlreichen Akteuren auf. Als Leser begleitet man vor allem ‚die Guten’, die sich mit Problemen konfrontiert sehen, die weit über das hinausgehen, was zunächst vermutet wurde, und die äußerst gefährlich sind. Man weiß kaum mehr als Emma, Sascha, Soledad und die anderen, die alle einen Faden in der Hand halten, der mit dem Rätsel um Lucie und Margaret verknüpft ist. Auf unterschiedliche Weise werden sie in einen Konflikt hineingezogen, der seinen Anfang vor Jahren mit den Experimenten der Sowjets an Psi-Begabten nahm und an deren Resultaten noch immer unbekannte Gruppierungen interessiert sind.
Man fühlt sich an „Akte X“ erinnert, nur dass es hier kein Mulder-Scully-Duo gibt, das sich bei der Recherche ergänzt. Stattdessen hat man es mit Einzelgängern zu tun, die ein vordergründiges Problem lösen wollen und erst nach und nach die Tragweite dessen, worauf sie sich eingelassen haben, zu erahnen beginnen. Vor dem Leser liegen die einzelnen Informationen wie die Teile eines Puzzles; er darf die richtigen Stellen für sie suchen und versuchen, das Gesamtbild vorzeitig zu erraten.
Die titelgebende Lucie und telepathische Experimente scheinen der Schlüssel zu sein. Das Mädchen wirkt jedoch, als stamme es aus einer anderen Zeit. Steckt etwa noch mehr dahinter? Und wer sind die skrupellosen Mörder, die Unschuldige in die Luft sprengen und Kinder erschießen? Wozu brauchen sie Lucie? Die Antworten wird erst der nächste Band geben, der gewiss noch einige Überraschungen parat hält.
Die Illustrationen sind eher einfach und klar, minimalistisch und mit überwiegend schlichten Hintergründen versehen. Sie lenken nicht von den Dialogen ab und bringen Ruhe in eine Handlung, die langsam und sorgfältig aufgebaut wird. Interessanterweise verdeutlicht die Kolorierung Szenenwechsel, die man als solche vielleicht nicht gleich erkannt hätte.

„Die Welt von Lucie“ 1 ist ein spannender Mystery-Thriller, der einiges mit „Akte X“ und den Inszenierungen des französischen Krimis der série noire gemein hat und doch eigene Wege geht. Man bekommt viel Comic zum angemessenen Preis, sollte aber ein wenig darin blättern, um festzustellen, ob Thema und Stil zusagen. Schätzt man klare Bilder und eine aufbauende Erzählweise, gibt man dem Thriller gegenüber der Mystery den Vorzug, dürfte der Titel vor allem bei einem reiferen Publikum auf Interesse stoßen.