Bacigalupi, Paolo: The Windup Girl (Buch)

Paolo Bacigalupi
The Windup Girl
Night Shade Books, 2009, Hardcover, 360 Seiten, ca. 16,95 EUR, ISBN 978-159780157-7

Von Oliver Naujoks

Nachdem er sich durch einige so originell wie düstere, so scharfsichtige wie flirrend-lebendige SF-Kurzgeschichten, die meist nicht im US-Kulturkreis spielen, einen guten Namen erschrieben hat, legt der US-Amerikaner Paolo Bacigalupi mit »The Windup Girl« nun seinen ersten Roman vor.
Der Roman greift Motive aus zwei seiner bekanntesten Kurzgeschichten wieder auf. Er spielt wie »The Calorie Man« in einer Welt, deren fossile Brennstoffe aufgebraucht sind und Energie angebaut werden muss, wobei über den Anbau selbstverständlich ein Böses-US-Kartell™ wacht. In dieser gentechnisch extrem weiterentwickelten Welt wird viel mit Federtechnik betrieben, oder mit schierer Muskelkraft, die in diesem Roman recht imposant durch riesige Elefantenwesen namens Megodonts produziert wird, die Maschinen in den Fabriken antreiben, aber auch zum Transport und zum Krieg eingesetzt werden.

Wie »Yellow Card Men« spielt dieser Roman in einem futuristischen Bangkok und der Titel spielt auf die Berechtigungskarte von unzähligen chinesischen Flüchtlingen an, die nach einem Pogrom aus Malaysia flüchten mussten und von der einheimischen Bevölkerung in Bangkok gehasst und nur deshalb geduldet werden, weil ein wichtiger Gangster-Boss schützend seine Hand auf sie gelegt hat.
Die Handlung fächert sich in vier Erzählperspektiven auf und erzählt von einem skrupellosen US-Manager (dieser Charakter-Typ wird leider immer klischierter und langweiliger), der eine dieser Firmen führt, und seiner rechten Hand, einem dieser chinesischen Yellow Card Men, der auf grausame Weise seine Familie verloren hat und ebenso skrupellos mit und gegen seinen Boss arbeitet. Ferner werden die Geschicke eines Kommandanten einer »White Shirts« genannten Miliz des thailändischen Umweltministeriums erzählt (die u.a. gegen das Handels-Ministerium kämpft), sowie, die Titel- und Hauptperson der Geschichte, von dem »Windup Girl« Emiko, ein durch Gentechnik gezüchtetes japanisches Dienst- und Freudenmädchengeschöpf, das in Bangkok in einem Nachtclub als Produkt, nicht als Mensch, jeden Abend schreckliche Misshandlungen über sich ergehen lassen muss und nicht fliehen kann, weil sie durch ihre angezüchteten japanischen Trippelschritte sofort auffallen und in der Schrottpresse landen würde, da Windups nicht geduldet werden in Bangkok …
Kleine Ereignisse und kleine Katastrophen schaukeln sich zu großen hoch, am Ende kämpft ein Ministerium gegen das andere und eine Bluttat im Affekt löst sogar eine Revolution und einen Bürgerkrieg aus, in welchem Megodonts durch die Straßen trampeln, Gegner zermalmen oder mit Klingen an ihren Stoßzähnen zu einer roten Masse verwandeln …

Ein thailändischer oder chinesischer Leser könnte das möglicherweise besser beurteilen, aber zumindest lesen sich für einen Europäer die Passagen in »The Windup Girl«, die thailändische oder chinesische Kultur und Menschen beschreiben, absolut authentisch und tragen viel zum Flair des Romans bei. Wobei Thais häufig als Bösewichte und Chinesen als Opfer geschildert werden, was in den entsprechenden Volksgruppen bei Lektüre des Romans sicherlich nicht nur positiv goutiert werden würde. In einer angloamerikanisch dominierten SF-Szene, in welcher Menschen aus diesem Sprachraum im wesentlichen über ihre eigene Kultur schreiben, ist es immer noch sehr erfrischend, solche Stoffe mal vom anderen Ende der Welt zu lesen. Auch wenn sich dahinter eigentlich nur bei Licht betrachtet die Zahnräder eines (zu!) handelsüblichen Polit- und Gangsterthrillers drehen, verbunden mit einer schlagend und berührend geschilderten Außenseiterproblematik, dem Hauptthema des Romans. Wenn Bacigalupi über die Misshandlungen und Anfeindungen schreibt, die diese Yellow Card Men oder auch das Windup Girl als Außenseiter erdulden müssen, wird sein Roman bedrückend und relevant, auch wenn das Motiv, ob genetisch gezüchtete Menschen wie Produkte oder wie Menschen zu behandeln sind, ein alter Topos der SF ist, das Kinogänger stark an die Androiden in »Blade Runner« erinnern wird. Bei den Megodonts hat ganz offensichtlich ein anderer Film Pate gestanden, diese erinnern frappierend an die Mumakil aus Peter Jacksons zweitem und dritten »Herr der Ringe«-Film. Diese Megodonts sind auch für die beiden zentralen Action-Szenen des Buches verantwortlich, die sehr eindrücklich geraten sind: Zum einen das oben schon geschilderte Bürgerkriegs-Massaker in den Straßen und zum anderen ein gleich am Anfang des Buches in einer Fabrikhalle wegen seiner Misshandlungen Amok laufender Megodont, der Tote und Chaos in der Produktionshalle hinterlässt.

Soweit so wunderbar, wenn der Roman aber neben seinen zu gewöhnlichen Plot-Konventionen nicht auch zwei erhebliche Schwächen aufweisen würde, die das Lesevergnügen nicht unerheblich trügen und angesichts der Originalität des Szenarios fast wehtun, dem man einfach einen noch besseren Roman wünscht. Beide Schwächen lassen sich möglicherweise darauf zurückführen, dass hier ein Kurzgeschichtenautor seinen ersten längeren Text als Roman vorlegt. Zum einen ist der Nihilismus von Bacigalupi mit seinen skrupellosen, unsympathischen Charakteren nicht über die Langstrecke eines Romans tragfähig, anders als vielleicht in einer Kurzgeschichte. Wenn eine der Hauptfiguren ein künstliches Geschöpf ist und die anderen drei mehr oder weniger Unsympathen, fällt es ein wenig schwer, Emotionen in den Roman zu investieren – ob diese Helden am Ende siegen und leben oder scheitern und sterben, ist einem relativ egal. Verbunden damit und zum anderen gelingt es dem Autor in vielen Szenen nicht, pointiert oder interessant genug zu erzählen, viele Szenen dauern einfach zu lange, und sind, selbst wenn der Punkt schon gemacht wurde, dann betrüblich redundant.

Dadurch ergibt sich ein Lektüreerlebnis, dass viel zu interessant ist um es vorher abzubrechen, aber auch nicht fesselnd genug, als dass die Seiten an einem vorbeifliegen. Dies, verbunden mit der Äußerlichkeit großer, eng bedruckter Seiten, lassen »The Windup Girl«, dies sei neutral einfach fürs Protokoll vermerkt, in Arbeit ausarten. Wenn der LOCUS-Rezensent zum gleichen Buch schreibt, man müsse die Leser bewundern, die Bacigalupis Texte bewundern, fasst man dies als Bacigalupi-Leser nicht unbedingt als Kompliment auf, sondern eher als mitleidiges Auf-die-Schulter-Klopfen. Dabei sei ganz klar gesagt: Arbeit bei Lektüre macht überhaupt nichts, man möchte dann aber mehr entlohnt werden. Schaut man sich etwas um, fällt einem der Name Ian McDonald ein, dessen Romane entfernt vergleichbar sind, nur bis zu dessen Güteklasse ist es für Bacigalupi noch ein weiter Weg, denn von dem Feuerwerk an Ideen und stilistischen Galavorstellungen eines McDonald ist der Autor von »The Windup Girl« schon noch 1-2 Ligen entfernt. Wenn man »The Windup Girl« zuklappt, ist man irgendwie erleichtert nach der zurückgelegten Wegstrecke und hat trotz aller Schwächen einen interessanten Roman gelesen, der übrigens trotz aller Massaker und Grausamkeiten zurückhaltender ist als viele Kurzgeschichten von Bacigalupi.

Bisher nicht mit Feuereifer, aber mit Interesse wird man die nächsten Jahre verfolgen dürfen, ob Bacigalupi sich in Romanform ebenfalls an die Front aktueller SF-Autoren schreiben können wird, wie ihm das bei den Kurzgeschichten gelungen ist. Talent und Potential sind bei dem Autor dafür sicherlich vorhanden, trotzdem soll dieser Text mit den Worten enden, dass »The Windup Girl« an dieser Front noch nicht zu verorten ist. Dass man überhaupt solche Ansprüche an den Autor stellt, spricht für ihn und liegt an seinen mitunter phantastischen Kurzgeschichten.
Ein guter und lesenswerter SF-Roman ist »The Windup Girl« selbstredend ohnehin.