The Surrogates (Comic)

The Surrogates
(The Surrogates)
Text: Robert Venditti
Artwork: Brett Weldele
Übersetzung: Christian Langhagen
Lettering: Amigo Grafik
Cross Cult, 2009, Hardcover, 208 Seiten, 26,00 EUR, ISBN 978-3-941248-31-1

Von Frank Drehmel

Rechtzeitig vor dem für Januar 2010 angekündigten deutschen Starttermin des Films »The Surrogates« veröffentlicht Cross Cult die zugrundeliegende, gleichnamige Comic-Mini-Serie des US-Publishers Top Shelf Productions als exzellent edierten Hardcover-Sammelband.

Man schreibt das Jahr 2054: Enorme Fortschritte sowohl in der Robotik als auch der Computertechnologie haben es möglich gemacht, dass der Mensch nicht mehr leibhaftig mit der Außenwelt oder anderen Individuen interagieren muss, sondern sich durch menschenähnliche Roboter – sogenannte Surrogaten – vertreten lassen kann, mit denen er durch einen Virtual-Reality-Link verbunden ist, während er selbst sein künstliches Ich aus seinen sicheren vier Wänden heraus steuert.
In den Vereinigten Staaten beträgt der Anteil jener Menschen, die durch diese Simulacra nicht nur im Privaten, sondern auch in ihrer Funktion als Staatsbedienstete – Polizisten, Feuerwehrleute, etc. – ein Leben des schönen Scheins führen, welches ihnen in früheren Zeiten verwehrt gewesen wäre, über 90 Prozent. Ein Gegenbild zu dieser an Äußerlichkeiten orientierten Gesellschaft wird von der religiös motivierten Anti-Surrogaten-Ideologie der Dread-Bewegung entworfen, welche im Jahre 2039 einen gewalttätigen Aufstand probte und in dessen Folge ein Reservat für sich erstreiten konnte, zu dem die Roboter keinen Zugang haben.
Die sichere und heile Welt von Polizei-Lieutenant Harvey Greer und seinem Partner, Sergeant Pete Ford, bekommt Risse, als ein Terrorist auftaucht, der versucht, die Menschen aus ihrer selbst gewählten Isolation zu befreien, indem er mit der Botschaft, »Lebt!«, Surrogaten mittels gigantischer Stromschläge zerstört.
Nachdem auch Greers künstliches Ich ein Opfer des Täters geworden ist und die Spur zudem in das Reservat der Dreads und zu deren Anführer, dem Propheten Zaire Powell III, zu führen scheint, entschließt sich der Polizist, die Ermittlungen in persona zu führen, was nicht nur bei seinem Partner, sondern auch seiner Ehefrau für Unverständnis sorgt. Doch die Spur zu den religiösen Fanatikern verläuft im Sande, denn der Terrorist erweist sich selbst ein Surrogat, allerdings ein ganz besonderes Modell. Als schließlich auch der Prophet den Tod findet, droht die Lage zu eskalieren. Ein erneuter Aufstand der Dread-Bewegung, welcher in einem Blutbad enden wird, scheint unausweichlich, sollte es Greer nicht gelingen, den wahren Drahtzieher dingfest zu machen.

Ökonomisch erfolgreiche dystopische Gesellschaftsentwürfe, die ohne Superhelden, ohne Gewaltexzesse und/oder ohne hohlen Pathos auskommen, sind im US-amerikanischen Comic nach wie vor Mangelware. Umso erstaunlicher ist es, dass Vendittis ruhig inszenierte »Social SF«-Tristesse nicht nur von den üblichen Verdächtigen – verkopften Kritikern – sehr wohlwollend aufgenommen wurde, sondern auch den Geschmack eines breiten Publikums zu treffen scheint. Das lässt für das Genre hoffen.
»The Surrogates« ist die Abrechnung mit einer Gesellschaft, in der sich das Individuum zunehmen über den äußeren Schein definiert, in der Rassen- und Geschlechtsunterschiede faktisch egalisiert sind und sich die Schichtzugehörigkeit allenfalls über die Ausstattung des Roboters erahnen lässt, einer Gesellschaft, in der Freiheit und Gleichheit zu bloßen Derivaten von Äußerlichkeit verkommen.
In der Figur des Polizisten Harvey Greer dekliniert Venditti die Kehrseite der perfekten Selbstinszenierung durch, die Sinnlosigkeit der Existenz, das Fehlen von Nähe und den Mangel an persönlichem Glück in einer Welt, in der die menschlichen Grenzen den Grenzen einer Technologie entsprechen. Dabei geht der Autor in seiner Auseinandersetzung behutsam vor und verzichtet weitgehend auf einen gen Himmel gereckten moralischen Zeigefinger, zumal auch die Ideologie der Dreads wegen ihrer fundamental-religiösen Attitüde und einer innewohnenden Perspektivlosigkeit nicht als tragfähiger Gegenentwurf zur Surrogaten-Welt taugt.
An dieser Stelle kommt das grandiose Artwork Weldeles zum Tragen: seine monochromen, in trüben Farben kolorierten Bilder, die skizzenhaften, vor den Hintergründen verschwindenden, durchsichtigen Figuren, denen es an eigener Körperlichkeit zu mangeln scheint, konterkarrieren visuell vom ersten Panel an das vollmundige Versprechen der Technologie, »Das Leben ... nur besser!«.

»The Surrogates« unterscheidet sich mit seinem ganzheitlicheren Ansatz auch konzeptionell vom normalen Comic-Mainstream. Zum einen erhält die Welt des Jahres 2054 durch eingestreute fiktionale Textbeiträge zusätzliche Tiefe, wobei diese Texte allerdings für das Verständnis des Comics nicht notwendig wären, zum anderen erzeugt eine real erscheinende Anzeigen-Kampagne der fiktiven Firma »Virtual Self Industries« mit hochemotional inszenierten Botschaften, deren suggestiver Wirkung man sich kaum entziehen kann, ein großes Maß an Beklemmung sowie ein Gefühl der Manipulierbarkeit.

Eine umfangreiche Galerie von Front- und Backcovern, informative Einblicke in den künstlerischen Schaffensprozess, an dessem Anfang das Skript und an dessem Ende die fertige Seite steht, eine Pinup Gallery, für die unter anderem Comic-Größen wie Greg Ruth (»Freaks of the Heartland«) oder Steve Lieber (»Whiteout«) Beiträge geleistet haben, sowie ein Interview mit den beiden kreativen Köpfen hinter dem Comic lassen in editorischer Hinsicht keinerlei Wünsche offen und belegen einmal mehr Cross Cults Anspruch, dem deutschen Publikum nicht nur inhaltlich hochwertige Comics zu offerieren.

Fazit. Ein inhaltlich wie grafisch grandioses SF-Comic, das auch in seinen konzeptionellen Ansatz über das hinaus geht, was uns der amerikanische Comic-Markt regelmäßig beschert.